Minister von Röslers Gnaden
BERLIN Es wäre ein Routine-Termin gewesen, einer, den FDP-General Christian Lindner normalerweise nicht ungern absolviert: montags der Hauptstadtpresse die Sicht der FDP darlegen. Gestern wurde die Pressekonferenz gleich ganz abgesagt. Offiziell wegen anderer Termine, tatsächlich aber, um zu vermeiden, dass Fragen zu Guido Westerwelle gestellt werden. Das offenbart, wie prekär die Lage ist: Guido Westerwelle mit einer „letzten Chance”.
Er selbst absolviert zeitgleich einen anderen Termin – nach außen hin feixte er selbstbewusst wie eh und je mit seinem französischen Amtskollegen Alain Juppé bei einer Konferenz herum. Inhaltlich zollte er den Nato-Partnern abermals Respekt: „Gerade weil wir die Chancen und Risiken anders abgewogen haben, gilt unser Respekt Frankreich und anderen Verbündeten bei der Durchsetzung der Resolution 1973.” Juppé ließ es sich nicht nehmen, Westerwelle nochmal extra darauf hinzuweisen: „Nur durch die militärische Intervention der Staatengemeinschaft ist es gelungen, in Libyen ein Blutbad zu verhindern.” Die Diplomaten auf der Tagung reden derweil offen darüber, ob Westerwelle bei der nächsten Uno-Vollversammlung noch dabei ist oder nicht. „Wir sind ja alle zur Loyalität verpflichtet”, sagt ein Entsandter eines Partnerlandes. „Aber das Amt mag nun mal keine Verlierer.” Auf den Gängen gibt es nur ein Thema: Wie lange kann sich der Minister noch halten? Westerwelle sagt, alle Spekulationen seien frei erfunden.
Westerwelle hatte sich an den Rand des Rauswurfs gebracht. Als er vor er einer Woche ausschließlich den deutschen Anteil am Sturz Gaddafis lobte, versuchte FDP-Chef Philipp Rösler drei Tage lang vergeblich, ihn dazu zu bewegen, auch den Nato-Einsatz zu erwähnen. Erst am Wochenende lenkte Westerwelle ein, Gerade noch rechtzeitig, um seinen Rauswurf zu verhindern, hieß es in FDP-Kreisen. Angesichts der Wahlen wollte Rösler keine Debatten.
Deswegen fiel nun auch gestern Lindners Pressekonferenz aus. Man fürchte, die Diskussion noch zu verlängern, hieß es. Journalisten hatten sich auf Fragen vorbereitet, ob die FDP nicht deutlich bessere Wahlchancen hätte, wenn sie endlich einen Strich unter das Kapitel Westerwelle machen würde – die wollte Lindner erst recht nicht beantworten.
Rösler selbst sagte: „Es war meine wohlüberlegte Entscheidung, uns mit diesem Team in der Bundesregierung zu bewähren.” Der Hinweis auf „Bewährung” sei bewusst gewählt, hieß es. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich ein: „Sie arbeitet mit Westerwelle vertrauensvoll zusammen”, richtete sie Regierungssprecher Steffen Seibert aus, während die Grünen forderten, Westerwelle müsse gehen.
Ob jetzt Ruhe einkehrt, ist längst nicht ausgemacht. Heute beginnt die dreitägige FDP-Herbstklausur in einem Schloss bei Köln. Offiziell soll es um „Butter-und-Brot-Themen” wie Steuern und Bildung gehen. Ausgeschlossen ist aber nicht, dass das Thema Westerwelle nochmal eine Eigendynamik entwickelt.