"Verheerend": Entscheidung bringt Baubranche in Not

Ende 2023 kappte die Bundesregierung plötzlich das Förderprogramm für "klimafreundlichen Neubau". Eine verheerende Entscheidung für Bauunternehmen, die Planungssicherheit brauchen. Damit der Bau die Klimaziele einhalten kann, ist nun Kreativität gefragt.
Bernhard Hiergeist |
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Hohe Zinsen und Unsicherheit im Markt: Jedes zweite deutsche Bauunternehmen klagt über zu wenig Aufträge.
Hohe Zinsen und Unsicherheit im Markt: Jedes zweite deutsche Bauunternehmen klagt über zu wenig Aufträge. © Monika Skolimowska/dpa/Symbolbild

Es ist die Blaupause für politische Vorgänge derzeit in Deutschland: Da ist ein Problem an sich schon gewaltig genug, und dann funkt auch noch der Klimawandel dazwischen. Das tut er zwar seit Jahren verlässlich, aber ausrichten lässt sich dagegen kaum etwas. Lieber beschränkt sich das Land auf die Einhaltung einer Schuldenbremse, die zwar bei den Schulden bremst, aber auch bei der Gestaltung der Gegenwart, vom Fortschritt ganz zu schweigen. 

Aktuell begegnet man diesem Muster im Wohnungsbau. Überall mangelt es an Wohnraum. Um die Lage zu entspannen, müsste mehr gebaut werden – und das klimafreundlich, um die Klimaziele zu erreichen. Doch die Förderung des klimafreundlichen Neubaus hat die Ampelregierung abgewürgt, weil plötzlich ein 60 Milliarden großes Loch im Haushalt aufgetaucht war, das irgendwie gestopft werden wollte.

KfW stoppt Förderung: Was bedeutet das für den klimafreundlichen Neubau?

"Grundsätzlich braucht die Baubranche Planungssicherheiten", sagt Christine Lemaitre, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen auf Anfrage der AZ. "Bauen ist immer etwas Langfristiges. Im Planungs- und Bauprozess kann nur schwer oder nur teilweise auf kurzfristige Änderungen reagiert werden." Und dann streicht die Regierung von heute auf morgen ein großes Förderprogramm?

Auch Förderprogramme der KfW-Bank sind von der Haushaltssperre betroffen.
Auch Förderprogramme der KfW-Bank sind von der Haushaltssperre betroffen. © Frank Rumpenhorst/dpa

Namentlich geht es um das Förderprogramm "Klimafreundlicher Neubau" der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Mitte Dezember wurde das Programm ohne Vorankündigung gestrichen. Grund war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, demzufolge die Bundesregierung Coronahilfen unzulässig umgewidmet hatte. Der klimafreundliche Neubau hatte 2023 gut zwei Milliarden Euro ausgemacht.

Klimaziele: Bis 2050 soll Deutschland klimeneutral werden

Bau und Wohnen sind für etwa 30 Prozent aller Treibhausgase verantwortlich. Laut dem Europäischen "Green Deal" sollen diese bis 2030 kräftig sinken, Deutschland bis 2050 sogar klimaneutral werden. Genau hier setzte das Förderprogramm an – droht der klimafreundliche Neubau nun komplett zu verschwinden? Gerade in einer Zeit, in der Bauunternehmen wegen gestiegener Zinsen, Rohstoffpreise und unsicherer Auftragslage klagen? Im Dezember gab in einer Befragung des ifo-Instituts mehr als jedes fünfte Unternehmen an, Stornierungen bekommen zu haben. Mehr als die Hälfte verzeichnete zu wenige Aufträge. "Die Verunsicherung der potenziellen Bauherren sitzt tief", erklärt der stellvertretende Institutsleiter Klaus Wohlrabe laut einer Mitteilung. 

Dabei sollte ja viel mehr gebaut werden, in den Großstädten ziehen die Mieten weiter kräftig an. In den acht größten deutschen Städten sind in der zweiten Jahreshälfte 2023 die Angebotsmieten um 8,2 Prozent gestiegen, hat das Beratungsunternehmen Jones Lang LaSalle ermittelt. In Berlin stiegen die Angebotsmieten laut dem Portal Immowelt im ersten Quartal des Vorjahres gar um 22 Prozent. 

Dagegen hilft nur Wohnraum, findet auch die Bundesregierung. "Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr", schrieben die Ampelparteien 2021 in ihrem Koalitionsvertrag. Für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sind das sogar zu wenig, die 400.000 markieren eher die "untere Grenze des Bedarfs" sagte er kürzlich. Wobei ausgeklammert blieb, dass der Staat ja nicht einmal diese untere Grenze erreicht: knapp 300.000 Wohnungen waren es 2023, dieses Jahr sollen es Schätzungen zufolge noch einmal deutlich weniger werden.

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) rechnet für 2024 mit nur etwa 265.000 neuen Wohnungen – weit hinter dem selbst gesteckten Ziel.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) rechnet für 2024 mit nur etwa 265.000 neuen Wohnungen – weit hinter dem selbst gesteckten Ziel. © Britta Pedersen/dpa

Bleibt neben dem Wohnproblem auch der Klimawandel im Bau auf der Strecke? Nicht unbedingt, findet etwa Wolfgang Schubert-Raab, der Präsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, der etwa 35.000 deutsche Bauunternehmen vertritt. Denn der Neubau sei nur ein kleiner Baustein im großen Zusammenhang. Klimafreundlichkeit hat mehrere Anknüpfungspunkte.

Schubert-Raab sagt, er könne jeden Bauherren verstehen, der aktuell von Bauvorhaben absehe. "Wenn ich jetzt meinen Vertrag unterschreibe und in vier Wochen kommt wieder eine neue Regelung und der Bau wird 20 oder 30.000 Euro teurer – natürlich sag‘ ich das dann lieber ab", sagt er im Gespräch mit der AZ. "Für das Baugewerbe ist das verheerend."

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Baugewerbe: Vor allem im Segment Neubau Probleme

So bringt die KfW-Förderabsage vor allem den Neubau in Nöte. "Da haben viele Unternehmen Belegschaften, die sie nicht in anderen Sparten beschäftigen können", sagt Schubert-Raab. Ein Unternehmen, das sich auf Neubau spezialisiert habe, kann nicht schnell auf Renovierungen oder klimatechnische Ertüchtigung umschwenken. Für Firmen, die in der Infrastruktur beschäftigt – mit Straßen, Schienen, Brücken etwa – oder im Ausbau tätig seien sowie im Holzbau sei die Lage nicht ganz so angespannt, erklärt er.

Schubert-Raab sieht ein Problem darin, dass die Bundesregierung in den vergangenen Jahren die Standards im klimafreundlichen Neubau immer weiter verschärft (also den Bau auch teurer gemacht haben), aber gleichzeitig die Förderung gekappt habe. So sei nur mehr auf den höchsten Standard gesetzt worden, nicht mehr auf die milderen Stufen. Gefördert wurde zuletzt nur noch das sogenannte Effizienzhaus 55, das 45 Prozent weniger Schadstoffe ausstößt als der gesetzliche Standard. Vor einigen Jahren war es noch das Effizienzhaus 70, das 30 Prozent weniger Schadstoffe ausstößt.

Schubert-Raab findet: Lieber EH-70 fördern und bauen als EH-55 fördern und gar nicht bauen. "Den EH-70-Standard hat jeder noch in der Schublade liegen", sagt er. "Wenn der jetzt weiter gefördert würde zu Kriterien, die jetzt festgeschrieben und eingehalten werden, dann würde das sofort etwas bewirken."

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Auch bei der Herstellung von Baustoffen könne kräftig CO2 eingespart werden, wenn diese klimaneutral erzeugt würden. Baustahl, Zement, Ziegel, Heizstoffe, all das könne CO2-reduziert produziert werden. "Wenn wir schauen, dass wir anders bauen als bisher, wäre das ein viel größerer Hebel beim klimafreundlichen Bauen als die KfW-Förderung", sagt Schubert-Raab. 

Ein anderer wäre: überhaupt weniger bauen. "Wir werden nicht München leer liegen lassen und nebenan neu aufbauen", sagt Sarah Schlesinger vom Beratungsunternehmen Blackprint, das die Digitalisierung in der Immobilienwirtschaft vorantreiben möchte. "Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was mit dem Bestand passiert."

In der Digitalisierung hinkt die Baunindustrie hinterher

Die meiste Bausubstanz in den Städten stamme aus der Nachkriegszeit. "Das ist nicht die wahnsinnig resilienteste oder gut gedämmte Substanz", sagt Schlesinger im Gespräch mit der AZ. Es handelte sich eben um Trümmer, Ziegel, Schutt. Damals habe sehr rasch gebaut werden müssen, um Deutschland nach dem Krieg bewohnbar zu gestalten. Dieser Bestand sei es, der energetisch optimiert und ertüchtigt werden müsste, findet Schlesinger. "Mit Förderungen zu Neubau gewinnen wir hier nicht. So groß kann der Fördertopf gar nicht werden."

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Also: Optimieren, und das vor allem effizient, etwa indem man auf die Möglichkeiten der Digitalisierung setzt. Diese würden in der Bauindustrie noch längst nicht ausgeschöpft wie in anderen Branchen, sagt Schlesinger. Sie schildert gängige Konflikte auf Baustellen, die jeder Hausbauer kennen dürfte: etwa, wenn sich verschiedene Gewerke in die Haare kriegen, oder weil im Plan eine Wasser- oder Stromleitung vergessen wurde. Dies könne verhindert werden, wenn auch Gebäude erst einmal mittels eines sogenannten digitalen Zwillings geplant würden. "Beim Autobau oder bei der Herstellung von Möbeln ist das gang und gäbe, für Immobilien wurde das lange gar nicht in Betracht gezogen", sagt Schlesinger.

Mehr steuerliche Vorteile beim klimafreundlichen Bauen?

Sie findet auch: Bevor gewisse Standards gefördert würden, sollten Standards verlässlich definiert werden. "Wir haben ungefähr 21.000 Baurechtsregeln auf nationaler Ebene, dann noch auf regionaler und lokaler Ebene." Bayern definiere ein Haus anders als Baden-Württemberg. "Wenn es keine Standards gibt, können wir auch keine Bauregeln festsetzen", etwa wie ein Gebäude gedämmt werden solle. "Und dann können wir auch keine digitalen Werkzeuge nutzen, die wir da dran setzen."

Auch gäbe es, abgesehen von der Förderung, weitere Gestaltungsmöglichkeiten, etwa über Abschreibungsregeln. "Darüber kann ich wahnsinnig gut steuern, wo Innovation hingeht, und Erleichterung schaffen statt Bürokratie", sagt Schlesinger. "Diese ganze Bürokratie kann ja eigentlich nur zu Ärger führen und zu Ungleichbehandlung."

Ob nun Neubau oder Ertüchtigung des Bestands: Bezahlbares Wohnen sei ein elementarer Faktor für das Zusammenleben in einer Gesellschaft, sagt Wolfgang Schubert-Raab vom Zentralverband des Baugewerbes. "Wenn wir bloß die Hälfte der Wohnungen auf die Reihe bringen, die eigentlich notwendig wären, produzieren wir eine soziale Schieflage."

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  • Geradeaus-Denker am 18.02.2024 18:20 Uhr / Bewertung:

    Ich erwäge mir noch eine Immobilie zur Altersvorsorge zu kaufen. Ich würde gerne aus energetischen Gründen einen Neubau kaufen. Das werede ich aber nicht solange das Fertigstellungsrisiko beim Käufer liegt.
    - Die Garantie wird von eine dünn finanzierten Projekt-GmbH gegeben, ist also nichts wert.
    - Ich müsste über die Bauphasen hinweg immer grössere Teile finanzieren. Ohne eine vermietbare Wohnung zu haben.
    Leider habe ich nicht so viel Geld, dass ich es so leicht riskieren könnte!

  • Geradeaus-Denker am 17.02.2024 08:27 Uhr / Bewertung:

    Wenn man sich von der Fixierung auf die Klima-Argumentation lösen würde käme man mit harten wirtschaftlichen Fakten zu den selben Ergebnissen:
    - Glaubt irgend jemand, dass Energiepreise, egal ob ÖL, Gas, Wasserstoff, ... wieder so billig werden wie ehemals russisches Gas? Ist es dann nicht sinnvoll Gebäude besser zu dämmen um weniger zu verbrauchen, egal wovon?
    - Glaubt irgend jemand, dass wir angesichts der Konflikte auf der Welt, eine stabile Energieversorgung mit Öl, Gas und Uran haben werden ohne einen grossen Teil selbst zu produzieren? Und das geht nur mit erneuerbaren Energie und Strom.

    Und da wird immer noch diskutiert ob Wärmepumpe, Wind- und Sonnenenergieu der richtige Weg ist. Klar gibt es Probleme. Die werden von unseren Ingineur:innen gelöst. Und als innovative Produkte exportiert!

  • FRUSTI13 am 17.02.2024 18:19 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Geradeaus-Denker

    Ok, dann warten wir, bis diese Probleme gelöst sind!

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