Geißlers harte Hand

Der Vermittler lässt am Runden Tisch alle nach seiner Pfeife tanzen: Gegner und Anhänger des Bahnhofs in der Schwaben-Metropole
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Mit entschlossenem Blick demonstriert Heiner Geißler den Willen, die Schlichtung zum Erfolg zu machen.
dpa Mit entschlossenem Blick demonstriert Heiner Geißler den Willen, die Schlichtung zum Erfolg zu machen.

Stuttgart - Der Vermittler lässt am Runden Tisch alle nach seiner Pfeife tanzen: Gegner und Anhänger des Bahnhofs in der Schwaben-Metropole

Zusammengesunken sitzt er da. Die Hände am Tisch, die Stirn in Falten, fast so, als würde er wegdösen: Und dann ist er da: „Entschuldigung“, sagt Heiner Geißler, „wenn Sie so reden, dann versteht Sie kein Mensch!“ Mühelos schafft es der Mann, auf den die Augen nicht nur hier in Stuttgart gerichtet sind, einen Professor rot werden zu lassen wie einen ertappten Schulbuben.

Allein solche Momente machen es wert, dabei zu sein bei dieser Premiere in der bundesdeutschen Politszene. Politiker und Aktivisten, Ministerpräsidenten und lila gewandete Bürgerbewegte, Bahnhofsvorsteher und Bürgermeister sitzen an einem Tisch und unterwerfen sich der Moderation des Mannes, der nichts weniger versuchen soll als die Quadratur des Kreises.

Hier im vierten Stock des Stuttgarter Rathauses geht es um Weichen und „durchgeschaltete Züge“, um den Umbau oder die Zerstörung eines Bahnhofs, je nach Sichtweise.

Aber vielmehr als um „Stuttgart 21“ geht es um das Verhältnis zwischen Bürgern und Politikern, zwischen Entscheidungsträgern und denen, die erst nach vielen Jahren merken, was diese Entscheidungen für sie bedeuten.

Hinter den Diskutanten liegen Massenproteste und Wasserwerfereinsätze, theatralische Baumbesetzungen und eine Bürgerwut, die der Rest im Land den braven Schwaben bis dato nicht zugetraut hat. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel den Bau zu ihrem Ding gemacht und so mit ihrem politischen Schicksal verknüpft hat, gibt der Auseinandersetzung zusätzlich Pfeffer.

Zwei Züge fahren sprichwörtlich aufeinander zu, und ein Kompromiss ist nicht wirklich vorstellbar. Auch nicht nach dieser ersten Schlichtungsrunde. „Ein einvernehmliches Ergebnis kann ich mir nicht vorstellen“, sagt Boris Palmer. Der Mann im eleganten Dreiteiler ist im Hauptberuf grüner Oberbürgermeister von Tübingen und nebenbei seit 15 Jahren engagiertester und sachkundigster Gegner des Projekts: „Dafür müssten schon zu viele Fakten sich als unrichtig herausstellen, und das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.“

Er und seine Partei schwimmen ganz oben. In den Umfragen, und trotz des scheinbaren Widerspruchs, dass eine Öko-Partei gegen einen Bahnhof sein kann: „Der neue Bahnhof leischtet wäniger als der alte“ schwäbelt er, „sonscht könnte ich nicht dagegen sein“. Palmer macht sich keine Illusionen über die Gegenseite: „Die werden nie auf das Projekt verzichten“, sagt er der AZ: „Schon aus Gesichtswahrungsgründen.“

Die Grünen haben den ehemaligen CDU-Generalsekretär als Schlichter benannt, und als die schwarz-gelbe Regierung den Achtzigjährigen fragte, da konnte er nicht Nein sagen.

Um 8.45 Uhr, eineinviertel Stunden vor Beginn der Veranstaltung, betritt der Star, typischer blauer Anzug, silbernes Hörgerät hinter den großen Ohren, den Saal und ändert erst einmal die Sitzordnung.

Stunden später warnt er die Kombattanten vor den Fallen der Sprache: „Wir sollten nicht Sätze beginnen mit: ,Wie jedermann weiß...' oder ,Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass...'“ Da lachen noch alle, auch seine Resümees, „Ich fasse zusammen, alles ist schwierig“, sorgen für willkommene Heiterkeit.

Allerdings können nicht alle lachen. Stefan Mappus ist auch da. Am ganzen Vormittag sitzt der Ministerpräsident von Baden-Württemberg am Tisch, er nickt ab und zu, scheint aber über weite Strecken gedankenverloren - weil er an seine politische Zukunft denkt, vielleicht. Wer weiß. Er könnte der erste Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes werden, der über einen Bahnhofs stürzt.

Am Mittag nimmt der CDU-Funktionär, der der kürzestgediente Regierungschef wäre, wenn die Landtagswahl, die „Volksabstimmung“ über den Bahnhof im kommenden März, für die CDU verloren geht, seinen Abschied: „Ich geh jetzt arbeiten“, sagt Mappus zu Geißler. Der Regierungschef versteht offenbar noch immer nicht, dass ihm das als Arroganz und Abgehobenheit ausgelegt werden kann. Auch die kann ihn das Amt kosten. Geißler gibt ihm noch mal die Hand.

Matthias Maus

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