Wie die Deutsche Bahn Menschen diskriminiert: "Diktatur der Digitalisierung"
München - Hans L. pensionierter Geschäftsführer aus München, reist gerne und viel, besaß nie einen Führerschein und ist als solcher wohl einer der besten Kunden der Bahn. L. ist daher im Besitz des bombastischen "BahnBonus Statuslevel Gold". Doch der Zutritt zu den Lounges der DB, der mit dem Gold-Level verbunden ist, bleibt ihm seit Jahr und Tag versagt. Grund: Sein Smartphone ist nicht modern genug. Papierausdrucke werden nicht akzeptiert.
Das Herunterladen einer "App", die allein den Zugang zu den Lounges eröffnet, verweigert L.'s Handy beharrlich. Ebenso beharrlich wird dem treuen Bahn-Kunden der Zutritt zu den etwas angenehmeren Aufenthaltsräumen in den Bahnhöfen verwehrt. "Wie ein Irrer" habe er in der undurchschaubaren Bahn-Bürokratie herumtelefoniert, berichtet L. "Das Ergebnis war letztlich immer dasselbe: Es geht nicht."
"Menschen, die nicht digital sind, leiden zunehmend unter Diskriminierung", sagt der Vorsitzende der Seniorenunion
Die DB fährt an der Spitze der Digitalisierungswelle, verfährt dabei aber ziemlich rücksichtslos. Wenn die Kunden nicht mitmachen, erleiden sie Nachteile, müssen mehr zahlen oder bleiben womöglich ganz auf der Strecke. "Wir stellen mit Erschrecken fest, dass Menschen, die nicht digital unterwegs sind, zunehmend unter Diskriminierung leiden. Das gilt nicht nur, aber insbesondere auch für die Deutsche Bahn", sagte unlängst der Landesvorsitzende der Seniorenunion (SEN) der CSU, Ex-Staatssekretär und Altlandrat Franz Meyer.
Die Bahn zieht die Daumenschrauben für Digitalmuffel weiter an. Die BahnCard 50 soll ab Juni dieses Jahres nicht mehr in Plastik-, sondern nur noch in digitaler Form erhältlich sein. Der als Alternative angebotene Papierausdruck erfordert ein digitales Kundenkonto und eine E-Mail-Adresse. Sparpreis-Tickets sind seit Oktober 2023 nicht mehr als klassische Fahrkarten ohne E-Mail-Adresse oder Mobilnummer erhältlich.
"Das ist unglaublich", ärgert sich SEN-Vorsitzender Meyer: "In diesem Land haben nicht alle Menschen eine E-Mail-Adresse oder ein Handy, aber alle Menschen müssen Zugang zur BahnCard und zu Sparpreis-Tickets haben." Die Initiative "Digitalcourage" geht seit 1987 gegen digitale Diskriminierung vor. Dort hält man es für zynisch, wenn die Digitalisierungsförderer davon ausgehen, dass sich das Problem der Digitalisierungsmuffel aus biologischen Gründen über kurz oder lang erledigen wird.
Harald Lesch spricht von der "Diktatur der Digitalisierung"
Es gebe auch jüngere Menschen, die sich bewusst gegen ein Smartphone entscheiden – etwa aus Datenschutz- oder Kostengründen. "Wir sind technikaffin, doch wir wehren uns dagegen, dass unsere Demokratie 'verdatet und verkauft' wird", heißt es auf der Webseite von "Digitalcourage". Einen prominenten Mitstreiter findet die Initiative im Astrophysiker und Wissenschaftsjournalisten Harald Lesch, der vor einer "Diktatur der Digitalisierung" warnte.
Außerdem hinterfragt er den enorm wachsenden Energieverbrauch der Digitalisierung, der durch den Einsatz der Künstlichen Intelligenz noch einmal einen enormen Schub erhalten habe. "Digitalcourage" beklagt, dass der "Digitalzwang" schon weit fortgeschritten ist. Der Verein unterscheidet vier Ebenen von Digitalzwang: "Digitalisierungszwang" entsteht nach dieser Definition, wenn es keine analoge Alternative gibt und der Einzelne ohne Smartphone oder PC aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt wird.

Eine weitere Form ist der "App-Zwang": Man benötigt eine "App", die nur zu bestimmten Bedingungen installierbar ist. Dazu kommt der Konto- beziehungsweise Account-Zwang, der angenommen wird, wenn bestimmte Dienste nur nutzbar sind, wenn man ein Konto anlegt und Angaben zur Person macht. Einen solchen Zwang nimmt man auch an, wenn ein Google- oder Apple-Konto vorausgesetzt wird. Vervollständigt wird die digitale Zwangskulisse vom verbreiteten "Datenabgabezwang".
"Rieseneklat": Senior aus München wird Busfahrt zum Flughafen verweigert
Der liegt vor, wenn ein Dienst nur verfügbar ist, wenn der Nutzer bereit ist, Überwachungstechnologie wie Tracker und Cookies zu akzeptieren. Grundsätzlich gilt laut "Digitalcourage": Je größer der Nachteil ist, der einem Bürger gegenüber der digitalen Lösung entsteht, desto größer auch der Digitalzwang.
Wer noch eine der letzten Plastikkarten der DB ergattert hat, ist vor unangenehmen Überraschungen nicht sicher, denn auch Plastik und Chip sind zuweilen verdächtig. So wurde dem Vielfahrer Hans L. die Mitfahrt in einem Münchener Flughafenbus verweigert, weil er das Deutschlandticket nicht in Form eines digitalen Barcodes auf dem Smartphone, sondern nur in Gestalt einer Plastikkarte vorweisen konnte. Der Busfahrer konnte die Karte nicht lesen und bestritt kurzerhand die Gültigkeit.
"Es gab einen Rieseneklat", sagt L. Niemand wollte ihm glauben, dass die Chipkarte zur Mitfahrt berechtigt. Wissenschaftsjournalist Lesch warnt übrigens auch davor, sich zu sehr auf digitale Fähigkeiten zu verlassen und dadurch das eigene selbstständige Denken zu vernachlässigen.