"Wer kauft so etwas noch?" Schlechte Zeiten für Münchner Leihhäuser
München - Die jungen Menschen", sagt Anneliese Rainer, "die haben keine Vitrine mehr, in der sie Porzellanfiguren ausstellen und sie möchten auch kein Silberbesteck mehr haben." Sie greift hinter sich und zieht eine silberne Zigarrentube aus dem Regal. "Wer kauft so etwas heute noch?", fragt sie. Und beantwortet sich ihre Frage gleich selbst: "Niemand mehr."
Pfandleihhaus in Haidhausen: Kunden bleiben weg
Es ist Freitag, 12 Uhr. Das Pfandleihhaus Richter hat seit zwei Stunden geöffnet, aber noch ist kein einziger Kunde durch die Tür gekommen, der einen Goldbarren oder einen edelsteinbesetzten Ring in Zahlung hätte geben wollen. "Das ist ganz normal zur Zeit", sagt Rainer. Seit Beginn der Corona-Krise ist die Zahl der Kunden in dem Pfandleihhaus in Haidhausen um fast die Hälfte eingebrochen. Sie glaubt: "So lange die Lufthansa nicht mehr fliegt, so lange wird das auch so bleiben."
Anneliese Rainer hat ein freundliches Lächeln und Lachfalten im Gesicht, von ihren Ohren hängen weiße Perlenohrringe. Eigentlich heißt sie nicht Anneliese Rainer, aber ihren wirklichen Namen möchte sie nicht in der Zeitung stehen haben, die große Aufmerksamkeit liegt ihr nicht.
Sie arbeitet seit drei Jahren im Pfandleihhaus Richter am Weißenburger Platz; wenn gerade keine Kunden kommen, dann stellt sie in dem kleinen Büro neben der Theke selbst Schmuck her, Perlenketten beispielsweise. Die kann man hier im Pfandleihhaus kaufen, so wie man hier auch Silbertabletts und Porzellanfiguren und alte Bulgari-Ringe kaufen kann.
Immer mehr Verbraucherinsolvenzen
Keine Pfänder, sondern ein zweites Standbein des Ladens. Aber auch daran hat das Interesse der Münchnerinnen und Münchner abgenommen. Es sind schlechte Zeiten für Pfandleihhäuser, und das mag auf den ersten Blick überraschen.
Denn die Krise ist auch hier in der Stadt so langsam angekommen, die Zahl der Verbraucherinsolvenzen ist gestiegen in den letzten Monaten, die Tafel verzeichnet eine steigende Zahl an Bedürftigen. Die Zahl der Münchner, die Geld brauchen, dürfte in den letzten Monaten eher nach oben als nach unten gegangen sein.
"Die, die nichts haben, die bringen ihre Sachen nicht zu uns"
Aber, sagt Rainer: "Die, die überhaupt nichts haben, die bringen ihre Sachen nicht zu uns. Die verkaufen. Ins Pfandleihhaus geht man, wenn man eine kurzfristige größere Ausgabe hat, wenn man beispielsweise in den Urlaub fliegen will."
Pfandleihhäuser funktionieren ähnlich wie Banken, sie vergeben Kredite und Darlehen an ihre Kunden. Aber anders als bei einer Bank muss man bei ihnen seine Kreditwürdigkeit nicht nachweisen. Stattdessen kann man Wertsachen in Zahlung geben, Goldbarren, Silberringe, Kunstwerke.
Sparquote im Jahr 2020 auf 16,2 Prozent geklettert
Die werden auf ihren Wert geschätzt und einen Teil dieses Wertes bekommen die Kunden als Kredit ausbezahlt. So lange sie jeden Monat die Zinsen bezahlen, behält das Pfandhaus die Gegenstände ein. Werden die Zinsen nicht mehr bezahlt, wird das Pfand versteigert. Das Pfandleihhaus ist verpflichtet, sich um die Versteigerung zu kümmern; sie verdienen daran allerdings kein Geld: Das, was bei der Auktion erzielt wurde, fließt an den Kunden.
Weil all jene Aktivitäten, die kurzfristiges Geld kosten, in den Monaten der Corona-Krise nicht möglich waren, sind die Kunden in der letzten Zeit weniger geworden. Niemand ist in den Urlaub geflogen oder schick essen gegangen. Stattdessen haben die Leute ihren Schmuck behalten und zwangsweise gespart. Deutschlandweit ist die Sparquote im Jahr 2020 auf 16,2 Prozent hochgegangen - von 10,9 Prozent im Jahr 2019.
Pfandleihe: Wofür geben die Menschen eigentlich ihr Geld aus?
"Wenn man hier arbeitet", sagt Rainer, "dann sieht man den Wandel der Zeit." Sie kennt viele ihrer Kunden inzwischen sehr gut; Stammkunden, die immer die gleiche Kette in Zahlung bringen und zwei Wochen später wieder auslösen, Familien, die alle paar Monate vorbeikommen, vermutlich kurz vor dem Jahresurlaub, ältere Damen aus der Nachbarschaft, die vorbeischauen, um sich die fein gearbeiteten Ringe in der Vitrine anzuschauen.
Rainer fragt niemals nach, warum die Leute Geld brauchen. Aber was sie sieht, ist ein Wandel darin, wofür die Menschen ihr Geld ausgeben. "Die junge Generation", sagt sie, "die kauft Smartphones und fliegt in den Urlaub. Mit Tischkultur kann sie nichts anfangen."
Für Leihhäuser wie das Pfandleihhaus Richter ist das ein Problem. Denn Smartphones und Computer kann man bei ihnen nicht in Zahlung geben. Sie verlieren zu schnell ihren Wert.
Und wenn die Leute nichts mehr kaufen, was einen langfristigen Wert hat, dann haben sie auch nichts, was sie beleihen könnten, wenn sie kurzfristig Geld brauchen. Dazu kommt: Auch viele Gegenstände, die einst ein sicherer Wertspeicher waren, lassen sich heute nicht mehr beleihen. Kameras, beispielsweise.
"Wenn man hier arbeitet, sieht man den Wandel der Zeit"
"Jeden Monat", sagt ein anderer Mitarbeiter, "kommt ein neues Modell heraus und lässt die älteren Modelle veraltet wirken." In den vergangenen Jahren hat sich deswegen die Menge der Gegenstände, die das Pfandhaus Richter in Zahlung nimmt, immer weiter verkleinert: Keine Mäntel mehr, weil Fast Fashion deren Wert absenkt. Keine Elektronik mehr. Und selbst bei Uhren sind sie vorsichtig geworden.
In den letzten Monaten haben sie dafür häufiger Musikinstrumente beliehen, Gitarren, Saxofone, Geigen. Die langfristigen Probleme der Leihhäuser wird das allerdings nicht lösen. "Die Frage ist", sagt Anneliese Rainer: "Was können wir überhaupt noch beleihen? Welcher Alltagsgegenstand hat überhaupt noch langfristig einen Wert?"

So sieht das auch Lena Richter (25), die Tochter des Eigentümers der Pfandleihe Richter: "Es stimmt, dass unsere Generation sich weniger interessiert für Porzellan und Silberringe. Ich sehe das ja bei meinen Freunden", sagt sie. "Aber andererseits fand ich es dann immer besonders schön, wenn junge Leute in den Laden kamen und sich interessiert haben; die waren oft ganz fasziniert von den alten Silberringen, haben sich genau erklären lassen, wie die früher hergestellt wurden."
Es gibt immer Leute, die die Bank nicht für kreditwürdig hält
Sie kann sich auch vorstellen, dass das Interesse an Silber- und Goldschmuck wiederkommt: "Das ändert sich ja in jeder Generation." Vielleicht wird sie später den Laden übernehmen, aktuell studiert sie Betriebswirtschaftslehre. Sie glaubt: So lange es Bargeld gibt, wird es auch Pfandleihen geben. Denn es gibt immer Leute, die die Bank nicht für kreditwürdig hält oder die dringend Bargeld brauchen.
An viele Kunden kann sie sich noch ganz genau erinnern, beispielsweise die alleinerziehende Mutter, die immer wieder vorbeikam, um alte Familienerbstücke zu beleihen, um ihrer Tochter Schulausflüge und Lernmaterial bezahlen zu können. Wenn sie den Laden übernimmt, wird sie versuchen, auch elektronische Geräte zu beleihen. "Das geht dann nur unter Wert, aber es geht."
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