Merkel zwischen Weltwirtschaft und Achtelfinale
TORONTO - Wer das deutsche Fähnchen an die Tür des britischen Delegationsbüros beim Weltwirtschaftsgipfel in Kanada geheftet hat, sollte ein Geheimnis bleiben. Eine Zeit lang gönnten die Briten den Witzbolden auch ihren schwarz-rot-goldenen WM-Spaß vor dem Spiel Deutschland gegen England.
Aber irgendwann war dann Schluss mit lustig. Zu sehen war nur noch die eigene Nationalflagge. Aus dem Weg gehen konnte man sich aber nicht: Die Briten und die Deutschen hatten ihre Büros zufällig Tür an Tür.
Am Verhandlungstisch der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt sah es nicht anders aus. Dort saßen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Großbritanniens Premierminister David Cameron nebeneinander. Von deutscher Seite verlautete, es bestünden Chancen, dass Cameron doch noch Merkels Streben nach einer Steuer auf Finanzgeschäfte unterstützen könnte.
Die Politik hat es da leichter als der Fußball: Sie kann einen Kompromiss schließen. So konnten die USA lange die Deutschen und die Europäer für ihren Sparwillen kritisieren und ihnen vorhalten, damit die gerade erst wieder anspringende Konjunktur zu bremsen. Und dann zeigte US-Finanzminister Timothy Geithner überraschend einen Mittelweg auf: Zunächst sollten die Industrienationen weiter auf staatliche Ankurbelung und Konsum setzen - dann aber sparen.
Merkel blieb aber mit dem Fuß auf der - in der deutschen Verfassung verankerten - Schuldenbremse. Weder im Kreis der sieben wichtigsten Industrienationen und Russlands (G8) noch in der großen Runde der mächtigsten Wirtschaftsnationen der Welt (G20) wich sie davon ab. Sie warb um Verständnis, dass Deutschland mit sinkender Geburtenrate und steigender Rentnerzahl keine andere Wahl habe, als die Neuverschuldung zu reduzieren. Mit einem Abbau des Schuldenbergs hat das noch gar nichts zu tun. Insgeheim glaubt sie ohnehin, dass auch den USA bald nichts anderes mehr übrig bleibt, als zu sparen.
Schon vor dem Doppel-Gipfel war nicht mit konkreten Beschlüssen gerechnet worden. Da mag sich die Frage stellen, warum die Staats- und Regierungschefs überhaupt zu einem so aufwendigen Treffen zusammenkommen. Ist annähernd eine Milliarde Euro, die der Doppel-Gipfel allein Gastgeber Kanada kostet, dann nicht verschenkt?
Befürworter der Spitzentreffen halten dagegen, es gebe kaum eine andere Gelegenheit für diese von so unterschiedlichen Interessen und politischen Zwängen geprägten Mächtigen, einmal in Ruhe miteinander zu reden. Auch wenn es pathetisch klinge, trage das zur Sicherung des Weltfriedens bei. Immerhin ging es in Kanada auch um Konflikte wie den Krieg in Afghanistan, den Atomstreit mit dem Iran und die Spannungen zwischen Nordkorea und Südkorea.
In Kanada hat sich Merkel wieder als außenpolitisch starke Kanzlerin präsentiert, auch wenn sie ihre Vorstellungen von einer seriösen Ausgabenpolitik und weltweit schärferen Regeln für die Finanzbranche und Spekulationsgeschäfte nicht durchsetzen konnte. Sie lenkte nicht ein und vertrat unbeirrt, auch gegen die USA, ihre Positionen. Die Bilder, die um die Welt gegangen sind, zeigen sie vertraut und ins Gespräch vertieft mit den Mächtigen.
Innenpolitisch kann sie diesen Rückenwind dringend gebrauchen. Denn hier ist sie durch nicht endende Konflikte ihrer Regierung angeschlagen. Es braucht kaum noch die Opposition, um die schwarz-gelbe Koalition in Unruhezustand zu halten.
Jüngstes Beispiel: Zwar hat Merkels Kandidat für die Bundespräsidentenwahl am Mittwoch, Christian Wulff, rechnerisch eine deutliche Mehrheit. Aber anstatt die von Kritikern genüsslich gepflegten Zweifel an Wulffs Wahl gleich im ersten Wahlgang zu zerstreuen, nährt dieser selbst welche: «Manchmal habe ich gewisse Zweifel, dass es im ersten Wahlgang glückt», sagte Wulff am Samstag. Alles andere als die absolute Mehrheit gleich im ersten Wahlgang wäre aber für Merkel eine mittlere Katastrophe. Denn es würde wieder zeigen, dass sie die Reihen im eigenen Lager nicht schließen kann.
Doch Merkel würde bei einer solchen Niederlage nicht zwangsläufig «rausfliegen» wie eine im Achtelfinale unterlegene Nationalelf bei der Fußballweltmeisterschaft. Die WM war auch während der Gipfel ein beherrschendes Thema. Politiker, Berater und Journalisten fieberten mit ihren Mannschaften mit. Jubel und Raunen - je nach Torverhältnis - durchzog die Konferenzzentren, in die die Spiele übertragen wurden.
Merkel berichtete: «Am Rande spielt natürlich auch Fußball eine Rolle. Da gibt es solche, die sich freuen dabei zu sein (...) und andere die natürlich etwas traurig sind.» Zur zweiten Kategorie gehörten schon vor dem deutsch-britischen Duell Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi und US-Präsident Barack Obama.
Merkels Tipp für den Klassiker Deutschland-England lautete: 2:1. Cameron rechnete mit einem Elfmeterschießen. Vor 20 Jahren verlor England das Elfmeterschießen gegen Deutschland im Halbfinale. Deutschland wurde Weltmeister.
dpa