Dürfen wir das?

Es ist ein Streit um Leben, Tod und viel Geld: Wie frei darf man mit embryonalen Stammzellen forschen? Viele Patienten hoffen, doch Kritiker warnen. Am Freitag entscheidet der Bundestag.
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Das Bild zeigt, wie einem menschlichen Embryo Stammzellen entnommen werden. Der Embryo stirbt, die Zellen sollen der Forschung dienen.
ap Das Bild zeigt, wie einem menschlichen Embryo Stammzellen entnommen werden. Der Embryo stirbt, die Zellen sollen der Forschung dienen.

Es ist ein Streit um Leben, Tod und viel Geld: Wie frei darf man mit embryonalen Stammzellen forschen? Viele Patienten hoffen, doch Kritiker warnen. Am Freitag entscheidet der Bundestag.

Wolfgang-Michael Franz steht in seinem Labor und ist begeistert. „Da!“, ruft er und zeigt auf einen Monitor. Darauf ist eine wabbelige Masse zu sehen. Wenn man genau hinsieht, fällt auf: Die Masse pulsiert. „Das sind Herzzellen“, sagt Franz, „schlagende Herzzellen“. 30 bis 40 Schläge pro Minute. Dem Münchner Stammzellforscher ist es gelungen, embryonale Stammzellen in Herzzellen umzuwandeln. Was das bringt?

Bis zu 16 000 Menschen in Deutschland bräuchten pro Jahr eine Herzmuskel- Transplantation, erzählt Franz. 390 bekommen eine. Dabei könnten embryonale Stammzellen das Leben Tausender retten. Franz kann aus embryonalen Stammzellen von Menschen Herzmuskelzellen machen. Diese will er seinen Patienten – irgendwann, wenn die Zeit reif ist – einsetzen, damit ihr kaputtes Herzmuskel-Gewebe heilt.

"Dann steht die Forschung vor dem Aus"

Sein Problem: In Deutschland ist es verboten, embryonale Stammzellen herzustellen. Auch der Import solcher Zellen ist stark eingeschränkt. Laut Stammzellgesetz dürfen nur Zellen von Embryonen verwendet werden, die vor 2002 im Ausland entstanden sind. Am Freitag entscheidet der Bundestag darüber, ob das Stammzellgesetz geändert werden muss. Für Wolfgang- Michael Franz steht fest: Wird das Gesetz nicht gelockert, steht die Forschung in Deutschland vor dem Aus.

Franz hat mächtige Gegner: Die Kirche will die Forschung verbieten. Der Grund: Die Zellen werden aus Embryonen genommen, vier bis sieben Tage nach der Befruchtung der Eizelle. Bei der Herstellung werden die menschlichen Embryonen getötet.

"Menschliches Leben verbraucht"

Aber auch Nicht-Kirchenvertreter machen gegen ein liberales Stammzellgesetz mobil: Das Grundrecht auf Leben gelte bereits ab der Befruchtung der Eizelle, heißt es. „Hier wird menschliches Leben verbraucht, vernutzt“, sagt Christian Frodl von der Interessensgemeinschaft Kritische Bioethik Bayern. Frodl sagt, dass bisherige Forschungen, alle finanziert mit Millionen von Steuergeldern, keine Ergebnisse gebracht hätten. Außer, dass bei manchen Versuchen Tumore entstanden sind. Und dass es doch Alternativen gäbe: Stammzellen aus dem Knochenmark zum Beispiel oder Stammzellen aus Nabelschnur-Blut.

„Und was ist mit der Freiheit der Forschung?“, fragt Wissenschaftler Franz. Das sei doch auch ein Grundrecht. Und auch die Sache mit dem Vernichten des Lebens sei anders: Bei den Stammzellen, mit denen Wissenschaftler forschen, handelt es sich um Überbleibsel einer künstlichen Befruchtung. Wenn ein Retorten-Baby gezeugt wird, werden stets mehr Eizellen befruchtet, als tatsächlich gebraucht werden. Die kann man wegwerfen – oder für die Forschung spenden.

Franz ist bekennender Katholik – und hat keine Probleme mit seinem Job. Im Gegenteil: Er interpretiert seine Arbeit als praktizierte Nächstenliebe.

Mehr als Science Fiction?

Doch warum sind es gerade die embryonalen Stammzellen, die Wissenschaftler so faszinieren? Nur aus den Zellen eines Embryos lassen sich mehr als 200 Gewebetypen züchten – von der Nasenschleimhaut bis zum Zehennagel. Die Hoffnung: Erkrankt ein Mensch an Parkinson, Krebs, Diabetes oder einer Herzkrankheit, bekommt er Stammzellen als Ersatz. „Das ist Science Fiction. Zumindest noch“, sagt Professor Andres Ceballos-Baumann vom Neurologischen Krankenhaus München.

Dem Mediziner gegenüber sitzt Anton Josef Krautkremer (70). Er weiß seit 15 Jahren, dass er Parkinson hat. Früher war er Jet-Pilot bei der Bundeswehr. Parkinson änderte sein Leben. Heute zittern Krautkremers Füße und Hände, zum Gehen braucht er einen Stock. Wenn er länger redet, bleibt ihm die Stimme weg. „Ich erhoffe mir sehr viel von der Forschung mit embryonalen Stammzellen“, sagt er. Die Gegner der Stammzellforschung kann er nicht verstehen. Er wolle doch nur, dass es ein bisschen bergauf mit ihm geht.

Sein Arzt ist skeptisch: „Es gibt keine Studien, in denen eine Heilung von Parkinson-Patienten durch embryonale Stammzellen nachgewiesen werden konnte“, sagt Andres Ceballos-Baumann. Zurück im Labor von Wolfgang- Michael Franz. Seine Mitarbeiterin sitzt vor einer Maus. Vor vier Wochen hat sie bei dem Tier einen Herzinfarkt herbeigeführt, dann embryonale Maus-Stammzellen ins Herz transplantiert. Jetzt misst sie die Herzfunktion.

Wie ein tolles Auto ohne Schlüssel

Warum forschen Sie nicht mit menschlichen Zellen? „Weil wir laut Gesetz nur alte Zellen haben dürfen. Und damit haben wir zu viele Probleme“, sagt Franz. Die legalen Zellen seien verunreinigt oder mutiert. Von ausländischen Kollegen wird Franz belächelt, Millionen-Aufträge gehen an Deutschland vorbei. Franz fühlt sich wie einer, der ein tolles Auto hat – aber keinen Schlüssel dafür. Noch etwas ärgert ihn: Deutschland zahlt in einen EU-Fonds für Stammzellforschung ein. Leider hat Franz nichts davon: „Wir geben Steuergelder an die EU, andere forschen damit. Und ich komme ins Gefängnis, wenn ich in Deutschland das gleiche tun würde.“

Volker ter Haseborg

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