Yvonne Boulgarides: "Nicht aufhören zu fragen"

Am Stachus spricht die Witwe von Theodorus Boulgarides, der vom NSU ermordet wurde. Zeigen will sie sich nicht - aus Angst vor weiteren Angriffen. Die Rede im Wortlaut
von  jam/ Yvonne Boulgarides

Klar ist die Stimme von Yvonne Boulgarides im ersten Halbsatz ihrer Rede am Samstag auf dem Stachus. „Der 15. Juni 2005“ sagt sie, dann beginnt sie zu weinen, „war ein gravierender und schrecklicher Einschnitt in das Leben meiner Kinder und in das Meine.“

An diesem Tag wurde ihr Mann Theodoros Boulgarides in seinem Schlüsselladen im Westend von den Neonazis des NSU ermordet. Sie schossen dem 41-jährigen mehrmals ins Gesicht - wegen seiner ausländischen Abstammung.

Die Witwe des ermordeten Münchners hat erstmals gesprochen, bei der Auftaktkundgebung zur Großdemonstration anlässlich des NSU-Prozess. Lange hat sie überlegt, aus Angst, dass sie einen öffentlichen Auftritt nicht durchsteht.

Zeigen will sie sich nicht. Mit einem Transparent „Gegen Naziterror, staatlichen und alltäglichen Rassismus“ wird sie abgeschirmt. Zu groß ist die Angst, dass sie oder ihre zwei Töchter noch einmal Opfer rechter Gewalt wird. Obwohl sie nicht zu sehen ist, bewegen ihre klaren Worte die Menschen auf dem Stachus sichtlich: Viele haben den Blick gesenkt oder starren auf einen Punkt in der Ferne. Es ist still, bis sie sich bei den Demonstranten für ihre Unterstützung bedankt.

Yvonne Boulgarides sagt danach zu ihrer Anwältin Angelika Lex, dass sie dieser Auftritt für den Prozess gestärkt habe. 

 

Yvonne Boulgarides Rede im Wortlaut

 

„Der 15. Juni 2005 war ein gravierender und schrecklicher Einschnitt in das Leben meiner Kinder und in das meine. Mein Ehemann und Vater unserer beiden Kinder, Theo Boulgarides, wurde Opfer der damals so titulierten „Döner Morde“.

Die daraus resultierenden Konsequenzen und die unsägliche Trauer hier zu beschreiben, würde wohl den Rahmen dieser Veranstaltung sprengen und ist in ihrer Intensität gar nicht wirklichkeitsgetreu darzustellen. Als man die Opfer verdächtigte, in kriminelle Strukturen verwickelt zu sein, erfüllte uns dies mit absoluter Fassungslosigkeit, Zweifeln und Schamgefühlen.

Heute, fast acht Jahre später, bleibt jedoch nur noch die Fassungslosigkeit über den Hergang dieser widerwärtigen Verbrechen und die für uns noch immer rätselhaft unzulängliche Aufklärung. Diese Morde und Anschläge sind nicht mehr nur eine Frage von Rechtsextremismus, sondern auch der Rechtsstaatlichkeit.

Ich wünschte, alle autorisierten Stellen würden mit Nachdruck dafür sorgen, dass die zur lückenlosen Wahrheitsfindung benötigten Fakten und Beweise zur Verfügung gestellt werden würden. Nur so können die meines Erachtens engagiert arbeitenden Mitglieder der Untersuchungsausschüsse – insbesondere des Bundestages – ihre Arbeit zu einem erfolgreichen Abschluss führen.

Wir sind der Meinung, nur so ist es möglich, einen Teil des Vertrauens in unser Rechtssystem wieder herzustellen – dies gilt nicht nur für unsere ausländischen sondern auch deutschen Mitbürger. Um die Frage der Daseinsberechtigung des Verfassungsschutzes zu klären, bedarf es sicher kompetenterer Menschen als mich.

Vielleicht mag es ein wenig naiv klingen, aber geht es nicht letztlich auch um die Hinterfragung von Ehre, Ehrlichkeit, Rechtsempfinden und dem Schutz der Verfassung? Müsste ich jedoch ein Statement abgeben, dann am Liebsten mit einem Zitat von Albert Einstein: „Wichtig ist es, dass man nicht aufhört zu fragen“. In der Hoffnung, dass wir alle irgendwann ehrliche Antworten erhalten, möchte ich mich herzlich bei Ihnen bedanken.“

 

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