Großmacht Nichtwähler

Bei der Landtagswahl 2003 lag die Wahlbeteiligung bei 57,1 Prozent – die Zahl wird Experten zufolge noch weiter sinken . Die AZ stellt drei Menschen vor, die am Sonntag lieber daheim bleiben.
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - Bei der Landtagswahl 2003 lag die Wahlbeteiligung bei 57,1 Prozent – die Zahl wird Experten zufolge noch weiter sinken . Die AZ stellt drei Menschen vor, die am Sonntag lieber daheim bleiben.

"Meine Stimme ist mir zu schade.“ Gregor B. (54) will sich am Sonntag nicht an der Landtagswahl beteiligen. Er wüsste auch nicht, warum er sollte. „Vor der Wahl versprechen die Politiker viel. Und nach der Wahl geht der alte Trott wieder los – ohne dass viel passiert“, erklärt der Redaktionsassistent aus Planegg. Ist er ein unpolitischer Mensch? „Auf gar keinen Fall“, widerspricht er. „Nur weil ich politisch interessiert bin, komme ich ja zu dem Schluss, dass es nichts bringt!“

Sie sind das große Dilemma der Parteien: die Nichtwähler. Unaufhaltsam ist ihre Zahl seit Anfang der 80er gestiegen. Egal, wie sehr sie umworben wurden. Bei der Landtagswahl 2003 zog es nur mehr 57,1 Prozent der Stimmberechtigten an die Wahlurnen – ein Rekordtief für Bayern. Zum Vergleich: 1966 gingen noch 80,6 Prozent wählen.

Die Prognose für Sonntag? „Die Wahlbeteiligung wird vermutlich noch weiter sinken. Und das wird die CSU wohl am stärksten treffen“, lautet die Einschätzung von Andreas J. Kohlsche, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Wahl-, Sozial- und Methodenforschung. Auch Michael Weigl vom Centrum für angewandte Politikforschung in München weiß zu berichten: „Viele Politiker haben beim Straßenwahlkampf die Erfahrung gemacht: Diesmal ist es so schlimm wie nie zuvor.“ Die Menschen hätten sie regelrecht beschimpft.

Warum hat die Zahl der Nichtwähler so stark zugenommen? „Das ist ein Phänomen des Vertrauensentzugs“, sagt der Experte Heinrich Oberreuter, Professor an der Universität Passau. Auf die Frage, ob sie den politischen Parteien vertrauen, würden nur mehr 17 Prozent mit „Ja“ antworten.

Gregor B. gehört definitiv nicht zu dieser Gruppe. „Das Parteien-Gesocks sollte abgeschafft werden“, findet er. Sein Vorschlag: Man sollte Experten wählen können, die niemandem nach dem Mund reden. Der Redaktionsassistent wurde schrittweise zum Nichtwähler: Früher gab er sein Kreuzerl der SPD, dann immer den Grünen. Irgendwann begann die Verweigerung. Zuerst ging er nicht mehr zu Bundestagswahlen. Jetzt will er zum ersten Mal die Landtagswahl schwänzen. Nur bei Kommunalwahlen ist er weiter mit von der Partie: „Da kann ich die Politik noch richtig beeinflussen.“

Die Wahlverweigerer können in vier Gruppen unterteilt werden

Sind die Nichtwähler bald die stärkste Partei? Eine Frage, bei der sämtliche Experten den Kopf schütteln. „Die These ist die dümmste, die es gibt“, findet Heinrich Oberreuter. Dafür sei die Gruppierung viel zu heterogen. Der Professor gliedert die Wahlverweigerer in vier Kategorien: In die „Umorientierungs-Gruppe“ – dazu gehören Menschen, die von ihrer bisherigen Partei gerade enttäuscht sind und noch keine Alternative gefunden haben. In Protest-Nichtwähler. In zufriedene Bürger, die finden, dass die Politik ihre Sache ordentlich macht. Die es aber nicht für nötig halten, sich zu engagieren. Und dann gibt es laut Oberreuter noch die „Apathischen“, die sich nicht mit Politik befassen.

Fabian Partikel könnte in die letzte Gruppe passen. Er gibt offen zu: „Das ganze Politikgeschäft interessiert mich gar nicht so.“ Nur das mit dem Rauchverbot, das sei nicht in Ordnung gewesen, findet der Reiseverkehrskaufmann (21) – selbst Raucher. „Wenn ich persönlich betroffen bin, dann interessiert mich das schon.“

Die Diplom-Kauffrau Petra K. (40) bezeichnet sich selbst als „Politiker-verdrossen“. Die Hessin lebt seit sechs Jahren München. Wählen war sie seither nicht mehr. Obwohl sie ihre Stimme früher immer den Grünen gegeben hat. „Politik ist ein reines Medien-Spektakel geworden“, findet sie. „Und wenn es Inhalte gibt, werden sie beliebig wieder verworfen.“ Sie fühle sich momentan durch keine Partei vertreten.

Was heißt die wachsende Wahl-Verweigerung ganz konkret für die Parteien? Für die kleinen Parteien kann sie sogar nützlich sein, erklärt Oberreuter. „Aber nur, wenn die es schaffen, ihre Anhänger gut zu mobilisieren.“ Bei der letzten Landtagswahl war das nicht der Fall. Und so holte die CSU mehr als 60 Prozent. Obwohl sie im Vergleich zur Landtagswahl 1998 rund 200000 Wähler verlor – so die Angaben des Instituts für Wahl-, Sozial- und Methodenforschung. Heinrich Oberreuter weiß: „Der größte Feind der CSU ist die Lethargie des eigenen Lagers.“

Julia Lenders

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