Der unheimliche Herr M. - Tritt der Bahnchef zurück?
BERLIN - Skandale und Provokationen pflastern seinen Weg. Jetzt kommen immer mehr Details über die Spitzelaffären ans Licht. Hat Bahn-Chef Hartmut Mehdorn den Bogen diesmal überspannt?
Immer neue Details belasten Bahnchef Hartmut Mehdorn, der Chor der Kritiker schwillt an, der Rücktritt des umstrittenen Top-Managers scheint nur noch eine Frage der Zeit.
In der Spitzelaffäre kommen Einzelheiten ans Licht, die den Weltkonzern wie eine Mafia-Bande aussehen lassen. Die Bundesregierung fordert „lückenlose Aufklärung“, die Arbeitnehmervertreter des Konzerns haben eine für heute geplante Gesprächsrunde mit Mehdorn abgesagt: „Wir wollen keine informellen Gespräche mehr, wir wollen eine Sitzung des Aufsichtsrats.“ Dort sitzen Vertreter der Industrie, des Bundes und der Arbeitnehmervertreter. Formell kann nur dieses Gremium Mehdorn den Job nehmen.
In den vergangenen Tagen waren gleich zwei große Spitzelaffären bekannt geworden: In den Jahren 2002 und 2003 hat die Bahn 170000 Angestellte ausgeforscht, vom Schaffner bis zum leitenden Angestellten. Mehdorn räumte ein, man sei „vielleicht übereifrig gewesen“. Wenig später gab der Konzern eine ähnliche Aktion von 2005 zu, wo die Daten von 200000 Arbeitnehmern abgeglichen wurden – also fast aller Bahnbediensteten. Ziel der Aktion war nach Konzernangaben, mögliche Korruption bei der Auftragsvergabe aufzudecken.
Wie lange hält Tiefensee noch seine Hand über Mehdorn?
Es ging aber auch um Dinge, die Mehdorn persönlich betrafen und die er mit gleichem Eifer verfolgte. Aus einem internen Papier der Berliner Datenschutzbehörde geht hervor, wie Mehdorn Gegner in seinen Reihen verfolgen ließ. Die Bahn heuerte Detektive der Firma „Network“ an. Die fahndeten nach einem Mitarbeiter, der den Bahnchef unter falschem Namen wegen eines Steuerdelikts angezeigt hatte. Der Kreis der Verdächtigen war relativ klein, weil in der Anzeige Details aufgeführt waren, die nur 40 Leute kannten. Die Bahn stellte den Schnüfflern umfangreiche Daten über die Verdächtigen vor, darunter zahlreiche „E-Mails, Kontonummern der Ehefrau und Schreiben an den Betriebsrat“, wie sich die Prüfer wundern. Die Detektive erstellten „Schriftstilgutachten“ und filterten so einen Verdächtigen heraus. Der wurde gefeuert, doch das Berliner Arbeitsgericht erkannte die „Gutachten“ der Detektive nicht an und erklärte die Kündigung für nichtig.
Die Zusammenarbeit mit den Network-Detektiven ließ sich das Staatsunternehmen in den vergangenen 13 Jahren 800000 Euro kosten. Über diese Aufträge gibt es keine Verträge. Lediglich mündlich seien sie erteilt worden, sagt die Bahn in dem Bericht der Datenschützer, der der AZ vorliegt.
Die Detektive forschten über die Jahre Mitarbeiter ohne deren Wissen aus. Hinter klingenden Operations-Namen wie „Rubens“ suchten die Schnüffler nach Belegen für Vorteilsnahme oder Korruption. Dafür wurden die Computer der Verdächtigen gehackt und die Festplatten kopiert – ohne Wissen der Betroffenen.
Im Projekt „Eichhörnchen“ wurde das wirtschaftliche Engagement der „Top-Tausend“ Führungskräfte der Bahn beleuchtet. Über die Ergebnisse der Aktion wurde nichts bekannt. Interessant auch das Projekt „Traviata“, in dem der Verbleib mehrerer verschwundener Loks aufgeklärt werden sollte.
Politiker der Grünen fordern Mehdorns Rücktritt, die Gewerkschafter wollen erst einmal Aufklärung der Vorwürfe. Das übergeordnete Verkehrsministerium beklagt, dass „noch kein Blatt Papier zur Aufklärung des Falles“ im Ministerium eingegangen sei. Bisher hat Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) noch in jedem Skandal die schützende Hand über Mehdorn gehalten. Ob er das jetzt wieder tut, muss sich zeigen.
Angela Böhm und Matthias Maus
Die Pannenchronik einer Hassfigur
Seit 1999 ist Mehdorn Bahn-Chef. Seitdem sorgt er immer wieder für Unmut
2001 Mehdorn fordert, dass Bahnhofsmissionen kein warmes Essen mehr ausgeben sollen. „Obdachlose gehören nicht in den Bahnhof.“ Außerdem habe er manchmal „das Gefühl, dass die Behörden Junkies am Bahnhof haben wollen, weil sie sie da auf einem Fleck haben - Nach Kritik der Grünen und der Evangelischen Kirche relativiert Mehdorn seine Aussagen.
2002 führt Mehdorn ein neues Tarifsystem ein. Unter anderem schafft er die Bahncard 50 ab und verlangt Umtauschgebühren von bis zu 45 Euro. Nach Chaos, anhaltender Kritik und wegen sinkender Fahrgastzahlen muss Mehdorn das System 2003 kippen. Zwei Vorstände gehen. Mehdorns Vertrag wird vorzeitig bis 2008 verlängert.
2004 Mehdorn drängt massiv auf den Börsengang der Bahn. In einem Brief an BDI-Chef Michael Rogowksi bezeichnet er kritische Verkehrspolitiker verschiedener Fraktionen als „bösartig“ und „so genannte Verkehrsexperten“. Der Börsengang wird verschoben, Kanzler Schröder stellt sich vor Mehdorn.
2006 Mehdorn lehnt es ab, dass die Ausstellung „Sonderzüge in den Tod“ über Deportationen in Zügen der Reichsbahn in Bahnhöfen ausgestellt wird. Nach monatelanger Kritik ändert er seine Meinung.
Juli 2008 Am 9. Juli entgleist im Kölner Bahnhof ein ICE wegen eines Achsenschadens. Die Aufsichtsbehörde, das Eisenbahnbundesamt, weist daraufhin, dass ein solcher Unfall bei normaler Geschwindigkeit hunderte Menschenleben gekostet hätte und fordert kürzere Prüfungsintervalle der ICS-Flotte. Mehdorn bezeichnet die Reaktion als „unverhältnismäßig“.
August 2008 Fast ein Jahr hatte der Tarifkonflikt mit der Gewerkschaft der Lokführer gedauert. Im August präsentiert Mehdorn pünktlich vor dem geplanten Börsengang ein Gewinnplus – und kündigt Preiserhöhungen für Ende 2008 an. Als Grund nennt er unter anderem erhöhte Personalkosten.
August 2008 Mehdorn kündigt einen „Bedienzuschlag“ an. 2,50 Euro soll zahlen, wer seinen Fahrschein an einem Schalter kaufen will. Bundeskanzlerin Angela Merkel bremst den Bahnchef ein.
Oktober 2008 Es wird bekannt, dass die Vorstände der Bahn im Fall eines Börsengang Bonuszahlungen erhalten sollen, auch sollen deren Grundgehälter sprunghaft steigen. Mehdorn bekäme auf jeden Fall 140 000 Euro extra, neben seinem Grundgehalt von künftig 900000 Euro (bisher 750000 Euro) und bis zu 3,51 Millionen Euro Leistungszulage. Die Bundesregierung fordert Mehdorn zum Verzicht auf. Auch Verkehrsminister Tiefensee gerät ins Taumeln.
Januar 2009 Mehdorn kündigt weitere Preissteigerungen zum Jahresende an
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