Jugendwort-Favorit "Talahon": Das steckt dahinter

Der Begriff "Talahon" könnte diesen Samstag zum Jugendwort des Jahres 2024 gekürt werden. Was Jugendliche über den Begriff denken und wie Rechte ihn vereinnahmen.
von  Maximilian Neumair, Sophie Schnauffer
Die klischeehafte Darstellung eines "Talahons" in dem Musikvideo "Verliebt in einen Talahon": ein Mann mit Kappe und Kette, der schattenboxt.
Die klischeehafte Darstellung eines "Talahons" in dem Musikvideo "Verliebt in einen Talahon": ein Mann mit Kappe und Kette, der schattenboxt. © Screenshot: Ariellebilo bei YouTube

München – Boxen gegen einen imaginären Gegner, eine Fake-Gucci-Cap auf dem Kopf und einen Louis-Vuitton-Gürtel um die Hüfte – wer so auftritt, wird von Jugendlichen als "Talahon" bezeichnet. Der Begriff, der im Arabischen wörtlich übersetzt "Komm her!" bedeutet, hat sich in den Generationen Z und Alpha wie ein Lauffeuer verbreitet.

Wenig überraschend steht er zur Auswahl, das Jugendwort des Jahres 2024 zu werden, das diesen Samstag auf der Buchmesse in Frankfurt gekürt wird. Experten zufolge gilt es als Favorit. Auch von der AZ befragte Jugendliche bestätigen, wie sehr "Talahon" sich inzwischen in ihre Alltagssprache eingeschlichen hat. Doch kritische Stimmen werden laut, die den Begriff für rassistisch halten. Was ist da dran?

Das denken Jugendliche wirklich über "Talahon"

Für den 19-jährigen Kai Dutsch (echter Name der Redaktion bekannt) ist das Wort "Talahon" diskriminierend. "Leute in unserem Alter sagen das bei so Menschen, die sich stereotypisch assi anziehen oder ein typisches Talahon-Verhalten an den Tagen legen, wie breit laufen oder assi reden", sagt Dutsch der AZ. Leider werde das Wort größtenteils für Menschen mit Migrationshintergrund genutzt. Laut Leo Kärcher (18) kann ein "Talahon" auch ein Deutscher sein. Entscheidend sei das Auftreten, wie etwa Fake-Markenklamotten, metallisch glänzende Ketten und ein Ziegenbart, sagt er im Gespräch mit der AZ.

Auch der 17-jährige Milan Savic (echter Name der Redaktion bekannt) denkt, dass der Begriff an das Verhalten und nicht an die Herkunft gekoppelt sei. Er selbst kommt aus einem anderen Land und bezeichnet sich als "Kanake". "Das ist okay, du wirst als einer geboren", sagt Savic der AZ. "Im Gegensatz dazu kannst du dich dazu entscheiden, ein 'Talahon' zu werden, dich so zu kleiden und so zu verhalten."

"Die Mehrheit nutzt ihn nicht rassistisch"

Auch der Allgäuer Jugendforscher Simon Schnetzer sagt im Gespräch mit der AZ: "Die Mehrheit nutzt ihn nicht rassistisch." Unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund stifte er vor allem ein gewisses "Zugehörigkeitsgefühl". Die Markengürtel und -taschen seien sogenannte "Code-Objekte", um zu signalisieren, Teil einer Gruppe zu sein.

Losgestoßen von dem Song "Ta3al Lahon" vom kurdisch-syrischen Rapper Hassan, verbreitet über Soziale Medien wie TikTok, wo unter dem Hashtag "#Talahon" zahlreiche Beiträge, Videos und Fotos von Jugendlichen online gestellt werden, und angeheizt von Influencern mit großer Reichweite, die den Begriff aufgreifen und weiterverbreiten, weil sie sich mediale Aufmerksamkeit dadurch erhoffen. Dass das Wort so prominent geworden ist, liegt laut Jugendforscher Schnetzer auch daran, dass sein Gebrauch unter den Jugendlichen Anerkennung oder eine gewisse Sichtbarkeit verspricht.

Zwischen Jugendlichen, die sich selbst als "Talahons" bezeichnen, hat das Wort demnach eine ähnliche Bedeutung wie das englische "Bro" (zu Deutsch: Bruder). Es ist auch ein Zeichen dafür, wie stark Arabisch mittlerweile Teil der Jugendsprache sei.

Ex-AfD-Politiker: "Remigration statt Talahon"

Der Jugendforscher räumt aber auch ein: "So wie die einen sich damit identifizieren, grenzen sich die anderen davon ab und benutzen denselben Begriff im negativen Sinn." In rechten Kreisen wird "Talahon" längst als herabwürdigende Beleidigung verwendet. So sagte etwa der ehemalige AfD-Politiker Matthias Helferich im Bundestag vergangene Woche: "Die Parole muss lauten: millionenfache Remigration statt Talahon!"

Die Junge Alternative Thüringen postete auf Instagram eine Werbung für ein Online-Spiel namens "Deutschlandretter24", in der die Rede von einer "Bundesrepublik voller Talahons" ist, die millionenfach abgeschoben werden müssten. Orte, an denen sich keine Menschen mit Migrationshintergrund aufhalten, werden gefilmt oder fotografiert und als "talahonfreie Zonen" in den Sozialen Medien bezeichnet.

Hamado Dipama, der Chef des Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern, sagt der AZ: "Der Begriff dient Rechten dazu, eine bestimmte Gruppe an Jugendlichen zu stigmatisieren und zu kriminalisieren." Er vergleicht das "T-Wort", wie er es in Anlehnung an die tabuisierte Beleidigung für Schwarze nennt, mit dem Begriff "Clan-Kriminalität": "Wenn man an einen Clan denkt, hat man immer eine bestimmte Gruppe an Menschen im Kopf". Wer von "Talahons" spricht, denkt demnach nicht an "weiße Jugendliche aus der Mehrheitsgesellschaft".

"Aber so funktioniert Rassismus"

Dipama weiß zwar, dass nicht jeder dieses Wort direkt mit einem negativen Hintergedanken nutze. "Aber so funktioniert Rassismus." Er hält es für alamierend, dass das Wort zum Jugendwort nominiert wurde: "Vor allem in der sehr polarisierten Gesellschaftssituation, in der wir uns derzeit befinden."

Ein Sieg am Samstag würde jedoch nicht bedeuten, dass "Talahon" auch wirklich das beliebteste Jugendwort wäre. Experte Schnetzer weist darauf hin, dass der Wettbewerb explizit nach neuen Begriffen sucht, die besonders im Trend liegen. Viele der ehemaligen Gewinner seien zwar inzwischen fest im Sprachgebrauch der Jugend verankert. Doch er glaubt nicht daran, dass es auch "Talahon" in den Mainstream schafft.

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