Zu Besuch bei Münchner Gartlern: "Reisefreaks samma ned"
München - Seine heilige Ruh hat man hier, mal abgesehen von den sechs, sieben Hunden, die täglich ihre Herrlis und Fraulis ans Gartentürl zerren, weil sich bei den Heimanns garantiert Leckerli abstauben lassen. Und abgesehen von den Zweibeinern, die während der Lockdown-Wochen plötzlich hier herumspaziert sind.
"Da warn auf oamoi Leid do, de hob i no nia gseng", sagt Christa Heimann in schönstem Münchnerisch, greift übers Hochbeet und zupft ein Gräserl heraus, das nichts verloren hat zwischen den prächtigen Salatköpfen. All die Jahre davor hat sich niemand hierher verirrt, der nicht selber einer ist: ein Kleingartler.
Wenn das Garteln zur Vollzeitbeschäftigung wird
Die Parzelle der Heimanns, 246 Quadratmeter groß, liegt am Eulenweg in NW 1, so heißt der Dauer-Kleingartenverein Nord-West 1, den es seit 1915 gibt im beschaulichen Gern in Neuhausen-Nymphenburg. Im Süden plätschert der Nymphenburg-Biederstein-Kanal, im Osten grenzt das Dantebad an, nördlich liegen weitere Schrebergärten, nur ein paar Schritte über den Kiesweg sind es bis zur kleinen Vereinsgaststätte Zur Linde mit ihrem Biergarten.
Sepp (65) und Christa Heimann (74), die drüben in Neuhausen wohnen, sind 42 Jahre ein Paar. Zwölf davon verbringen sie jetzt schon hier im Schrebergarten, ein paar Radlminuten weg von daheim. Von neun, zehn Uhr am Morgen bis zum Abend. Das geht, weil Sepp, der Verkaufsleiter bei einer Mineralölfirma war, früh in Pension gegangen ist und sich, fast zeitgleich mit seiner Christa, Zeit für ein neues Dauerhobby genommen hat.
Vom Säen und Ernten hatten beide keine Ahnung, als sie den Zuschlag für die Parzelle bekommen haben, damals noch ohne langes Warten, weil Schrebern noch kein begehrter Trend in München war. Der Altersdurchschnitt, sagt Sepp Heimann, sei bei 74 Jahren gewesen, als die jungen Familien noch gefehlt haben. Jedenfalls haben sie anfangs einfach irgendwie angefangen. Zuerst die finster-blickdichte Ligusterhecke ersetzt gegen luftigen Sommerflieder, Weigelien und Weidenkatzerln, "ma braucht si ja ned einsperrn im Garten", sagt Christa Heimann.
Die Kartoffeln haben sie wieder ausgegraben - für eine Bienenwiese
Mehr Wissen, zumal über vogel-, bienen- und insektenfreundliches Pflanzen, brachten die Gartenschulungen des Kleingartenverbands. Danach haben sie etliches wieder komplett umgemodelt. Am Zaun, zum Beispiel, haben sie die Forsythien (die Bienen nicht so mögen) gegen Kornelkirsche ausgetauscht. Ihre Kartoffeln aus dem Beet gerissen und stattdessen Wiesenblumensamen gesät. Aus denen ist jetzt eine wilde Blumenwiese geworden.
Und wenn die Süßkirsche leer gefressen ist von den Amseln, legen Heimanns auf der Terrasse Rosinen aus. Ihre Lieblingsamsel weiß das, blinzelt von irgendwo neugierig her - und zack, ist sie da und pickt die Rosinen auf.
Ein paar Jahre hat Sepp Heimann auch als Beirat im Vereinsvorstand mitgemischt, der viel zu tun hat mit Viertelbewohnern, die noch auf die Warteliste für eine Parzelle möchten. Um die 35 zahlende "Fördermitglieder" stehen da schon. Aber im Jahr werden bestenfalls zehn Parzellen frei, eigentlich nur, wenn einer der Hochbetagten nicht mehr weitermachen kann.
Radieserl, Radi, Spitzkraut: "Ois, wos ma in Bayern für a Brotzeit braucht"
Den Heimanns ist es nicht fad geworden, seit sie quasi Vollzeit-Schrebergartler sind. Rasenmähen, auch bei der 88-jährigen Nachbarin, komposten, Unkraut zupfen, Schnecken einsammeln, pflanzen, gießen, düngen - und vor allem ernten. Man sei ja die ganze Zeit beschäftigt und in Bewegung. 50 Kilo Elstar- und Boskop-Äpfel liefern die drei Apfelbäume fürs Müsli und für Apfelkuchen, 15 Kilo der Birnbaum.
Dazu ernten sie 50 Salatköpfe pro Sommer, Radieserl, Radi, Spitzkraut, Freilandgurken, "ois, wos ma in Bayern für a Brotzeit braucht", sagt Sepp Heimann. Mal in Urlaub fahren, geht das auch? Da lacht er. "Reisefreaks samma ned." Beim Italiener essen reicht, dafür radeln sie mittags rüber in den Biergarten der Villa Dante.
Und wenn's ihnen nach einem Ratsch ist, schauen sie bei den Gartennachbarn vorbei, eine Altenheimchefin sei da, ein Kripobeamter, ein TU-Professor, Lehrer und Bankangestellte. Die fremden Spaziergänger tauchen kaum mehr auf zuletzt, aber die netten Hundebesuche am Gartentor sind geblieben. Die Leckerlis werden so schnell nicht ausgehen.
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