Mehr Leistungen - höhere Beiträge

Berlin - Das bisherige System der Pflegestufen sei zu starr, nur an den körperlichen Beeinträchtigungen ausgerichtet und richte sich in erster Linie nach dem Zeitaufwand für die Pflege. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will das mit seiner Pflegereform in zwei Stufen ändern. Bereits Anfang des Jahres trat das erste Pflegestärkungsgesetz in Kraft (AZ berichtete). Gestern brachte das Kabinett die zweite Stufe der Reform auf den parlamentarischen Weg. Zentraler Punkt ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff. Zudem sollen die Leistungen ausgeweitet werden. Das kostet Geld. Deshalb gibt es auch Beitragserhöhungen zur Pflegeversicherung. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Pflegereform:
Wie wurde Pflegebedürftigkeit bisher bewertet? Ausschlaggebendes Kriterium für die Eingruppierung in eine der drei Pflegestufen war bisher der Zeitaufwand bei der Grundpflege: Waschen, Anziehen, Essen und Ähnliches. Für Pflegestufe I muss täglich ein Mindesthilfebedarf von eineinhalb Stunden für Grundpflege und Haushalt bestehen, für Pflegestufe II mindestens 120 Minuten Grundpflege und 60 Minuten für die Hauswirtschaft und bei Pflegestufe III mindestens 240 Minuten und regelmäßige nächtliche Grundpflege sowie 60 Minuten für Hauswirtschaft. Wer keine körperliche Gebrechen hat, aber an Demenz erkrankt ist, wurde häufig in keiner der drei Stufen erfasst. Im ersten Pflegestärkungsgesetz wurde das Problem Demenz bereits angegangen.
Welches sind die Kernpunkte der Reform? Bewertet wird künftig nicht mehr so sehr nach Zeitaufwand, sondern vor allem danach, wie sehr die Selbstständigkeit eines Menschen eingeschränkt ist. Zentraler Punkt ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff, der Demenzkranken Anspruch auf die gleichen Leistungen einräumt wie Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Zugleich sollen die bisherigen drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade ausgeweitet werden.
500 000 Menschen mehr als bisher sollen Leistungen bekommen
Dadurch kann die Pflegeversicherung früher greifen: Mit dem Pflegegrad 1 werden mehr Menschen erreicht, die bisher noch keine Unterstützung erhalten haben – zum Beispiel, wenn Hilfe im Haushalt benötigt wird, sagt Gesundheitsminister Gröhe. Bis zu 500 000 Menschen zusätzlich sollen so in den Genuss von Pflegeleistungen kommen.
Bei Pflegeheimbewohnern der Grade 2 bis 5 wird der in der jeweiligen Einrichtung geltende Eigenanteil einheitlich festgelegt. Dadurch müsse niemand mehr befürchten, dass bei steigendem Pflegebedarf dieser Eigenanteil zunehme, heißt es aus dem Gesundheitsministerium.
Patientenschützer gehen jedoch davon aus, dass künftig die Bewohner mit geringem Pflegegrad mehr bezahlen müssen. Der Einstieg werde also teurer, wenn der Eigenanteil gleich bleiben solle.
Werden Leistungen heutiger Pflegebedürftiger gekürzt? Wie die bisherigen Pflegestufen in die Pflegegrade „umgerechnet“ werden können, ist bisher noch vage. Gröhe versichert aber, dass keiner der zum Stichtag der Umstellung erwarteten 2,8 Millionen Leistungsbezieher der sozialen und privaten Pflegeversicherung durch die neuen Pflegegrade schlechter gestellt wird. Anpassungen gebe es nur nach oben.
Ab wann gibt es Leistungen nach dem neuen System? Das Gesetz soll zum 1. Januar 2016 in Kraft treten. Da die Umstellung aber einige Zeit in Anspruch nehmen wird, werden neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff und neues Begutachtungsverfahren tatsächlich erst 2017 wirksam.
Wird auch für pflegende Angehörige etwas getan? Menschen, die ein Familienmitglied pflegen, sollen bei Sozialbeiträgen bessergestellt werden. So ist eine umfassende Absicherung der pflegenden Person in der Arbeitslosenversicherung vorgesehen – für den Fall der Arbeitslosigkeit nach einer Pflege. Außerdem sollen die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung angepasst werden. Hier hatte Gröhe zuletzt noch nachgebessert. Denn nicht nur Sozialverbände zweifeln, dass das professionelle Pflegepersonal in den nächsten Jahren im benötigen Umfang aufgestockt werden kann.
Wie entwickeln sich die Beiträge zur Pflegeversicherung? Mit dem ersten und zweiten Pflegestärkungsgesetz ist jeweils eine Erhöhung des Beitrags zur Pflegeversicherung verbunden. Zu Jahresbeginn stieg er von 2,05 Prozent auf 2,35 Prozent. 2017 kommt eine weitere Steigerung um 0,2 Punkte hinzu. Das soll fünf Milliarden Euro einbringen.