Vom Monument zur Ruine: Das »Oly« bröckelt!

Denkmal der Spiele von 1972, Monument eines neuen demokratischen Deutschlands und Ort sportlicher Triumphe. Doch seit der Fußball hier nicht mehr rollt, hat der Olympia-Park ein Problem. Wird das »Oly« zur Ruine?
von  Abendzeitung
In einem fürchterlichen Zustand sind vor allem die Tickethäuschen.In einem fürchterlichen Zustand sind vor allem die Tickethäuschen von den Olympischen Spielen 1977 –
In einem fürchterlichen Zustand sind vor allem die Tickethäuschen.In einem fürchterlichen Zustand sind vor allem die Tickethäuschen von den Olympischen Spielen 1977 – © Sigi Müller

Denkmal der Spiele von 1972, Monument eines neuen demokratischen Deutschlands und Ort sportlicher Triumphe. Doch seit der Fußball hier nicht mehr rollt, hat der Olympia-Park ein Problem. Wird das »Oly« zur Ruine?

VON MICHAEL GRILL

An so einem Tag erinnert man sich wieder daran, warum Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß hier raus wollten: Eiskalte Regenschauer fegen über die Gegengerade, der Wind pfeift durchs Plexiglasgebirge. Heute sind es nur ein paar ausländische Touristen, die den Kragen hochschlagen und unverdrossen gegen zwei Euro Eintrittsgeld durch Münchens früher mal berühmtestes Stadion stapfen. Damals waren es Samstag für Samstag bis zu 69000, und unter der Woche kam Europa mit der Champions League.

Heute sagt die nette Dame an der einzigen Kasse für die Besichtigungstour, dass bei dem Wetter eh nicht viel los ist. Sie sagt nicht: Noch weniger als sonst. „Eine Dachtour ist für 16 Uhr geplant, aber heut ist es wohl zu gefährlich, zu glatt.“

Olympiastadion München. 30 Jahre lang eine einzige Erfolgsgeschichte. Kaum ein Olympiabauwerk weltweit wurde so intensiv und so nachhaltig genutzt wie das Münchner Wunderwerk von 1972, mit dem die Bundesrepublik der Welt zeigen wollte, dass sie auch andere Spiele veranstalten kann als 1936 in Berlin, wo Hitler seine Vorstellung von Olympia in einem Granitplattenkoloss aufführte.

Doch der Münchner Traum war irgendwann vorbei. Nach vielen, vielen demokratisch-heiter durchfrorenen Fußballabenden war nicht nur der FC Bayern der Ansicht, dass es so nicht weitergehen könne. Das Olympiastadion München war ein tolles Monument, aber ein schlechtes Fußballstadion – und die Klammer der fehlenden Alternative begann sich aufzulösen.

Fast zehn Jahre quälte sich München mit der sogenannten Stadiondebatte: Pläne wurden gezeichnet, verworfen, neu vorgelegt, kritisiert, verändert, wieder vorgelegt. Am Ende stellte sich heraus: Es geht nicht. Man kann aus dem Olympiastadion nicht das machen, was seine wichtigsten Mieter unter einem modernen Fußballstadion verstehen.

2001 stimmten die Münchner bei einemBürgerentscheid für den Bau eines neuen Stadions, 2005 bezogen der FC Bayern und der TSV 1860 die Allianz Arena in Fröttmaning. An dem Tag des letzten Spiels im „Oly“ saß Wilfrid Spronk, der Chef der Olympiapark GmbH, auf der Tribüne und weinte. Er wusste: Jetzt kommen schwere Zeiten. Seitdem ringt Spronk um neue Nutzer für den Park. Es kamen Weinwelten, Bikerrennen, Kinofestivals, Erlebnistouren und einiges mehr. Aber es reicht nicht, um die Anlagen auszulasten. Das Defizit ist größer geworden, neun Millionen Euro muss die Stadt nun jedes Jahr zuschießen. Doch Spronk kämpft weiter – und löst damit neue Widerstände aus.

Als vor einigen Monaten Pläne für ein Wellness-Center am Olympiaturm und Neubauten im östlichen Parkbereich bekannt wurden, brach sofort ein Sturm der Entrüstung los. Viele Münchner lieben ihren Olympiapark und fürchten sich vor jeder Veränderung und Kommerzialisierung. Seitdem hat München seine neue, zweite große Olympiaparkdebatte.

Doch während sich die Öffentlichkeit bislang vor allem um die Fragen der großen Perspektive streitet – Bebauung der Parkränder, neue Hotels und ähnliches – gerät völlig aus dem Blickfeld, wie der Zustand des Stadions aktuell bereits ist. Das Wunderwerk von 1972 ist in Gefahr, eine stille, einsame Ruine zu werden.

Ein Besuch im Aprilregen 2008: Die Tore auf dem Spielfeld sind längst verschwunden, im Elfmeterraum vor der Südkurve liegt ein großer Berg schmutziger Restschnee. Wenn die Handvoll Touristen gegangen ist, ist man im „Oly“ völlig alleine. An Stufen sind die Kanten abgeschlagen, in vielen Betonteilen sind Risse.

Hinter der Nordkurve hört man nur das Rauschen des Petuelrings und das Flattern der Plastikfolien, die der Wind aus den Mülleimern zieht. Dort, wo – hinter Block O – einst das Olympische Feuer stand, ist drumherum abgeholzt wurden. Offenbar als Ausgleich steht nun ein grauer Verteilerkasten direkt vor dem Symbol der Spiele.

Die Farbbänder von 1972 bleichen vor sich hin, Müll fegt über olympischen Bodenwellen. Besonders schlimm sieht die große Kanzel über der Haupttribüne aus: Wie auf einer Sperrmüllsammelstelle liegt Gerümpel herum, geht Blech aus seinen Fugen, verschmiert von Graffiti. Taubendreck überall.

Noch düsterer ist der Umgang hinter der Haupttribüne: herausgerissene Kabel, herumliegende Leitungen, Dreck – ein einziges Elend. Und wer keinen Eintritt zahlen möchte, um das zu besichtigen, der kann einfach mal zu den Kassenhäuschen von 1972 im Süden den Arena gehen: So kaputt hat man Münchens olympischen Schatz, den Welt-Denkmalschützer Michael Petzet vor kurzem in der AZ zu einem potenziellen Weltkulturerbe erklärt hat, noch nie gesehen.

„So ein Schmarrn“, entfährt es Parkchef Spronk, auf die Kritik angesprochen: Die Kanzel sei eine Baustelle, der ganze Betonring an der Haupttribüne müsse erneuert werden, das werde aber alles erledigt. Die alten Kassenhäuschen seien zum Teil schon abgeräumt. „Und der Taubendreck“, so Spronk, „den hat es doch schon gegeben, als der Fußball noch da war, da kann man gar nichts machen“. Die Kritik sei ihm überhaupt „unverständlich“, er werde aber mit den Stadtwerken reden, die ja schließlich für den Bauunterhalt zuständig seien.

Im Grund hat man es ja gewusst: Das Hauptargument gegen den Auszug des Fußballs war immer, dass man nicht wisse, was dann mit dem Olympiastadion passieren soll. Dann zog der Fußball aus, und man wusste es immer noch nicht, hoffte aber auf eine Lösung, irgendwie. So ist die Lage bis heute.

Bei einer Bürgerdiskussion vor einigen Wochen sagte Spronk: „Gott beschütze den Olympiapark davor, ein Museum zu werden.“ Das hat Gott oder wer auch immer bislang brav gemacht. Doch wer wollte auch ein Museum, das auf der einen Seite in gesichtslose Hoteltürme übergeht und auf der anderen schwankt zwischen Ruine und Grattlereck?

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