Prozess um Feuertod muss neu aufgerollt werden

Der Fall Oury Jalloh muss neu aufgerollt werden: Der Bundesgerichtshof kassiert den Freispruch für einen Polizisten, der einfach den Feuermelder ausgemacht hat, als es in seiner Zelle brannte.
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Andreas S.: Er wurde 2008 freigesprochen
dpa Andreas S.: Er wurde 2008 freigesprochen

KARLSRUHE - Der Fall Oury Jalloh muss neu aufgerollt werden: Der Bundesgerichtshof kassiert den Freispruch für einen Polizisten, der einfach den Feuermelder ausgemacht hat, als es in seiner Zelle brannte.

Jubel, Umarmungen, Schulterklopfen: Solche Gefühlsausbrüche sieht man im nüchtern-grauen Gerichtssaal des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe vermutlich eher selten. Doch gestern fielen sich rund ein Dutzend Afrikaner auf den Zuschauerbänken bei der Urteilsverkündung in die Arme.

Der Prozess um den verbrannten Asylbewerber Oury Jalloh muss neu aufgerollt werden. Damit kassierten die Karlsruher Richter den Freispruch des Landgerichts Dessau für einen Polizisten. Der Fall hatte damals für großes Aufsehen und massive Proteste von Menschenrechtsorganisationen gesorgt.

Rückblick: Am 7. Januar 2005 wird der 23-jährige Oury Jalloh aus Sierra Leone in eine Ausnüchterungszelle einer Dessauer Polizeiwache geworfen. Er wird an Händen und Füßen gefesselt. Zuvor soll Jalloh unter Kokain- und Alkoholeinfluss auf der Straße Frauen belästigt haben. Die herbeigerufene Polizei nimmt Jalloh in Gewahrsam und fixiert ihn in seiner Zelle. Später sagen die Beamten aus, bei der Durchsuchung seiner Taschen nur ein Päckchen Taschentücher gefunden zu haben. Doch offenbar hatte Jalloh auch ein Feuerzeug dabei.

Trotz seiner Fesseln gelingt es dem unter Drogen stehenden Afrikaner, seine Matratze anzuzünden. Als der Feuermelder Alarm auslöst, soll der verantwortliche Polizeibeamte Andreas S. den Alarm einfach ausgeschaltet haben, ohne in der Zelle nachzusehen. Begründung: Es habe schon öfter Fehlalarme gegeben. Danach ruft Andreas S. erst seinen Vorgesetzten an, macht sich dann auf den Weg zur Zelle und muss dann nochmal umdrehen, weil er den Fußfessel-Schlüssel vergessen hatte. Bevor Oury Jalloh verbrannte, starb er an einem Hitzeschock. Seine Zelle hatte sich auf über 350 Grad Celsius aufgeheizt.

Im anschließenden Prozess hatte das Landgericht Dessau-Roßlau die beiden Polizisten – Andreas S. und seinen Kollegen, der Jalloh durchsucht hatte – aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

  Für die Richter des BGH ist dagegen klar: Andreas S. hat klar gegen seine Pflicht verstoßen. Er hätte schon beim ersten Feuermelder-Signal nach Jalloh schauen müssen – unabhängig davon, ob es vorher schon Fehlalarme gegeben hatte oder nicht. Die Dessauer Richter hatten sein Vorgehen damals noch als pflichtgemäßes Verhalten bewertet.

Außerdem forderten die Karlsruher Richter die Kollegen in Sachsen-Anhalt auf, die Entwicklung der Aussagen der Polizisten genau unter die Lupe zu nehmen – und zu prüfen, ob es Einfluss aus dem Kollegenkreis gegeben habe.

Menschenrechtsorganisationen hatten der Polizei damals vorgeworfen, den Fall vertuschen und Kollegen decken zu wollen. Konrad Freiberg, Chef der Polizeigewerkschaft, räumt ein: „Es gibt natürlich eine Abhängigkeit untereinander und einen moralischen Druck.“ Man müsse Polizisten Mut machen, auch gegen eigene Kollegen auszusagen. Das Landgericht Magdeburg rollt den Prozess jetzt neu auf. Vielleicht kann der Fall dort endgültig geklärt werden.

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