Der Thriller ist nicht zu Ende

Deutschlands spannendster Polit-Krimi: 25 Jahre nach dem Tod von Uwe Barschel in einem Genfer Hotel ist die Frage „Mord oder Selbstmord“ ungeklärt
Michael Heinrich |
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Kiel Es steht unentschieden. Auch nach 25 Jahren noch. War der spektakuläre Tod des CDU-Politikers Uwe Barschel Mord oder Selbstmord? Der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein war am 11. Oktober 1987 in der Badewanne seines Zimmers im Hotel Beau Rivage in Genf tot aufgefunden worden. Gestorben an einem tödlichen Cocktail aus acht Artzney. Doch wer hatte ihm die verabreicht? Er selber, weil er nach der Affäre um seine Person keinen Ausweg mehr sah? Oder ein Unbekannter – zum Beispiel wegen der heute noch für wahrscheinlich gehaltenen Verstrickung Barschels in Waffengeschäfte? Und die letzte Seite in dem Polit-Thriller ist noch nicht geschrieben.

Rückblende: Im Jahr 1987 ist das nördlichste Bundesland seit mehr als 30 Jahren fest in der Hand der CDU. Doch die Macht beginnt zu bröckeln. Vier Jahre zuvor hatte SPD-Herausforderer Björn Engholm mit 43,7 Prozent bereits an der Tür zur Staatskanzlei kräftig gerüttelt. Die Prognosen für den nachdenklich, moderat und kulturbeflissen auftretenden Engholm werden immer besser. Die Schwarzen eröffnen eine der schmutzigsten Angriffe auf einen politischen Gegner in der Nachkriegszeit. Ein Strategiepapier rät, den SPD-Kandidat „in seiner Glaubwürdigkeit zu treffen, seine Glaubwürdigkeit zu erschüttern“.

Schmutz-Kampagnen gegen Engholm

Der Barschel-Referent Reiner Pfeiffer nimmt – ob im Auftrag oder in vorauseilenden Gehorsam, wurde nie geklärt – die Attacke auf: Eine anonyme Steueranzeige gegen Engholm, dreiste Beschattung durch Detektive und der Versuch, dem SPD-ler eine Wanzenaktion gegen den Ministerpräsidenten anzuhängen. Besonders perfide ist der Anruf eines angeblichen „Dr. Wagner“, der Engholm erzählt, er habe sich bei einem Freund mit Aids angesteckt. Weil Pfeiffer nie ein Hehl aus seinem angeblichen Hintermann machte, entsteht in der Öffentlichkeit – vor allem lanciert vom „Spiegel“ – das Bild, Barschel sei Auftraggeber für die Denunzierung seines politischen Widersachers gewesen. Dann überschlagen sich die Ereignisse.

Das "Ehrenwort"

Am 18. September 1987 gibt Barschel sein ausdrückliches „Ehrenwort“ ab, mit den Bespitzelungen Engholms nichts zu tun zu haben. Doch nicht einmal seine eigene Partei glaubt ihm; Barschel tritt am 25. September nach fünf Jahren Amtszeit als Ministerpräsident in Kiel zurück. Barschel flieht vor dem riesigen Medienecho nach Gran Canaria. Dann heißt es, er wolle sich am 10. oder 11. Oktober in Genf mit einem mutmaßlichen Entlastungszeugen treffen. Der Stern erfährt davon und schickt seine Reporter Sebastian Knauer und Hans-Jörg Anders in die Schweizer Stadt, um mit dem CDU-Politiker ein Exklusiv-Interview zu machen. Doch die beiden kommen dafür zu spät. Stattdessen machen sie eine Entdeckung, die alles andere in den Schatten stellt (siehe Interview). Die Nachricht vom Tod Uwe Barschels elektrisiert die Öffentlichkeit.

Viele Ermittlungspannen

Seine Familie schließt noch am Abend des 11. Oktobers einen Selbstmord völlig aus – eine Meinung, von der sie bis heute nicht abgewichen ist. Dagegen schließen die Genfer Behörden Fremdverschulden oder eine Gewalttat völlig aus. Und dann werden auch noch schwere Ermittlungspannen publik. So warf die Polizei wohl Medikamentenpackungen weg und – da ihre Kamera versagte – gab es kein offizielles Tatortfoto. Merkwürdigkeiten wie eine aus dem Hotelzimmer verschwundene Rotweinflasche, ein abgerissener Hemdknopf, ein schmutziges Handtuch und ein Whiskyfläschchen mit geringen Spuren eines Schlafmittels, das auch in Barschels Körper war, hielten Spekulationen immer wieder am Köcheln. Mord oder Selbstmord – die Spekulationen schießen immer wieder ins Kraut. Auch als die Staatsanwaltschaft Lübeck nach elf Jahren, also 1998, die Ermittlungen im Fall Barschel einstellt. Dabei hatte sie selbst ein mögliches Motiv für einen Mord geliefert.

Oberstaatsanwalt Heinrich Wille spricht etwas nebulös von „Verstrickungen des Ministerpräsidenten in Waffengeschäfte“ der damaligen US-amerikanischen Contra-Affäre oder südafrikanische U-Boot-Geschäfte in den Achtziger Jahren. Mit denen sei Barschel aber nur „am Rande“ befasst gewesen. Trotzdem eine Spur, der man hätte nach gehen können. Keine Lösung des Falles werden auch im Sommer an Kleidung Barschels gefundene fremde DNA-Spuren bringen, weil für einen Abgleich ein Tatverdächtiger fehlt. Es bleibt also beim Unentschieden.

 

Die AZ sprach mit Stern-Reporter Sebastian Knauer der  Uwe Barschel tot in der Badewanne gefunden hatte: 


 

AZ: Wissen Sie noch, was Sie gedacht haben, als Sie Barschels Leiche in der Badewanne entdeckt haben?

SEBASTIAN KNAUER: Mir schossen Gedanken durch den Kopf: Kriminalfall? Ist er tot oder bewusstlos. Muss ich Erste Hilfe leisten? Muss ich die Rezeption alarmieren?

Was wollten Sie in Barschels Hotelzimmer?

Mein Fotograf Hans-Jörg Anders und ich waren mit Barschel zu einem Interview verabredet. Doch wir trafen ihn weder am Vorabend noch am Vormittag des 11. Oktobers an. Er ging auch nicht ans Telefon. Weil wir wussten, dass er Genf am frühen Nachmittag wieder verlassen würde, versuchte ich, mich an der Hoteltür bemerkbar zu machen. Auch das ohne Reaktion. Dann merkte ich, dass die Tür nicht verschlossen war und ging hinein. Ich fand im Zimmer verschiedene Auffälligkeiten – bis ich schließlich die Leiche entdeckte.

Warum hatten Sie eigentlich eine Kamera dabei?

Weil ich mich von meinem Fotografen getrennt hatte, er sollte unten warten, ob Barschel dort auftaucht.Für alle Eventualitäten nahm ich die kleine Pocketkamera mit, die Hans-Jörg Anders privat dabei hatte. Das stellte sich als Glücksfall heraus.

Würden Sie heute noch einmal eine solche Aufnahme machen?

Es war ja eine absolute Ausnahmesituation. Der Tote war nicht irgendein Politiker, sondern Hauptperson im Barschel-Skandal. Auch der Presserat hat später bestätigt, dass ich die Aufnahme als Dokument der Zeitgeschichte machen und veröffentlichen durfte. Dass es Diskussionen über die Frage „Was darf die Presse“ geben würde, war mir völlig klar.

Wird sich der Fall Barschel jemals aufklären lassen?

Man muss einfach alle Spuren, auch die jüngst gefundenen DNA-Spuren im Auge behalten. Und: Wenn die These stimmt, dass Herr Barschel in Waffengeschäfte verwickelt war, gab es bestimmt Mittäter und Mitwisser, Leute die auch nach 25 Jahren noch etwas zu erzählen hätten. Aber vielleicht war es ja doch die tragische Geschichte eines Mannes, der keinen anderen Ausweg als den Selbstmord mehr gewusst hat.

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