Driving Home...
Einmal im Jahr, an Weihnachten, fahren gestandene Erwachsene heim zu ihren Eltern, um sich – wie von selbst – wieder in Töchter und Söhne zu verwandeln. Oft warten eherne Rituale, die nostalgisch, aber auch befangen machen können. Was fünf AZ-Redakteure bei ihrem „Driving Home“ (nach Chris Reas Klassiker) erleben, beschreiben sie hier.
Mit Ipod im ICE
Kein Spaß ohne Stress. Deshalb heißt es für mich alljährlich, bevor ich in den Zug gen Heimat steige: Rein in den Dallmayr. Meine fränkischen Eltern wollen mit bayerischen Spezereien verwöhnt sein. Leider vergesse ich jedes Jahr Ellenbogenschoner und Schutzhelm. Irgendwann hat man sich aber an den älteren Damen mit lilafarbenen Haaren müde gerempelt und sinkt mit Tüten voller Pralinchen und Pastetchen in den ICE. „Mist-Weihnachten“, denke ich mir dann immer, wenn zum x-ten Mal der riesenhafte Küchenkalender für meine Mutter aus der Gepäckablage fällt. Sobald ich aber durch die Holledau düse, Ipod-Stöpsel im Ohr, komme ich in Feststimmung. Spätestens wenn mich dann eine schrille Stimme am Bahnsteig in der „Universidädsstadd Würzburch“ Willkommen heißt, kann Heiligabend kommen. Später liege ich dann vollgegessen und -trunken im Wohnzimmer, mein Vater dirigiert zur Musik seiner neuen CDs und ich zähle die notorisch vom Baum fallenden Kugeln. Wie sagt man in Franken, wenn’s einem richtig gut geht? Basst scho.
Annette Zoch
Der Mutter ganz nahe
Am 24. Dezember habe ich keine Lust mehr auf Frau Merkel, Herrn Steinmeier und Mister Obama. Nicht mal mehr auf Markus Söder. Stattdessen hocke ich mit meiner Frau im Zug und tuckere von Ulm Richtung Bodensee – zurück in meine Jugend. Bis nach Weingarten, in mein oberschwäbisches Heimatstädtle.
Die Leute dort sind zum Großteil katholisch, konservativ, wählen die CDU – und haben trotzdem gerade einen jungen, geouteten Schwulen zu ihrem Oberbürgermeister gekürt. Manches also ändert sich, anderes nicht: Mein Vater hat den Christbaum wie immer geschmückt – nicht überladen oder kitschig, nur schlicht und schön.
Unter dem Baum steht die Krippe samt den drei Königen, die mein Bruder und ich früher jeden Tag zwischen Weihnachten und dem 6. Januar ein Stück weiter Richtung Jesuskind bewegt haben. Es gibt Würstchen mit Kartoffelsalat, wir singen, ich lese eine Geschichte vor. Nach der Bescherung geht’s in die Kirche zum „Engelamt“. Alles ist so, wie es war, als meine Mutter noch lebte. Sie ist seit 24 Jahren tot, aber an Weihnachten ist sie mir so nahe wie sonst nie im Jahr. Und darauf Freude ich mich am meisten.
Markus Jox
Doch eine Gans?
Alle Jahre wieder fragen wir uns, was wir nächstes Jahr an Heilig Abend anders machen. Doch eine Gans? Weniger Geschenke? Und doch ist alles wie im Jahr zuvor. Wir kuscheln uns in die abgenutzte Decke der Gewohnheit – und ich liebe es. Weihnachten ist wie eine gute Suppe: Sie hält warm und man rührt nicht dran. Zu Tisch gibt's Fleischfondue, die Soßen panschen wir gemeinsam am Nachmittag. Prall genährt starten wir dann eine stundenlange Geschenke-Orgie. Da wird jedes Päckchen nacheinander aufgemacht, bestaunt, bedankt, Küsschen und so. Dazu der Rotwein, der so gut schmeckt, dass er noch am nächsten Tag in den Köpfen steckt. Meine Mutter achtet wie ein Höllenhund darauf, dass alles so bleibt wie damals, als meine Schwester und ich in Strampler rumliefen. Meinetwegen – nur, Mama: vielleicht doch eine Gans im nächsten Jahr?
Thomas Gautier
Der Spaß, Kind zu sein
Salzburg, Innsbruck, Genua, oder jetzt München. Wo ich in den letzten Jahren auch gelebt habe, seit 28 Jahren gilt für mich ein unumstößliches Gesetz: Weihnachten verbringe ich in meiner Heimat Südtirol, in Sand in Taufers, dem schönsten Dorf der Welt. Weil dann die meisten meiner Freunde, die in Berlin, Wien und Innsbruck leben, auch dort sind. Und weil es Spaß macht, bei Mama wieder ganz Kind zu sein – und das liegt nicht nur am vollen Kühlschrank.
Am 24. Dezember ist nach dem kurzen Ausflug auf die Snowboardpiste die Kindermesse Pflicht. Sie ist wie früher, nur dass heute alle freiwillig hingehen. Am Abend gibt es Fondue, das nirgendwo sonst so schmecken würde. Und dann, wenn die Wangen vom Wein schon leicht rot sind, geht's auf zum Feldmüllerhof. Da trifft man sich seit Jahren schon auf den Long Island Iced Tea. Okay, ein paar mehr werden es dann doch. Trotzdem spießig, gell? Ich liebe es!
Verena Duregger
"Mama, bitte dekorier' du!"
"Wollen wir heuer den Baum nicht mal zusammen schmücken?“ Mit dieser Frage verursachte meine Mutter bei mir vor zwei Wochen ein leichtes Gefühls-Chaos. Ich bin zwar längst erwachsen und aufgeklärt, hab’ Führerschein und Uni-Examen – und doch passiert es alle Jahre: In der Weihnachtszeit werde ich wieder zum Kind. Ich warte sehnsüchtig auf die Plätzchen meiner Mutter, schau spätestens am zweiten Advent bei meinen Eltern vorbei und bin schwer enttäuscht, wenn die Krippe noch nicht steht, der große Stern noch nicht hängt... Am 24. ist es für mich selbstverständlich, bei meinen Eltern zu sein – und mich im Familienkreis von einem schönen Christbaum überraschen zu lassen. Mal ist er Blau-Gold, mal Weiß-Silber, mal voll Holzspielzeug, Engeln oder Schneemännern – jedes Jahr anders, jedes Jahr von meiner Mama dekoriert, und so soll’s bitte bleiben.
Annette Baronikians
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