Die Wiesn auf der Weltausstellung
Wie sollen die Städte der Zukunft aussehen? Darum geht es auf der Expo in China. Deutschlands Antwort: Sowie auf dem Oktoberfest. Und mit grüner Technik von Siemens.
Die Wiesn als Vorbild für die Welt? Aber ja: Das Münchner Oktoberfest ist Teil der Ausstellung im Deutschland-Pavillon auf der nächsten Expo. Die Weltausstellung in Shanghai hat sich das große Thema gesetzt, wie die Städte der Zukunft aussehen und wie man sie lebenswert macht. Also präsentieren die Nationen der Welt ihre Ideen dazu – Deutschland eben auch die Wiesn. Und, auf handfesterer Ebene: Ein Großteil der Technik der gesamten Weltausstellung kommt von einer Münchner Firma – Siemens. Grüne Gebäudetechnik, Null-Emissions- Häuser. Trinkkultur und Ingenieurskunst: So beantwortet Deutschland die Fragen der Zukunft.
Abendessen hoch über dem Huangpo-Fluss, umgeben von glitzernden Wolkenkratzern. „Wir sehen hier die Zuckerseiten von Shanghai“, sagt Wu Zhiqiang, Chef-Planer der Expo und Professor für Stadtentwicklung an der Tongji- Universität. „Warum dann die Expo? Da geht es um die noch nicht so hübschen Seiten einer Stadt. Um die Frage: Was können wir tun für die Zukunft der Städte?“ In China ist das Problem drängend: Heute lebt schon die Hälfte der Bevölkerung in Megastädten. In der 22-Millionen-Metropole Shanghai gibt es noch ein bis zwei klare Tage imMonat; sonst verschwindet die Sonne hinter Dunst und Smog.
Aber das Problem stellt sich anderswo auch: 50 Prozent der Menschheit lebt auf einem Prozent der Erdoberfläche; Großstädte sind für 80 Prozent aller CO 2-Emissionen verantwortlich. Und sie wachsen immer weiter.
Professor Wu spricht von großen Herausforderungen. „Es geht um Harmonie: Zwischen Mensch und Natur. Individuum und Gesellschaft. Geschichte und Zukunft.“ Für die soziale Harmonie zum Beispiel brauche man dringend öffentliche Plätze, „wie die alten Griechen“. Heute gebe es in China davon zu wenig, nur funktionelle Straßen.
Die Expo „Better City, Better Life“, die am 1. Mai eröffnet wird, ist sein Herzensanliegen. Begeistert schildert er, wie er das Expo-Gelände zum Modell für eine Stadt der Zukunft machen will. „Um den Aufwand für Klima-Anlagen zu reduzieren, haben wir genau die Windverhältnisse analysiert, woher der Wind in der Regel natürlich weht, wie er durch die Straßenkorridore gelenkt wird und wie man das nutzen kann.“
Die großen Linien von Professor Wu werden im deutschen Pavillon weitergesponnen: „Balancity“ heißt er, eine Mischung aus „balance“ und „city“. „Städte sind dann ein guter Platz zum Leben, wenn das Gleichgewicht stimmt. Gleichgewicht, nicht Gleichheit“, erklärt Marion Conrady, Sprecherin des deutschen Pavillons. Eine Balance zwischen Gemeinschaft und Individuum, Globalisierung und nationaler Identität, Arbeit und Rückzugsräumen, so die deutsche Motto-Setzung.
Neben ihr auf der Baustelle steht im Schlamm der Architekt des Pavillons: Florian Özdikmen. „Das Gebäude ist bewusst sehr transparent, sehr offen, ganz anders als die anderen Pavillons“, sagt er und zeigt auf den polnischen Bunker nebenan. „Wir wollen uns freundlich präsentieren, das neue Deutschland.“ Sein Werk besteht aus vier Ebenen. „Jede für sichwäre instabil. Zusammen funktionieren sie.“ Da steht nun ein Mann mit dem schönen Nachnamen Özdikmen auf einer Baustelle in China, um den erwarteten 70 Millionen Besuchern aus aller Welt Deutschland zu zeigen.
Im Innern des halbfertigen Konstrukts wird gehämmert, gemalt und geschraubt. Ansgar Halbfas, der die Ausstellung macht, erklärt, was wo zu sehen sein wird. Im Raum „Zentrum“ stellt sich Deutschland vor: Fotos von Menschen in ihren Wohnzimmern, Schrebergärten, der Kölner Karneval, die Stolpersteinen, der „Mittelstand“ – und eben die Wiesn. „Wir wollen das Land zeigen, wie es ist. Was es lebenswert macht. Wirwollen nicht angeben, wir wollen erklären“, sagt Halbfas.
Die Wiesn sei in zwei Punkten beispielhaft: „Sie ist ein Ort, wo Individuen zusammenkommen. Was sie so besonders macht: Dort begegnen sichMenschen aus unterschiedlichsten Schichten mit den unterschiedlichsten Einkommen, was sonst selten ist.“ Und zweitens, so der junge Ausstellungsmacher, der im Auftrag der Bundesregierung arbeitet: „Sie steht für die lebendige Kultur.“ Eine eigene Identität bewahren zwischen den Starbucks- Filialen dieser Welt, die in Shanghai genauso aussehen wie in der Sendlinger Straße. Auch das ist ein lebenswerter Faktor.
Etwas weiter entfernt ist das „Urban Best Practice“-Gelände: 100 Städte aus aller Welt zeigen, was sie besonders gut hinkriegen. Vier deutsche sind dabei, unter anderem Bremerhaven, das Car Sharing präsentiert (wobei Chinesen kichern bei der Vorstellung, dass sich ein Ort mit 116 000 Einwohnern für eine Stadt hält). Und das Hamburg House: ein „passives Haus“, das CO2-neutral arbeitet. Unter anderem, weil es die Wärme, die Bewohner und Geräte abgeben, voll ausnützt.
Möglich macht es auch hier Siemens-Technik. Die Firma hat selbst den Pavillon von Gastgeberland China ausgestattet sowie diverse andere, mit extra effizienter Energie- Versorgung, Wasser, Wärme, Licht, Sicherheit. Die Boulevare des gesamten Geländes leuchten mit Niedrig-Energie- Lampen der Siemens- Tochter Osram, der Strom für ganz Shanghai kommt zu einem Drittel vomhocheffizienten Waigaoqiao-Kraftwerk, das Siemens gebaut hat
Der Konzern ist in diese Expo richtig dick eingestiegen. Aufträge imWert von einer Milliarde Euro, davon 90 Prozent in grüner Technik, berichtet Richard Hausmann, Chef von Siemens Nordost- Asien, stolz. Siemens ist sogar „Global Sponsor“ der Expo und hätte damit das Recht auf einen eigenen Pavillon, was sonst nur Ländern zusteht. Aber, so Hausmann selbstbewusst: „Die ganze Expo ist unser Pavillon.“ 70 Prozent weniger CO2-Emissionen als bei herkömmlicher Technik, binnen fünf Jahren soll die Bilanz ganz ausgeglichen sein.
Die „erste grüne Expo“ der Geschichte, betonen Siemens wie China stolz. Ausgerechnet China, der weltgrößte Klimasünder? Ja, andere seien mit dem Öko-Bewusstsein „früher dran gewesen“, sagt Hausmann. „Aber was mich hier erstaunt, ist das Tempo und der Nachdruck. Und zwar von ganz oben.“ Und was in China von ganz oben kommt, wird entschlossen angegangen – weit über die Expo hinaus.
Ein gemeinsames Forschungsprojekt von Professor Wu und Siemens plant derzeit acht „Öko-Städte“, die aus dem Boden gestampft werden sollen, zum Beispiel auf einer bisher unbewohnten Insel. Analysiert wird, welche Energiequellen man wo nutzen kann – Sonne, Wind, Geothermie. Dann wird die Stadt geplant, mit klugen Transportwegen, Niedrigenergiehäusern, grüner Stromversorgung
Und warum Siemens? Die Münchner Firma hat schon lange einen Fuß in der Tür: 1872 schloss sie dort das erste Geschäft ab. Die Niederlassung Shanghai existiert seit 1904 – und ist heute die größte überhaupt außerhalb Deutschlands. Brauereitechnik gehört übrigens auch zum Portfolio.
Anja Timmermann
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