Wurf Richtung Neonazis: 1800 Euro für 2 Tomaten

Arzt Günter Wangerin wirft das Gemüse beim „Heldengedenkmarsch“ in Richtung Neo-Nazis – trifft aber niemanden. Jetzt steht er wegen versuchter Körperverletzung vorm Amtsgericht.
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Tomatenwerfer Günter Wangerin vor Gericht.
Torsten Huber Tomatenwerfer Günter Wangerin vor Gericht.

MÜNCHEN - Arzt Günter Wangerin wirft das Gemüse beim „Heldengedenkmarsch“ in Richtung Neo-Nazis – trifft aber niemanden. Jetzt steht er wegen versuchter Körperverletzung vorm Amtsgericht.

Saal 122, Münchner Amtsgericht: Das Zuschauerinteresse ist groß. Alle Sitze sind belegt. Auch eine Schulklasse ist anwesend. Dabei ist das Prozessthema vergleichsweise belanglos: versuchte Körperverletzung.

Die Würze liefert die bayerische Justiz. Wegen eines Fehl-Wurfs zweier Tomaten in Richtung Neo-Nazis steht der Arzt Günter Wangerin (65) unter Anklage. Vorwurf: versuchte Körperverletzung. 1800 Euro Strafe soll der Mediziner deshalb bezahlen. Dagegen legt er Einspruch ein. „Ich wollte meine Verachtung zeigen, gegen das, was da läuft“, sagt der Anästhesist.

Am 14. November 2009 war’s, um 16.15 Uhr: 154 Neo-Nazis ziehen mit Kränzen und Trauermusik durch die Münchner Innenstadt. Unter dem Motto „Heldengedenkmarsch“ darf der braune Mob mit höchstrichterlicher Genehmigung durch die Straßen ziehen. 1500 Polizisten sind im Einsatz. 3000 Demonstranten stellen sich den Neo-Nazis mit Plakaten wie „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ und Sprechchören „Nazis raus“ entgegen.

„Ich musste da hin. Ich bin nicht unbeleckt in der Geschichte. Lange bin ich mit einem Griechen befreundet. Der hatte am 10. Juni 1944 im Zweiten Weltkrieg das Massaker von Distomo in Mittelgriechenland überlebt. 218 Dorfbewohner, darunter auch Frauen und Kinder, kamen ums Leben. Es war ein Vergeltungsschlag der 4. SS-Polizei-Panzergrenadier-Division, weil Partisanenkämpfer zwei deutsche Soldaten getötet hatten“, sagt Günter Wangerin.

Der Arzt steht an der Ecke Goethe-/Landwehrstraße. „Direkt vor meiner Nase war ein Laden mit Tomaten. Die waren überreif. Ich habe ein Kilo für einen Euro gekauft“, erinnert sich der Angeklagte und sagt weiter: „Ich konnte nichts gegen den Nazis-Aufmarsch tun. Da habe ich einfach geworfen.“

Zwei Polizeibeamten fällt der Arzt bereits vor der „strafbaren Handlung“ auf. Polizeibeamter Christoph N. (23): „Der Herr war vornehm gekleidet, im Gegensatz zum Schwarzen Block. Ich habe auch gesehen, wie er mit einer durchsichtigen Tüte mit sechs Tomaten aus dem Laden kam. Dann sah ich, wie er zwei Tomaten in Richtung des rechten Spektrums geworfen hat. Die Entfernung war zirka 15 bis 20 Meter.“ Verteidigerin Gabriele Heinecke hakt nach: „Sie sagen, das rechte Spektrum hat demonstriert. War das die CSU oder CDU?“

Der Beamte: „Das war mir nicht bekannt. Ich wusste nur, dass es eine rechte Gruppierung war. Sollte es eine verbotene Demo gewesen sein, wäre es mir bekannt gewesen.“ Und so nimmt die weiß-blaue Gerechtigkeit ihren Lauf. Günter Wangerin wird vorläufig zur Personalienfeststellung festgenommen. Der Fall wandert zur Staatsanwaltschaft – und der Arzt kassiert einen Strafbefehl.

Amtsrichterin Gabriele Krause sagt: „Sie haben billigend in Kauf genommen, dass jemand durch die Tomaten verletzt wird. Ich will den Fall aber nicht unnötig aufblähen und schlage vor, das Verfahren einzustellen. Die Kosten trägt die Staatskasse.“ Wangerin muss nichts zahlen. T. Huber

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