Wilde Zeiten im Kunstpark Ost: Vor 20 Jahren war Schluss
München - Flo Faltenbacher ist eine Münchner Gastro-Legende. Schon als Teenager machte er sich als DJ im Pasinger Freizeitheim einen Namen, später arbeitete er in der berühmten Theaterfabrik bei Wolfgang Nöth, der Flos meisterliches Organisationstalent, sein Gespür für Nachtleben und die Fähigkeit, Visionen in funkensprühende Realität umzusetzen, sehr schätzte.

So bot er ihm einen Platz auf dem 90.000 Quadratmeter großen ehemaligen Pfanni-Gelände an der Friedenstraße hinter dem Ostbahnhof an, das er "Kunstpark Ost" getauft hatte. Das ließ sich Flo nicht zweimal sagen. Er gründete 1997 gemeinsam mit seinem Bruder Jakob die Milchbar: In der Eröffnungsphase wurden wirklich reale Milkshakes ausgeschenkt. Bald war der Club, der eigentlich "Milch und Bar" heißt, in aller Munde und für den extrem hohen Spaß- und Flirtfaktor berühmt.
Kunstpark Ost: Buntes Treiben – für jeden was dabei
Ringsum entstanden weitere Bars, Ateliers, Spielhallen, Büros, Diskotheken, Fotostudios und Kneipen, das Publikum liebte das Partyangebot auf dem riesigen Freizeitareal. Das einstige Fabrikgelände war zu einem neuen Zweck umgestaltet worden. Da gab es improvisierte Imbissbuden, mannigfache Möglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler jeden Alters, jeden Geschlechts und jeder Sparte, sich auszutoben und die Chance für junge Gastronomen, besondere und extravagante Konzepte zu realisieren.

Wolfgang Nöth hatte ein Händchen für erfolgreiche Abend- und Nachtunterhaltung und ließ sich auf viele Deals ein. Klar verdiente er sich dadurch ein stolzes Sümmchen, dies aber zurecht, weil er als Pionier des Kunstparks ja schließlich derjenige war, der hinter den Kulissen die Strippen zog.
Mehrere Tausend Gäste am Abend
Scharenweise trudelten bestgelaunte Feiermenschen vom hinteren Ausgang des Ostbahnhofes Richtung Kunstpark, Vorfreude lag in der Luft, die Abende waren stets wild und ausgelassen, egal, ob Konzerte, Discobesuche oder unbefangene Trinkabende. Technofans konnten sich im Ultraschall oder KW Heizkraftwerk bei Veranstaltungen der Tanzdiebe austoben, Star-DJs wie Sven Väth und David Morales sorgten dort für beste Unterhaltung.

Bevor es so richtig losging, trafen sich alle in Michi Kerns Nachtkantine, die freilich auch als Kurzaufenthalt zwischen zwei Club-Besuchen diente. Dann gab es die Bongo Bar mit frühen Poetry Slams samt Ko Bylanzky, spektakulären Auftritten von Petra Perle und dem Roy-Urgestein Günther Grauer, sowie der grandiosen Constanze Lindner, die seinerzeit mit ihrer umwerfenden Hildegard-Knef-Parodie als "Hilde Gard" auf die Bühne trat.
Der Kunstpark lebte und veränderte sich laufend, doch einige Konstanten blieben bestehen, wie der schönste Club des Geländes, das Starsky's unter der Leitung des kanadischen Komikers und Wirts Matt Devereux, der mit seinem kongenialen Team die aufsehenerregendsten Partys der Stadt feierte.

Wilde Kostüme und grenzenlose Party
Da gab es kein Halten, es wurde glamourös aufgelegt, einmal tanzten zwei Herren im Ganzkörper-Hahn-Kostüm und Ganzkörper-Kuh-Kostüm mit einem als Hirsch verkleideten Jägermeister-Promoter auf der Tanzfläche Pogo zu "Little Less Conversation" von Elvis Presley.
Ob es sich bei dem Hahn und der Kuh in Wirklichkeit um den Starsky's-Chef Matt und dessen Bruder James handelte, sind bis heute unbestätigte Gerüchte. Im Starsky's wurde auch "3 Minute Madness", die erste deutsch-englischsprachige Mixed-Show im deutschsprachigen Raum gegründet, in der nach einem sehr unterhaltsamen Comedypart jeder für drei Minuten tun und lassen konnte, was beliebte.

Einmal sang dort ein junger Herr, außer einer australischen Flagge nichts am Leib, "God save the Queen", an einem anderen Abend eskalierte ein betrunkener Mann, der sich "Angry Peter" nannte, drei Minuten am Mikrofon und schimpfte auf die Vergänglichkeit des Seins, ein anderes Mal machte eine Dame ihrem Liebsten auf der Starsky's-Bühne einen hochemotionalen Heiratsantrag, ein junger Künstler feierte seinen dreißigsten Geburtstag und bat alle Gäste, in Toga zu erscheinen – doch außer ihm und dem eingeteilten, leicht überforderten Barmitarbeiter erschien niemand im römischen Gewand.
Gäste aus aller Welt auf dem Gelände
So zogen die Besucher des Kunstparks ihre Kreise, strömten aus aller Welt aufs Gelände und besuchten die Locations, ob Babylon, Gerd Schneiders K41, die Werkbar über den Dächern der Stadt, den Natraj Temple mit Sven, dem coolsten Türsteher weit und breit, oder den Stripclub New York Table Dance. An den Abenden waren viele, viele Tausend Gäste im Kunstpark. Es gab sogar eine Kunstpark-Ost-Magazin, ein Druckwerk des Szenekenners Reinhard Strasser.

Schon nach wenigen Jahren neigte sich diese wunderschöne Zeit dem Ende zu, eine Zeitlang wurden die Abflughallen des Flughafens Erding zwischengenutzt, und schließlich wurde der Kunstpark zur Kultfabrik, ein paar der ursprünglichen Betreiber zogen in Nöths neue Optimolwerke auf der anderen Seite des Geländes. Genau vor 20 Jahren, Anfang Februar 2003, war der Kunstpark Ost Geschichte.
Was ist aus den Menschen dahinter geworden?
Was ist aus den Menschen im Kunstpark geworden? Petra Perle wohnt mit ihrem Mann Harald, dem einstigen Bandleader der Bullyparade, im Bayerischen Wald und schreibt Häkelanleitungen, Constanze Lindner ist eine erfolgreiche Kabarettistin und Entertainerin im Bayerischen Fernsehen und auf vielen großen Bühnen zu sehen, Götz Scheffel arbeitet als Wintersportlehrer in Kapstadt, Flo und Jakob Faltenbacher sind mit ihrer Milchbar mehrere Male umgezogen und residieren seit vielen Jahren sehr erfolgreich in der Sonnenstraße 27, dort, wo sich einst Münchens erste Disco befand, das "Scotch Casino".

Die Nachtkantine existiert in München nach wie vor, Matt Devereux betreibt die sagenhafte Bar "Kooks – betreutes Trinken" in der Geyerstraße. Und Wolfgang Nöth hat sich Anfang 2022 in den Himmel verabschiedet und überwacht seither von oben – auf einem antiken Holzthron sitzend – wie immer mit Baseballkappe und langem Hippie-Haar das Münchner Nachtleben. Wohlwollend.
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