Zu teuer! Sie kann sich München nicht mehr leisten - Gebürtige Münchnerin muss aufs Land ziehen
Bad Füssing - Auf dem kleinen Busch mit den lilafarbenen Blüten landet eine Biene. Eine Amsel zieht einen dicken Regenwurm aus dem Boden. Ein paar Vogelstimmen sind zu hören – sonst nichts. Zwei Jahre hat die gebürtige Münchnerin Karin S. nach diesem kleinen Paradies gesucht. Jetzt hat sie es gefunden: 150 Kilometer und über zwei Stunden mit dem Auto von München entfernt – in Bad Füssing. Die AZ hat sie dort besucht.
Ihr Leben lang hat die 59-Jährige in München gewohnt. Die letzten 16 Jahre lebte sie eigentlich in einer Traumwohnung in der Au: 58 Quadratmeter, zwei Zimmer, ein kleiner Balkon zum Innenhof – für 450 Euro Miete. Eine Wohnung, die man nicht mehr hergibt. Normalerweise.
In Bad Füssing kosten 52 Quadratmeter nur 600 Euro Warmmiete
Denn direkt gegenüber des Wohnhauses werden bis 2023 auf dem ehemaligen Paulaner-Areal rund 1.500 neue Wohnungen auf insgesamt 150.000 Quadratmetern gebaut – und viele davon nur für Topverdiener. So sehen das zumindest die vielen Kritiker.
Für Karin S. war die Situation besonders schwer erträglich, denn sie leidet seit ihrem 14. Lebensjahr an der Hauterkrankung Vitiligo, auch Weißfleckenkrankheit genannt. Etwa ein Prozent der Weltbevölkerung leidet unter der Krankheit, die noch wenig erforscht ist. Sicher weiß man, dass es in den weißen Flecken der Oberhaut keine Zellen mehr gibt, die das Pigment Melanin herstellen. Deshalb ist die Haut von Karin S. sehr lichtempfindlich. Sie kann ihre Wohnung nur kurz verlassen und sich nur im Schatten aufhalten. In München war Karin S. deshalb rund um die Uhr zuhause und konnte der Großbaustelle nicht entfliehen.
Deshalb hat die Münchnerin ihre Traumwohnung in der Au verlassen
"Der Staub und der Lärm waren am schlimmsten", erzählt sie. "Morgens bin ich mit verklebten Augen aufgewacht, ich habe gehustet und war oft heiser." Trotzdem war sie lange hin und hergerissen, wollte ihre schöne Wohnung nicht aufgeben und suchte nach einem Ausweichquartier bis zum Ende der Baumaßnahmen. Auch weil ihre Eltern, beide über 80, ganz nah an der alten Wohnungen in der Au leben.
Eine Zwischenlösung fand die 59-Jährige jedoch nicht. "Noch einen Sommer hätte ich es dort nicht ausgehalten", so S.. Seit 2008 bezieht Karin S. Erwerbsminderungsrente, die Münchner Mieten kann sie sich schon lange nicht mehr leisten. Deshalb hat sie bayernweit nach einer neuen Wohnung gesucht. Früher hat Karin S. im Marketing-Bereich, in Banken und beim Radio gearbeitet. Als junge Frau reiste sie mit dem Rucksack quer durch die Welt.
Auf Twitter und ihrem Internet-Blog dokumentierte sie als "Muschelschloss" seit Baubeginn mit Fotos und Berichten das Geschehen auf der Baustelle, notierte Feinstaubbelastung oder Lautstärke, schrieb dort immer wieder Stadt-Mitarbeiter an und beschwerte sich.
Neustadt im Kurort Bad Füssing
Aber das ist nun vorbei. Im Kurort Bad Füssing lebt sie seit Anfang Mai in einer hübschen Zwei-Zimmer-Wohnung. Für 52 Quadratmeter zahlt sie hier 600 Euro Warmmiete. "Das ist meine absolute Schmerzgrenze, jetzt muss ich noch etwas sparsamer leben", sagt sie.
Dafür hat sie sogar ein kleines Gärtchen mit einer schattigen Terrasse, auf der sie sich besonders gerne aufhält. Ein kleines Hochbeet hat sie bereits aufgebaut, eine bunte Blütenwiese für Bienen und Schmetterlinge eingesät. Abends bekommt Karin S. jetzt oft Besuch von Igeln, erzählt sie. Durch die großen Fenster ihrer Küche kann sie sogar beim Kochen noch in ihren grünen Garten schauen.
An sich selbst hat Karin S. seit dem Umzug schon Veränderungen festgestellt. "Wenn ich mit Freunden telefoniere, sagen die mir, dass sich meine Stimme verändert habe und nicht mehr so heiser klinge", sagt sie fröhlich. Und ergänzt: "Mir geht es hier prima. Seit ich umgezogen bin, habe ich an München keinen Gedanken verschwendet."
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