Aus Liebe zum Hund?
Gassi gehen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten: Einige finden’s dekadent, die meisten trendy. Eine Spurensuche.
0ans, zwoa, gsuffa! Heuer müssen die Zamperl keine langen Lefzen machen, wenn sich Herrchen und Frauchen auf dem Oktoberfest zuprosten oder daheim in Schunkelstimmung bringen. Jetzt kriegen sie ihr eigenes „Wiesn-Bier“. Ob der Name Programm ist, wird sich nach der ersten Maß zeigen – „Schwanzwedler“ heißt der braune Edelstoff und ist laut „Fressnapf“, Europas größter Kette für Tierbedarf, „der Beller des Tages“. Da mag der eine oder andere Zweibeiner aufjaulen – jedenfalls kriegt der Hund keinen Kater. Statt Alkohol gibt’s Rinderbrühe.
Und wenn gewünscht, auch das passende Outfit. Ob Lederhosn für den Spitz, Dirndl für das Dackel-Mädel – die Straubinger Trachten-Designerin Hildegard Bergbauer kleidet seit Jahren auch tierische Kundschaft ein. Und nicht selten gehen Fiffi und Frauchen im Partnerlook aus dem Laden.
Wie der Herr, so’s Gescherr – das boomt auch im Schwabinger „Raubtier-Salon“. „Wohlhabende Damen tragen ihr Collier gern passend zum Swarowski-Halsband ihres Hundes“, sagt der Besitzer Steffano Körper (46). „Gefragt sind auch Band und Leine Ton in Ton zum Brautkleid, gleiche Shirts oder Bettwäsche im Doppelpack.“
Besonders begehrt sind Halsbänder. „Mancher Hund kriegt jede Woche ein neues“, so der „Raubtier“-Chef. „Für seinen Besitzer ist er ein gleichberechtigtes Familienmitglied. Er will ihm was Gutes tun.“ Er schmunzelt und sagt: „Erst öffnet der Hund das Herz des Halters, dann sein Portemonnaie.“
Alles für Hunde im Angebot
Bei ihm gibt’s kaum was, was es nicht fürs Gassi gehen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten gibt: Tank-Top-Shirts, Harley-Davidson-Käppis, Bademäntel, Smokings, pinkfarbene Stiefelchen für zwei Paar Pfoten, Kosmetika wie „Classic Pet Cologne“ mit Vanille-Feeling oder Fellglanz-Shampoo, Perlenketten, Sofas, Betten... „Wir führen nicht nur Luxus, wir haben alles in jeder Preisklasse. Zum Beispiel Hundebetten – von zehn bis 1500 Euro. Aber wir sagen den Kunden auch, wie lange ein Bett für zehn Euro hält.“
Vorbei sind die Zeiten, als der Vierpföter Halsband, Leine und zwei Näpfe brauchte und in der Familie irgendwie mitlief. Heute steht er häufig im Mittelpunkt, wird von Designern wie Gucci, Hermès und Louis Vuitton umworben, relaxt in Pet Ressorts, macht Yoga und Wassergymnastik, schlabbert an der Dog-Bar sein speziell destilliertes Wasser, diniert im Restaurant aus edler Keramik und streckt sich bei Entspannungsmusik auf der Couch eines Hundeflüsterers aus.
Halter und Hund mögen die Aufmerksamkeit
Dekadent? „Der Halter mag die Aufmerksamkeit und der Hund auch“, sagt Steffano Körper, ganz Geschäftsmann. „Ein Hund ist nun mal der treueste Freund des Menschen, und das wird jetzt von der Gesellschaft honoriert.“ Körper, der 20 Jahre lang als Professor für E-Commerce in Amerika lehrte, ist seit zwei Jahren Pet-Shop-Boy. „Aus Liebe zum Hund“, sagt er. „Weil ich immer wieder gemerkt habe, wo’s hapert – beim Futter wie bei den Accessoires.“
Rund fünf Millionen Hunde gibt’s in Deutschland – in München waren 2007 pro Quadratkilometer 90 gemeldet, in Nürnberg 60 – und für sie werden jährlich Milliarden ausgegeben. Für klotzige Klunker, aber auch für die „tierärztlich empfohlene“ Cabrio-Brille, den „Kacki-Tüten-Abroller“, Schwimmwesten, Buggys, so genannte Pet-Stroller, Entspannungs-CDs (siehe unten), Bush-Puppen zum Reinbeißen oder Humphrey-Bogart-Trenchcoats.
Das Hundeleben 2008
Der vierpfotige Lebensbegleiter wird mit immer neuen Lifestyle-Produkten zugeschüttet. Rauft er sich da nicht das Fell? Das fragt sich das „Deutsche Institut für die Hund-Mensch-Beziehung“ in Schneverdingen. Und bilanziert: „Der Hund soll heute Sozial- und Sportpartner sein, Familienmitglied, Kamerad, Freund, modisches Accessoire und Label für einen Lebensstil. Das sind zu viele Anforderungen, denen er nicht gewachsen ist.“
Das Hundeleben 2008 – leicht ist’s nicht, hat auch die Psychologin Silke Wechsung von der Uni Bonn erkannt. Laut ihrer neuen Studie gibt es drei Halter-Typen. Den „naturverbunden, sozialen“ (43 Prozent), den „stark auf den Hund fixierten, emotionalen“ (35 Prozent) und den „prestigeorientierten, vermenschlichenden“ (22 Prozent) – das schwarze Schaf unter den Zweibeinern. Er brezle den Hund nur aus Egoismus auf, wolle so sein „Selbstbewusstsein stärken und sein Ansehen bei anderen Menschen“.
Das ist das Stichwort für den renommierten Hunde-Kommunikator Martin Rütter („Eine Couch für alle Felle“): „Der Hund ist ein Tier, kein Sozialpartner oder Kind“, sagt er zur AZ. Gegen funktionale Kleidung bei Hunden, die an Arthrose leiden oder mangels Unterwolle schnell frieren, habe er nichts. „Aber Dirndl, Janker oder Frack – das ist die pervertierte Darstellung eines Statussymbols. In den Köpfen dieser Hundehalter läuft viel schief.“
Rütter redet sich fast in Rage: „Wenn Blickfeld und Bewegungsfreiheit des Hundes eingeschränkt werden, hört’s auf. Das ist Tierquälerei.“
Renate Schramm
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