Visite von Doktor Spaßvogel

München – Emma Sophie ist skeptisch. Sie zieht die Augenbrauen zusammen und beobachtet still. Was soll das, diese beiden bunten Menschen mit den ausladenden Bewegungen? Dann sinken die ersten Seifenblasen in die Krankenhausbettmatratze – und alles ist gut. Emma Sophie Bertholdt kichert, ihre Mutter lacht.
„Man weiß vorher nie, wie die Kinder reagieren“, sagt Thomas Holzer. „Und man erwartet natürlich nicht, dass sie sich wegwerfen vor Lachen.“
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Dass ein Clown das sagt, klingt überraschend – aber es ist keine normale Show, was Holzer als Clown Steffo und seine Partnerin Yueh Weber-Lu als Lulu im Kinderhaus in Harlaching machen. Manchmal winken sie nur durch die Glasscheiben mit aufgemalten Märchenfiguren in ein Zimmer, manchmal überreichen sie nur still lächelnd einen herzförmigen Luftballon.
„Dass man ein Clown ist, tritt oft zurück – es geht um die Menschen“
Sie sind Klinikclowns – die wohl selbstloseste Spezies der Spaßvögel. „Dass man ein Clown ist, tritt hier oft zurück“, sagt Holzer. „Es geht vor allem um die Befindlichkeit des Menschen vor einem.“
Auch das Make-up ist deshalb sehr dezent: etwas Weiß über die Augen, rote Backen, ein roter Punkt auf die Nase und zu große Klamotten – fertig. Die rote Gumminase trägt Holzer meistens nur für Fotos. „Wir stehen ja nicht in der Manege“, sagt er, während er den Clowndoktorkittel anzieht. „Und wir besuchen die Kinder in Situationen, in denen sie nicht ganz auf der Höhe sind.“
Mit schwingenden Schritten, zu „Oh“s geformten Mündern und quietschenden Gummitieren in den Kitteltaschen stromern die beiden durchs Krankenhaus. Welche Kinder kräftig genug sind, um ein normales Klinikclown-Programm zu bekommen, und welche sie beispielsweise als Letztes besuchen sollten, weil sie ansteckend sind, erfahren sie von den Stationsschwestern. „Der Nele geht’s gut“, sagt eine, „mit dem Carlos müsst ihr aufpassen, der ist noch schwach."
In einer Liste vermerkt Holzer, welchen Spaß sie mit welchem Kind gemacht haben, damit sich nichts doppelt, falls sie sich wiedertreffen. „SB + LB“ steht da – „Seifenblasen und Luftballon“. Oder: „Zwieback an Feind schicken“. Was Steffo und Lulu spielen, ist improvisiert und situationsbedingt – was zum Beispiel mit dem Zwieback in der vergangenen Woche los war, weiß keiner von ihnen mehr richtig. „Ich glaube, der Junge mochte den Krankenhauszwieback nicht“, sagt Lulu und rümpft die Nase unter der roten Nase.
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Man kennt die Clowns hier, Schwestern und Ärzte lächeln ihnen zu, quatschen kurz mit ihnen. Einmal pro Woche ist das Duo zu Besuch. „Wir schauen natürlich, dass wir den Betrieb so wenig wie möglich stören“, sagt Holzer.
Aber man merkt ohnehin, dass ihre Anwesenheit für viele auch eine Entlastung ist: Eine Mutter mit müden Augen lächelt, als ihr knapp einjähriges Kind auf die Clowns zutapst und sie kurz einmal durchatmen kann. Schwester und Mutter von Luca Bakan machen Fotos mit ihren Smartphones, als das Duo an seinem Bett steht.
Und die Mutter vom dreijährigen Aziz lacht befreit, als er – frisch aus der Isolation – den Clowns durch die Gänge hinterhertobt und nach Seifenblasen boxt.
Immer wieder gibt es Fortbildungen, auch zum Thema "Humor und Sterben"
Thomas Holzer mit seinen Taschen voller Herzballons ist seit 2007 zuständig für das Kinderhaus. Im November feiert er sein Clown-Zehnjähriges. Der 46-Jährige hat wie alle Klinikclowns einen künstlerischen Hintergrund: Holzer ist hauptberuflicher Bildhauer. Er suchte einen Ausgleich zu der Einsamkeit im Atelier – und kam schließlich zu den Clowns.
Nach einem Kennenlern-Seminar stellt der Verein fest, ob es passt. Dann nehmen einen zuerst Clownpaare mit zum Einsatz, bis man selbst bespaßen darf. Und immer wieder gibt es Fortbildungen in Improvisation und Clownstechniken, aber auch Supervisionen und Workshops zu Themen wie „Humor und Sterben“.
Denn die Clowns gehen nicht nur ins Kinderkrankenhaus, sondern auch auf Palliativstationen oder in Altenheime. Holzer ist drei- bis viermal pro Woche unterwegs und besucht Kinder und Senioren, zum Beispiel im Haus St. Martin des Münchenstifts in Giesing. Wenn er hier – jetzt ohne Arztkittel – durch die Gänge läuft, geht er genauso knieschwingend wie im Kinderhaus. Aber er spricht viel lauter. Seifenblasen sieht man hier selten, Slapstick gar nicht. „Ältere Menschen haben oft schon einen schlimmen Sturz erlebt“, erklärt er, „die finden es nicht witzig, wenn jemand hinfällt.“
Demente Menschen finden sich oft in der Musik wieder
Dafür singen er und seine Altenheim-Partnerin Lieselotte mit den grünen Schuhen und der großen Blume im Haar alias Monika Molodovsky viel. Das ist ein guter Zugang: „Gesang ist wahnsinnig wichtig“, sagt Clown Steffo. „Selbst demente Menschen mit wenig Erinnerungen können oft Liedtexte mitsingen und finden sich in der Musik wieder.“
Er läuft durch die hellen, gelb gestrichenen Gänge des Hauses, liest den Namen auf einem Türschild. „Ah, die Frau Schucht“, sagt er. „Die mag Musik.“ Also klopfen er und Lieselotte an. Gisela Schucht lächelt, als sie die beiden erkennt: „Die Musiker sind da!“ Drei dreistimmige Lieder später strahlt die kleine Frau mit den silberweißen Haaren. „Ich danke Ihnen so sehr. Momente wie diese bleiben immer im Herzen.“
Für die meisten Bewohner ist es schon eine Freude, dass ihnen jemand zuhört oder die Hand hält. „Das ist unsere große Stärke“, sagt Molodovsky. „Wir kommen nur für die Bewohner und haben Zeit, uns ganz auf sie einzulassen.“
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Im Flur steht Hans Strengfriedl, gestützt auf seinen Rollator. Er hat schon auf seinen Clownbesuch gewartet. „Ich bin begeistert von Ihnen!“, ruft er. Und dann reißt er mit Stoffo und Lieselotte Witze über schnarchende Partner.
In insgesamt 77 Einrichtungen im ganzen Bundesland entsendet der Verein „Klinikclowns Bayern“ seine Mitarbeiter. 54 ausgebildete Clowns sind derzeit im Einsatz, immer zu zweit. Darüber, dass Humor in der Patientenbetreuung nicht nur Abwechslung bringt, sondern auch bei der Heilung hilft, gibt es inzwischen diverse Untersuchungen und Fachartikel. Neue Anfragen haben die Klinikclowns daher ständig – inzwischen auch aus Hospizen, geriatrischen und gerontopsychiatrischen Klinikstationen, aus Einrichtungen für behinderte Menschen und Palliativstationen. „Mehr machen könnten wir immer“, sagt Karin Platzer von Klinikclowns Bayern. „Aber da geht es dann natürlich auch um Finanzierungsmodelle.“ Denn die Clowns-Einsätze sind vor allem finanziert über Spenden und die Mitgliedsbeiträge des gemeinnützigen Vereins.
„Ich bin sehr dankbar, dass ich diese Arbeit machen kann“, sagt Thomas Holzer. „Es ist schön, zu helfen, und immer eine direkte Reaktion zu bekommen. Am Ende des Tages gehe ich immer gut gelaunt nach Hause.“ Er zieht sein übergroßes Jackett aus. Es quietscht leise aus der Tasche.