Im Spinnennetz: Wer macht was mit meinen Daten?

Du kannst dich nicht verstecken: Mit der Vorratsdatenspeicherung kann der Staat genau das Leben eines Bürgers nachzeichnen. Heute urteilt Karlsruhe, wann und wie er das darf
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Das Handy als Ortungswanze? Jetzt ist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gefragt.
dpa Das Handy als Ortungswanze? Jetzt ist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gefragt.

Du kannst dich nicht verstecken: Mit der Vorratsdatenspeicherung kann der Staat genau das Leben eines Bürgers nachzeichnen. Heute urteilt Karlsruhe, wann und wie er das darf

Freiheit gegen Sicherheit: Nach dem Hartz-IV-Beschluss verkündet das Bundesverfassungsgericht am Dienstag das nächste Grundsatzurteil. Es geht um die Vorratsdatenspeicherung: Damit kann der Staat jeden Bürger in einer bisher nicht gekannten Weise überwachen und sein soziales wie berufliches Leben sozusagen kartographieren.

Wer klagt? Es ist das größte Massenverfahren, das es in Deutschland je gab: 35000 Bürger haben Klage eingereicht (bei der Volkszählung 1300). Dazu gehört auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, damals noch Opposition. Zur Verhandlung erschien die FDP-Frau, mittlerweile Justizministerin, wegen ihrer „Doppelrolle“ nicht. Ein Vertreter ihres Ministeriums trat äußerst zurückhaltend auf. Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier spottete: „Der Senat ist verwundert, dass er für das angegriffene Gesetz keinen politisch Verantwortlichen hat finden können, der es verteidigt.“

Was kann herauskommen? Das Bundesverfassungsgericht hat seine große Skepsis bereits deutlich gemacht: bei der Verhandlung und zuvor beim Eilverfahren, als es der bereits laufenden Speicherung enge Grenzen setzte – so dürfen die Daten derzeit nur bei besonders schweren Straftaten genutzt werden. Ganz kippen wird Papier die Speicherung wohl nicht: Es ist rechtlich kaum möglich, als nationales Verfassungsgericht eine EU-Richtlinie zu verbieten. Doch es wird erwartet, dass das Gericht sehr strenge Spielregeln fordert. Und die aktuelle Justizministerin wird dem liebend gern folgen. Auch in der EU wird über die Richtlinie derzeit wieder nachgedacht.

Was ist daran so gefährlich? Zwar werden keine Gesprächsinhalte gespeichert. Doch schon die Daten, wann, wie oft und wie lang ein Bürger mit jemandem kommuniziert und wo er sich dabei aufhält, lassen weitgehende Rückschlüsse auf sein Leben zu: Das weist ein Gutachten des Chaos Computer Clubs für das Verfassungsgericht, das der AZ vorliegt, deutlich nach. Schon im ersten Weltkrieg wurden aus Ort und Zahl der Funksprüche des Gegners Informationen über Größe, Bewegung und Stärke seiner Truppen gefiltert. Heute, da der genaue Aufenthaltsort einer Person dank immer kleinerer Funkzellen schon beim Empfang einer SMS bestimmt werden kann, wird das Handy zur hocheffektiven „Ortungswanze“, so Constanze Kurz vom CCC.

Was heißt das für den einzelnen? Mit den Daten aus der Vorratsspeicherung kann das Beziehungsnetzwerk eines Menschen rekonstruiert werden: In sechs Monaten kommuniziert man mindestens einmal mit jedem, der eine wichtige Rolle in seinem Leben spielt. Daraus kann die entsprechende Software ein Spinnennetz zeichnen: Je häufiger der Kontakt, desto breiter der Faden. Jemand, mit dem man nachts um drei eine Stunde spricht, wird stärker gewichtet, als der gelegentliche Geschäftskontakt. Auch Hierarchien in Gruppen werden so sichtbar. Vollautomatisch registriert wird ebenso, wenn es einen intensiven neuen Kontakt gibt – sei es der Hassprediger oder die Affäre. Sichtbar werden auch die Wege, die jemand zurücklegt: Laut einer Studie aus „Science“ lässt sich das Mobilitätsverhalten eines Bürgers bereits mit 80 Prozent Genauigkeit vorhersagen, bei Leuten, die wenig reisen, mit 93 Prozent. Die Daten dazu werden längst gespeichert. Heute entscheidet Karlsruhe, wer was mit ihnen machen darf. Anja Timmermann

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