"Neues Maß an Brutalität": Drohen Silvester-Krawalle auch in München und Bayern?
Berlin/München - Nach den Ausschreitungen beim vergangenen Silvester in Berlin und in Nordrhein-Westfalen rechnet die Gewerkschaft der Polizei (GdP) auch heuer mit Krawallen in deutschen Metropolen. In einem Video auf dem Kurzbotschaftendienst "X" sprechen Berliner Einsatzkräfte sogar eine direkte Warnung aus: "Greift uns nicht an. Beschießt uns nicht mit Böllern, Raketen oder Schreckschusswaffen. Ihr macht euch strafbar und euch drohen mehrere Jahre Gefängnis."
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) befürchtet ein Silvester, "an dem wir in manchen Städten blinde Wut und sinnlose Gewalt zum Beispiel gegen Polizisten oder Rettungskräfte erleben müssen", wie sie der AZ mitteilt.
Die Bundesländer würden sich in diesem Jahr anders vorbereiten als 2022 – mit neuen Gefährdungsbewertungen, und mehr Polizei. "Deshalb kann ich nur an alle appellieren, einen friedlichen Jahreswechsel zu feiern und Gewalt – gerade in diesen schwierigen Zeiten – entgegenzutreten", so Faeser.
Fokus auf Großstädte: So bereiten sich Polizisten in Bayern auf Silvester vor
In Bayern sei die Lage weniger angespannt, dennoch wolle die Polizei in vielen bayerischen Städten mit hoher Präsenz dazu beitragen, "das friedliche Feiern über den Jahreswechsel zu gewährleisten", sagt der Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Bayern zur AZ. "Leider müssen wir feststellen, dass mittlerweile auch auf dem Land Einsatz-Hotspots entstehen können, weil sich Feierwütige nicht unter Kontrolle haben", so Florian Leitner.
Der Fokus liege trotzdem auf Großstädten wie München, Augsburg und Nürnberg. Als Polizist könne man sich dabei vor Angriffen nur schwer schützen. "Denn wir stehen immer in der ersten Reihe", sagt Leitner. Persönlich empfindet es der Chef der Gewerkschaft als "Wahnsinn", wenn mit Pyrotechnik auf Polizei-, Rettungs- und Feuerwehreinsatzkräfte geschossen wird. Die Gewalt habe inzwischen ein "neues Maß an Brutalität" erreicht.
"Wer versagt hat, ist die Politik", sagte der Bundesvorsitzende der GdP, Jochen Kopelke, am Donnerstag der "Rheinischen Post". Daran knüpft auch der bayerische Polizeihauptkommissar Leitner aus Erding an. "Es wird Zeit, dass die Politik nicht nur Lippenbekenntnisse abgibt, sondern handelt", so Leitner. "Es kann nicht sein, dass unsere Kolleginnen und Kollegen den Kopf hinhalten, im Einzelfall sogar verletzt werden, um sich dann hinterher durch die Politik auch noch kritischen Vorwürfen ausgesetzt zu sehen."
Kopelke sagte: "Warum gibt die Politik der Polizei nicht endlich die rechtlichen Möglichkeiten, um konsequent gegen die Beteiligten der Gewaltexzesse einschreiten zu können? Und warum haben wir an Silvester nicht längst ein Verkaufsverbot für Böller?" Für Leitner wären derartige Maßnahmen ebenfalls der "richtige Schritt". Auch über Einschränkungen des Alkoholkonsums an öffentlichen Hotspots könne diskutiert werden, meint der bayerische Gewerkschaftler. Zudem sei das Anheben des Mindeststrafmaßes für tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte von drei auf sechs Monate denkbar.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hält von Verboten wenig
Bayerns Innenminister ist von den meisten Forderungen wenig begeistert. "Ein generelles 'Böllerverbot' oder Verkaufsverbote für Pyrotechnik lösen das eigentliche Problem genauso wenig wie pauschale Alkoholkonsum- oder -verkaufsverbote", sagt Joachim Herrmann (CSU) auf AZ-Anfrage. Die Kommunen hätten die Möglichkeit, gezielt an bestimmten Orten zum Schutz vor Lärmbelästigungen oder zur Brandverhütung in Altstädten Verbote für Feuerwerke auszusprechen.
Auch Alkoholverbotszonen könnten durch Allgemeinverfügungen unabhängig von Silvester umgesetzt werden. "Eine Verbotspolitik, die alle unter Generalverdacht stellt, halte ich für unverhältnismäßig", so Herrmann.

Der Verband der pyrotechnischen Industrie (VPI) kann einem Verbot ebenfalls wenig abgewinnen. Zwar seien Restriktionen in bestimmten historischen Altstädten mit engen Gassen nachvollziehbar. "Generell Innenstädte als Verbotszonen auszuweisen, halten wir allerdings weder für sinnvoll noch notwendig", heißt es auf AZ-Anfrage. In Bezug auf Gewalt sei das Silvesterfeuerwerk für den Interessenverband nicht so problematisch wie der generelle Hang zur Gewalt. "Wer Krawall machen will, der wird das auch in Zukunft versuchen." Der Markt für illegales Feuerwerk sei ohnehin vorhanden.
Polizei sichert jüdische Einrichtungen in Deutschland
Wie die Polizei die Lage in den einzelnen Städten Bayerns einschätzt? In München rechnen die Ordnungshüter mit "keinen großen Veränderungen" zum Vorjahr. 1.300 Polizisten seien heuer im Einsatz – 300 mehr als sonst –, die extra für Einsätze an Silvester abgestellt sind. In Mittelfranken und insbesondere in Nürnberg und Fürth rechnen die Sicherheitsbehörden mit einem "überdurchschnittlichen Einsatzaufkommen", ähnlich wie 2022. Im Regierungsbezirk Schwaben und in Oberfranken sind die Einschätzungen deckungsgleich.
Unter besonderem Schutz stehen heuer an Silvester jüdische Einrichtungen wie Synagogen, so eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums. "Dies gilt auch aufgrund der erhöhten Bedrohungslage durch islamistischen Terrorismus angesichts der Terrorangriffe der Hamas auf Israel und des Kriegs in Gaza." Der Zentralrat der Juden vertraue hierbei auf die richtige Einschätzung der Sicherheitsbehörden, heißt es auf Anfrage der AZ.
Für Sicherheit will dabei auch Leitner sorgen. "Unsere Kolleginnen und Kollegen sind zwar insgesamt an einer Belastungsgrenze angekommen – teilweise schon darüber hinaus, aber natürlich führt dies nicht zu einem verminderten Schutz unserer jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger", so der Polizeibeamte.