Blaues Auge statt "blaues Wunder" - SPÖ hält FPÖ auf Abstand

Die Flüchtlingsfrage war das dominierende Thema bei der Landtagswahl in Wien. Der europaweit beachtete Stimmungstest verlief weniger dramatisch als erwartet. Die FPÖ sieht aber einen Etappensieg.
Wien - So sehen keine Sieger aus. Rechtspopulist Heinz-Christian Strache wirkte bei der Elefantenrunde der Spitzenkandidaten im österreichischen Fernsehen eher gequält als rundum zufrieden. Seine FPÖ hat zwar mit rund 31 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Wien erzielt, aber das von Strache erhoffte "blaue Wunder" - unter Anspielung auf die Parteifarbe blau - blieb aus. "Das ist ein respektabler Abstand", räumte der 46-jährige Zahntechniker ein. Die SPÖ war - zur Überraschung auch der Wahlforscher - auf immerhin fast 40 Prozent gekommen. Die Flüchtlingsfrage hatte der ausländerkritischen FPÖ am Ende weniger Wähler beschert als von den Rechtspopulisten erhofft.
Wiens Bürgermeister und Ministerpräsident Michael Häupl (SPÖ) hatte sich im Wahlkampf als "Anti-Strache" inszeniert - und damit die Wähler in letzter Minute mobilisiert. "Die Flüchtlingsfrage war nicht mein Wunschthema", bekannte der in Parteikreisen höchst einflussreiche 65-jährige SPÖ-Politiker am Sonntagabend. Aber es sei wichtig, Menschen die vor Mord, Terror und Hunger fliehen, zu helfen. Die Botschaft bewahrte die SPÖ vor einem größeren Debakel. In Umfragen war ihr ein Minus von bis zu zehn Prozentpunkten und ein historisches Tief vorhergesagt worden. Es blieb beim blauen Auge.
Die Grünen zeigten sich bei minimalen Verlusten und rund 11,7 Prozent erleichtert, dass eine Fortsetzung von Rot-Grün auf Landesebene möglich wäre. Die konservative ÖVP kam nur noch auf rund 9,2 Prozent. "Gibt es keine Bürgerlichen mehr in Wien?", musste sich deren Spitzenkandidat Manfred Juraczka fragen lassen. Der verwies darauf, die Flüchtlingsfrage und der Duell-Charakter der Wahl habe klassische Zukunftsthemen der Stadt überlagert.
Als Siegerin fühlte sich die 37-jährige Beate Meinl-Reisinger von den liberalen Neos. Die Neos, zur Nationalratswahl 2013 wie Phoenix aus der Asche aufgestiegen und danach fast wieder in der Versenkung verschwunden, ziehen mit gut sechs Prozent in den Wiener Landtag. Ihr überragendes Wahlkampfthema war der Kampf gegen den Filz in der Stadt mit ihren 1,7 Millionen Einwohnern.
Die politische Ohrfeige für SPÖ und ÖVP schmerzt aber allemal. Die beiden Parteien, die seit Kriegsende viele Jahrzehnte gemeinsam in großen Koalitionen die Alpenrepublik regiert haben, haben erstmals seit 1945 rechnerisch keine gemeinsame Mehrheit mehr. "Das ist ein historischer Moment", sagte die Kärntner Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle.
Zur Tagesordnung kann die SPÖ ohnehin nicht übergehen. Sie hat ein massives Strukturproblem: Ihr laufen die Arbeiter davon, die eine neue Heimat bei der FPÖ finden. Schon bei der Landtagswahl in Oberösterreich vor zwei Wochen wählten 61 Prozent der Arbeiter die FPÖ, 21 Prozent die ÖVP und nur 15 Prozent die SPÖ. In Wien fielen die Zahlen nicht viel anders aus.
Die Zugewinne der FPÖ dürfen nach Überzeugung von Experten nicht allein auf die Flüchtlingsfrage zurückgeführt werden. "Es herrscht eine große Grundunzufriedenheit im Land", sagte der Politologe Peter Filzmaier. Im Gegensatz zu Deutschland, wo viele Menschen eher optimistisch in die Zukunft schauten, machten sich die Österreicher große Sorgen über die wirtschaftliche Zukunft. Die Regierung von Kanzler Werner Faymann (SPÖ) sei im Vergleich zu den Umfragewerten für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) deutlich unpopulärer im Volk. "Die Flüchtlingsfrage hat den Trend zugunsten der FPÖ verstärkt, ihn aber nicht ausgelöst", sagte Filzmaier am Sonntag.
So gab sich Strache am Ende der TV-Diskussion doch noch trotzig selbstbewusst: "Es hat heute noch nicht geklappt , aber wir sind wieder ein Stück näher gekommen", sagte der Machtbewusste.