"Wir sind keine Autohasser": Münchner Rollstuhlfahrer wehren sich in Gehwegpark-Debatte

Die Debatte um das Gehwegparken ist wieder voll entbrannt. Ein Münchner im Rollstuhl zeigt, was allein die Duldung des Parkens auf dem Bürgersteig für ihn bedeutet.
Sophia Willibald
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Thorsten Zinsmeister aus Laim. Gehwegparker machen ihm im Alltag oft zu schaffen. Den Platz, den er hier auf dem Foto hat, hat er nicht immer – regelmäßig muss er umkehren und manchmal kommt er weder vor noch zurück.
Thorsten Zinsmeister aus Laim. Gehwegparker machen ihm im Alltag oft zu schaffen. Den Platz, den er hier auf dem Foto hat, hat er nicht immer – regelmäßig muss er umkehren und manchmal kommt er weder vor noch zurück. © Ben Sagmeister

Thorsten Zinsmeister (58) zieht die schwere Glastür seines Wohnhauses auf und drängt sich mit seinem Elektrostuhl durch den Eingang. Auf die Frage, ob man ihm helfen könne, antwortet er freundlich: "Das geht schon, danke – ich muss es ja sonst auch schaffen." Und vieles schafft er auch. Doch gegen Gehwegparker ist selbst er manchmal machtlos.

Thorsten Zinsmeister wohnt in Laim in einer kleinen Seitengasse. Er blickt die Straße hinunter und sagt: "Das hier ist wieder das beste Beispiel." Ein silberner Ford parkt auf dem Gehsteig. An sich nichts Besonderes – in der Straße stehen zu diesem Zeitpunkt rund zehn Autos mit zwei Reifen auf dem Fußweg. Doch der Ford lässt nicht einmal einen Meter zwischen seiner rechten Flanke und der Hecke.

Thorsten Zinsmeister sitzt im Rollstuhl – in Laim hat er oft mit Gehwegparkern zu kämpfen, die ihm den Weg versperren

Der 58-Jährige kennt solche Situationen nur zu gut: Der Gehsteig wird immer enger, bis er schließlich nicht mehr vorwärtskommt, erzählt er. Hinzu komme, dass er mit seinem elektrischen Rollstuhl nicht einfach zurücksetzen könne. Er demonstriert, was er meint, legt den Rückwärtsgang ein – prompt schlagen die kleinen Räder um und sein Rollstuhl braucht einen großen Wendekreis. Zwischen Auto und Hecke, Stromkasten, Straßenlaterne, Motorroller oder E-Scooter? Keine Chance.

Oft müsse er frühzeitig umkehren und ein großes Stück zurückfahren, bis zum nächsten abgesenkten Bordstein, um auf die andere Straßenseite auszuweichen. Wenn es dort auch nicht besser ist, bleibt nur die Fahrbahn. "Die Gehwegparker zwingen uns, dass wir den Gehweg verlassen und auf die Straße ausweichen." Dabei heiße es doch: "Gehweg und nicht Parkplatz für Autos".

In München sorgt das Gehwegparken seit Jahren für Diskussionen. Grundsätzlich ist es verboten, sofern nicht ausdrücklich gekennzeichnet. Trotzdem wird es meist geduldet. Im Rahmen der Mobilitätsstrategie 2035 wollte die Stadt das Gehwegparken zurückdrängen. Zudem entstanden Internetportale und Apps, über die Bürger Falschparker melden konnten. Diese Möglichkeiten wurden rege genutzt – zum Ärgernis der Autofahrer.

SPD und OB fordern, das Gehwegparken zu legalisieren – der Behindertenbeirat kritisiert das

Nun fordert die SPD gemeinsam mit Oberbürgermeister Dieter Reiter, das Gehwegparken zu legalisieren, solange mindestens 1,60 Meter Gehwegbreite übrig bleiben.
Reiter veröffentlichte dazu auf seinem Instagram-Kanal ein Video, in dem er zusammen mit Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD) und Carsten Kaufmann (SPD) aus dem Bezirksausschuss einen beparkten Gehweg entlanggeht, um zu demonstrieren, dass trotzdem ausreichend Platz bleiben würde.

Bernhard Claus vom Behindertenbeirat findet das Video „populistisch“. Er ist Mitglied der Arbeitsgruppe Mobilität und Verkehr und sagt, dass der Beirat Gehwegparken grundsätzlich ablehne, weil immer irgendwelche Hindernisse auf dem Bürgersteig stehen würden, wie etwa E-Roller oder Aufsteller.

Bernhard Claus, der selbst blind ist und einen Langstock nutzt, um sich zu orientieren, erklärt das Grundproblem: "Wenn man die innere Leitlinie nicht nutzen kann, weil da zu viel rumsteht, dann muss man die äußere nutzen. Das ist die Gehwegkante. Und wenn da Autos draufstehen, dann ist es natürlich auch nicht nutzbar."

Und dann? "Dann versuche ich mich da irgendwie durchzuwühlen und muss dann die Autos als Leitlinie nutzen. Das ist den Autofahrern dann auch nicht so recht. Aber wenn sie sich beschweren: Ich kann nichts dafür, ich brauche eine Leitlinie."

Thorsten Zinsmeister wünscht sich ein Umdenken von den Autofahrern

Wenn das Gehwegparken aber dennoch zugelassen würde, dann müssten mindestens 1,80 Meter frei bleiben, fordert der Behindertenbeirat. In einem offenen Brief an die Stadt verweist er auf "allgemein anerkannte technische Regeln und Empfehlungen".

Thorsten Zinsmeister ist ebenfalls im Behindertenbeirat in der Arbeitsgruppe Mobilität aktiv. Er wünscht sich ein Umdenken von den Autofahrern. Dafür müsse aber mehr Aufklärung stattfinden. Massenhaftes Melden von Falschparkern hält er für den falschen Weg.

Zinsmeister kennt auch die andere Seite, die hinter dem Steuer. 30 Jahre lang fuhr er selbst Auto, sogar Lkw. "Von heute auf morgen war ich im Rollstuhl", erzählt er.
Seine Krankheitsgeschichte lässt kaum etwas aus: Herzinfarkt, Schlaganfall, Corona-Infektion, künstliches Koma. Dann entzündete sich eine Wunde am Fuß, er musste mehrfach operiert werden. Wegen der Sepsis musste der Hebe-Senk-Muskel entfernt werden, erklärt er und deutet auf sein rechtes Bein. "Und das Bein", sagt er und zeigt auf sein linkes, "das ist durch den Schlaganfall noch betroffen."

Der Münchner stellt klar: "Wir sind keine Autohasser"

Man könnte also verstehen, wenn er auf Autofahrer schimpfen würde, die ihm obendrein den Gehweg versperren. Doch das tut er nicht. Der 58-Jährige wirkt geduldig und gefasst: "Wir sind ja keine Autohasser, aber sie müssen uns halt genügend Platz lassen, damit wir uns fortbewegen können."

Wo Zinsmeister Ruhe bewahrt, zeigte ein Antragssteller bei einer Bürgerversammlung am 25. November in Laim, wie schnell er die Fassung verlieren kann. Renate Spannig (Grüne), Behinderten- und Gleichstellungsbeauftragte im Bezirksausschuss, berichtet von einem Antragsstellen, der die Meldungen von Falschparkern mit Denunziationen in der Nazizeit verglich. Spannig sagt: "Das hat mich auch persönlich so aufgeregt, dass dieser Nazi-Vergleich kam und eine Frau Dietl als Moderation nicht eingegriffen hat."

Auf Nachfrage der AZ, weshalb die Bürgermeisterin an dieser Stelle nicht eingriff, räumt die SPDlerin ein, dass "beim Vorlesen der zahlreichen Anträge der im Antrag enthaltene Vergleich nicht eingeordnet" wurde. Sie distanziere sich von der Aussage jedoch deutlich. "Ein solcher Bezug ist für mich als Antifaschistin natürlich in keinster Weise vertretbar", so die Bürgermeisterin.

Nazi-Vergleich in Bürgerversammlung sorgt für Entrüstung

Renate Spannig, die Zeugin des Abends, greift nach ihrer persönlichen Betroffenheit über den Nazi-Vergleich das Thema Gehwegparken noch einmal auf. Dabei wünscht sie sich von den verantwortlichen Politikern, "dass man keine Schnellschuss-Geschichten macht, um Wahlkampfstimmen zu angeln".

Auch Thorsten Zinsmeister befürchtet, dass das Vorgehen in puncto Gehwegparken eine Strategie ist: "Ich sage, jetzt warten wir mal ab, was passiert, weil für mich ist das einfach Wahlkampfgeplänkel von Herrn Reiter."

Für den Oberbürgermeister und alle anderen Politiker spricht er dann noch eine Einladung aus. "Im Februar findet ein Aktionstag statt, in der Burgstraße vom Behindertenbeirat der Stadt München." Dort könne man mal ausprobieren, wie es sich im Straßenverkehr anfühle – mit zum Beispiel Rollstuhl, Rollator oder blind. „Ob die kommen oder nicht“, sagt Thorsten Zinsmeister, "das werden wir dann sehen."


Der Aktionstag findet am 6. Februar in der Burgstraße 4 statt. Von 13 bis 16 Uhr ist jeder willkommen, die Teilnahme ist kostenlos.

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  • Ich wer sonst vor einer Minute / Bewertung:

    Das sicher nicht, aber hoffentlich wird dann endlich der BMW Tunnel gebaut. Je eher um so besser.

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  • ClimateEmergency vor einer Stunde / Bewertung:

    Aber wenn wir uns an das Gesetz halten, dann wandert doch sicher BMW ab und München geht im Chaos unter?!

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