"Reichsbürger"-Prozess: Das hatten die  Esoteriker und gewaltbereite Fantasten  aus München vor

Rückkehr in die Zeit der Gründung des Kaiserreichs 1871: Das hatten auch die Verschwörer im Sinn, die sich nun in München verantworten müssen. Es erscheinen Akademiker und Esoteriker.
Patrick Guyton |
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Der bundesweit dritte Prozess gegen mutmaßliche "Reichsbürger" der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß hat am Dienstag in München begonnen. Die wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines sogenannten hochverräterischen Unternehmens Angeklagten sitzen mit ihren Anwälten im Oberlandesgericht im Gerichtssaal.
Der bundesweit dritte Prozess gegen mutmaßliche "Reichsbürger" der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß hat am Dienstag in München begonnen. Die wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines sogenannten hochverräterischen Unternehmens Angeklagten sitzen mit ihren Anwälten im Oberlandesgericht im Gerichtssaal. © Sven Hoppe/dpa

München – Teil drei des groß angelegten Reichsbürger-Terrorprozesses gegen die Verschwörungsgruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß hat am Dienstag in München begonnen. Nachdem in Stuttgart und in Frankfurt am Main schon verhandelt wird, stehen in der bayerischen Landeshauptstadt nun auch die letzten acht Angeklagten vor dem Oberlandesgericht. Ihnen wird die Planung eines Staatsumsturzes und Hochverrat vorgeworfen.

Sie werden erst einmal von der Polizei hereingeführt in den massiv gesicherten großen Verhandlungssaal A 101 im Münchner Justizzentrum, die Vorsitzende Richterin Dagmar Illini fragt nach den Personalien. Sieben geben bereitwillig Auskunft, ein Angeklagter lässt die Angaben von seinem Verteidiger machen.

Nur eine "Firma"

Es sind ganz normal wirkende, teils formal sehr gebildete Menschen meist mittleren Alters und quer aus der ganzen Republik, die zwischen 2021 und 2022 eineinhalb Jahre lang in diesem Verschwörungszirkel äußerst aktiv gewesen sein sollen. So etwa die Ärztin R. mit Hausarztpraxis in Niedersachsen, die zur Corona-Leugnerin wurde und von der Gruppe als künftige Gesundheitsministerin auserkoren gewesen sein soll - nachdem die Bundesregierung gestürzt und deren führende Mitglieder erschossen worden wären.

Oder der Jurist G., promoviert, er hätte demnach Außenminister werden sollen in dem Staat, den man gemäß Reichsbürger-Ideologie ins Jahr 1871 zurückgedreht hätte. Denn die Bundesrepublik existiert demnach gar nicht, sie ist nur eine "Firma", und das Land wird noch von den Besatzungsmächten nach dem Zweiten Weltkrieg regiert.

Der Überblick bei den nun drei laufenden Großverfahren fällt schwer: In Frankfurt stehen Prinz Reuß und sein enger Umkreis vor Gericht, er ist die zentrale Figur der auch als rechtsterroristisch angeklagten Gruppe, die sich "Patriotische Union" nannte. Die Militärplaner sind wesentlich in Stuttgart vereint, sie sollen ebenso langwierig wie genau überlegt haben, wie man die jetzige Demokratie mit Waffen und Gewalt ausschaltet.

 Esoteriker und gewaltbereite Fantasten 

Und die Münchner Angeklagten fallen eher in die Kategorie Esoteriker und gewaltbereite Fantasten. Dazu gehört laut Anklage etwa L., die sich als "Astrologin, aber eigentlich Rentnerin" bezeichnet. Die 70-Jährige ist edel in Türkis gekleidet und nennt ihre Personalien mit freundlicher, sanftmütiger Stimme. Die Anhängerin von AfD-Rechtsextremist Björn Höcke wäre laut Anklage spirituelle Beraterin in der "Militärregierung" unter Prinz Reuß gewesen.

In München war mit Protest und Randale von Seiten der Reichsbürger- und Corona-Leugner-Szene gerechnet worden. Doch das Interesse an dem Verfahren bleibt mäßig, Zuschauer und Journalisten sind jeweils mit einigen Dutzend vertreten. Noch vor der Verlesung kommt es zu einem kleinen Zwischenfall, ein Mann auf der Zuschauertribüne schreit mehrfach "Kinderficker" und wird schnell abgeführt. Später mehr dazu, was es damit auf sich hat.

Er soll der Rädelsführer sein: Im Dezember 2022 führten vermummte Polizisten bei einer Razzia in Frankfurt am Main Heinrich XIII. Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifahrzeug.
Er soll der Rädelsführer sein: Im Dezember 2022 führten vermummte Polizisten bei einer Razzia in Frankfurt am Main Heinrich XIII. Prinz Reuß (2.v.r.) zu einem Polizeifahrzeug. © Boris Roessler/dpa

59 Seiten umfasst die Anklageschrift der Karlsruher Generalbundesanwaltschaft gegen diese Achter-Gruppe, die Verlesung dauert zweieinhalb Stunden. Seite um Seite, Beispiel für Beispiel springt immer wieder hervor, an was für einem Unternehmen die insgesamt 26 Angeklagten geplant und gearbeitet hatten - von welchen Wahnsinnsideen sie getrieben sein mussten und mit welch ausgetüftelter Methode und enormer Präzision sie dieses Kommando Umsturz angegangen sind.

 382 Pistolen und Gewehre

Die Generalbundesanwaltschaft zählt minutiös auf, was die acht Münchner Angeklagten von Mitte 2021 bis zur Enttarnung der Gruppe durch eine riesige Razzia am 7. Dezember 2022 alles für ihr Vorhaben unternommen haben sollen. Insgesamt haben sie demnach 382 Pistolen und Gewehre gehortet, 347 Messer und Macheten sowie fast 150.000 Schuss Munition. Im Laufe der Zeit "radikalisierten sich die Mitglieder weiter", so die Anklage.

Sie glaubten an einen verbrecherischen "Deep State", eine in Deutschland tief sitzende kriminelle Struktur von Teilen der Herrschenden. Diese entführten etwa Babys in unterirdische Tunnel, um sie rituell zu missbrauchen, zu töten und aus deren Blut einen Verjüngungstrunk zu sich zu nehmen.

Dieser Glaube wird QAnon genannt und stammt aus den USA. Darauf dürfte sich auch der "Kinderficker"-Rufer bezogen haben.

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Im Staat gebe es aber auch die "Allianz", die aus ihrer Sicht "Guten". Das ist ebenso wie der "Deep State" ein reines Fantasiegebilde, doch nach Ansicht der Verschwörer wartete die "Allianz" auf ein Signal, um loszuschlagen und den "Deep State" zu zerstören. Und dieses Signal wäre demnach von der Reuß-Truppe gekommen. Meinten sie. Sie trafen sich laut Anklage viele Male und über die ganze Republik verteilt – im Reuß'schen Schloss Waidmannsheil in Thüringen, im schwäbischen Rottweil oder in Niederbayern. Man hielt demnach regelmäßig Schießübungen ab. Zwei der Münchner Angeklagten suchten mehrfach Kontakt zum russischen Konsulat in Bratislava, um sich die Unterstützung Russlands einzuholen.

Es gab den Erkenntnissen zufolge Todeslisten von Politikern und Prominenten. Häufige Flugbewegungen am US-Stützpunkt Grafenwöhr wurden als Zeichen der "guten" Allianz gedeutet, dass der Tag der Revolte naht. In München sind insgesamt noch 53 Verhandlungstage bis Ende Januar 2025 angesetzt.

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5 Kommentare
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  • SagI am 18.06.2024 21:35 Uhr / Bewertung:

    Hat Monty Python ("Das Leben des Brian", "Ritter der Kokosnuss") schon die Verfilmungsrechte beantragt, die würden daraus wieder einen Kult-Film mit allen Registern britischen Humors machen.

  • Mittelreich am 18.06.2024 21:29 Uhr / Bewertung:

    Total irre.

  • Witwe Bolte am 18.06.2024 21:27 Uhr / Bewertung:

    Das ganze passt zum "Königlich-bayerischen Amtsgericht".
    Oder zu Barbara Salesch/RTL.
    Hoher Unterhaltungswert wäre garantiert.

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