Viele Roma unter Ukraine-Flüchtlingen: "Sie will kaum einer aufnehmen"

In den Messehallen sind derzeit vor allem Roma untergebracht. Es kommt zu Konflikten mit Nicht-Roma und bei der Weitervermittlung. So reagiert die Stadt München.
Nina Job
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Die zur Notunterkunft umfunktionierte Halle C6: Mittlerweile gibt es hier Stellwände und mehr Feldbetten.
Die zur Notunterkunft umfunktionierte Halle C6: Mittlerweile gibt es hier Stellwände und mehr Feldbetten. © privat

München - Tag und Nacht brennt das Licht. Abends wird es nur etwas heruntergedimmt. Hunderte Menschen in einer Halle in völliger Dunkelheit? Das wäre gefährlich.

Mehr als 2.000 Menschen sind derzeit in den Messehallen in Riem gemeinsam untergebracht. Zur Ruhe kommt hier niemand. Kinder toben zwischen den Feldbetten herum. Frauen weinen. Ab und zu wird per Megafon verkündet, dass wieder ein Bus irgendwohin fährt, in eine andere Unterkunft. Wer mitwill, muss schnell seine Sachen packen.

"Einer passt auf, die anderen schlafen"

Nachts wecken die Schreie der Säuglinge die andern. Und immer brennt Licht. Helfer haben bereits Ohropax und Schlafmasken verteilt. Doch wenn man nichts hört und sieht, sorgt das auch nicht wirklich für ein besseres Sicherheitsgefühl. "Mittlerweile wechseln sich viele ab: Einer passt auf, die anderen schlafen", berichtet ein Kriegsflüchtling der AZ. "Es ist Stress pur dort. Die Nerven liegen blank."

Auch Helfer berichten, die Stimmung sei angespannt, manchmal fast explosiv. Viele fühlen sich überfordert, vor allem weil sie sich kaum verständigen können, es gibt zu wenige Dolmetscher. Die Kriegsflüchtlinge seien weitgehend sich selbst überlassen, manche hätten keine Ahnung, wie es nun weiterginge mit ihnen oder wo sie an Milchpulver und abgekochtes Wasser für ihre Säuglinge kommen.

Flüchtlinge berichten: Jede Nacht verschwinden 15 Handys

Manchmal würden Sicherheitsleute angegangen und Ehrenamtler, die eigentlich ja helfen wollten, bespuckt. Flüchtlinge wiederum berichten, das Securitypersonal sei zu wenig präsent oder diskriminierend. Und dass jede Nacht 15 Handys verschwinden, sei normal.

Polizisten vor der Messehalle.
Polizisten vor der Messehalle. © job

Die Polizei bestätigt das nicht. Insgesamt sollen in allen Münchner Flüchtlingsunterkünften seit Kriegsbeginn 48 Delikte aktenkundig geworden sein. Darunter auch der massivste Vorfall: die Randale in der mittlerweile geschlossenen Unterkunft am Marsplatz (AZ berichtete), wo unter anderem Stühle zertrümmert wurden.

In der Mehrheit der Fälle habe es Streitereien und "Unmutskundgaben" gegeben, wenn größere Personengruppen verlegt werden sollten, so die Polizei. Von vielen Diebstählen und Aggressionsdelikten - keine Spur. "Man muss aber auch sagen, dass nicht immer alles zwingend an uns herangetragen wird", so der Polizeisprecher zur AZ.

Dafür machen unter ukrainischen Flüchtlingen in sozialen Netzwerken Videos von aggressiven Roma die Runde, die Stühle zertrümmern oder Frauen, die ihre bunten Röcke ausbreiten. "Das wird auf uns alle zurückfallen", schimpfen in den Videos Nicht-Roma über Roma-Flüchtlinge.

Helfer berichten: "Mittlerweile sind 70 bis 80 Prozent Roma und Sinti"

Seit gut drei Wochen gibt es die Notunterkunft in Riem, in den vergangenen zehn Tagen hat sich das Bild der Hilfesuchenden dort stark verändert. Helfer, die regelmäßig vor Ort sind, sagen, mittlerweile seien 70 bis 80 Prozent der Menschen dort Roma und Sinti. "Anfangs sah man sie vereinzelt, mittlerweile ist aus der Minderheit eine Mehrheit geworden", bestätigt eine Sozialarbeiterin.

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Dem äußeren Anschein nach kommen viele aus ärmlichen Verhältnissen. Eine Helferin: "Es sind auch viele Analphabeten darunter." Hilfsangebote wie eine medizinische Versorgung, Impfungen oder auch Flohmittel würden abgelehnt. "Da heißt es oft, wir behandeln uns selber."

Die Stadt will nicht bestätigen, dass in Riem überwiegend Roma untergekommen sind. Hedwig Thomalla, Sprecherin des für die Notunterkünfte zuständigen Sozialreferats, sagt, man erfasse grundsätzlich keine ethnischen Zugehörigkeiten. "Diese Differenzierung wäre schon allein aus Gründen des Diskriminierungsschutzes nicht haltbar."

Mehrere 10.000 Roma sind nach Kriegsausbruch aus der Ukraine geflüchtet

Zugleich weist sie darauf hin, dass es keine Belege für das Gerücht gebe, dass die Roma und Sinti in den Münchner Notunterkünften gar keine Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine seien. "Laut Polizei sind keine gefälschten ukrainischen Pässe aufgefallen. Diese werden am Hauptbahnhof kontrolliert", sagt Thomalla.

Laut deutschen Zentralrat der Sinti und Roma haben in der Ukraine geschätzt bis zu 400.000 Roma gelebt, Sinti hingegen nur sehr wenige. Mehrere 10.000 Roma sind nach Kriegsausbruch aus der Ukraine geflüchtet.

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Massive Diskriminierung und Antiziganismus

Auf der Flucht hätten viele bereits massive Diskriminierung und Antiziganismus erfahren, sagt der Politologe Radoslav Ganev vom Münchner Verein RomAnity. "Eine Familie durfte nicht mit anderen Kriegsflüchtlingen in einen Bus steigen", berichtet er. "Eine andere mit sieben oder acht Kindern wurde am Hauptbahnhof in Budapest mit Flaschen beworfen." Auch deshalb kämen nun viele Roma nach Deutschland: weil sie in den Nachbarländern der Ukraine massiv angefeindet würden.

Der gemeinnützige Verein will durch Information Vorurteile gegen Roma abbauen. Doch Ganev fürchtet, dass sich auch bei uns wieder Antiziganismus breitmachen könnte - wenn sich Einzelne oder kleine Gruppen falsch verhalten, würden dafür dann gleich alle Roma verantwortlich gemacht.

Geflüchtete Roma kommen selten privat unter

"Viele Roma werden auch in der Ukraine durch Diskriminierung an den Rand der Gesellschaft gedrängt", sagt Miriam Heigl von der Fachstelle für Demokratie im Rathaus zur AZ. "Vorurteile gegenüber geflüchteten Roma spielen auch aktuell eine große Rolle und sorgen für Konflikte." Sichtbar werde jetzt vor allem der Teil der Roma-Community, der ohnehin von sozialer Ausgrenzung betroffen sei. Es sei wichtig, aktiv und vorurteilsfrei auf diese Leute zuzugehen.

Warum derzeit so viele in Riem sind, dafür gibt es aber noch einen Grund: Rund 8.000 Kriegsflüchtlinge sind in den vergangenen Wochen in München privat untergekommen. "Aber so gut wie keine Roma", sagt Miriam Heigl.

"Auf engstem Raum zusammengepfercht, werden alle unzufrieden"

Auch beim Zentralrat der Roma und Sinti heißt es: "Kaum jemand möchte Roma privat bei sich aufnehmen. Und die Öffentlichkeit interessiert sich kaum für die Situation der Roma in der Ukraine und unter den Flüchtlingen."

Gerade die großen Familien, die nicht getrennt werden wollen, blieben dann in Riem "hängen". Wenn andere Kriegsflüchtlinge, die nach ihnen angekommen sind, dann schnell in eine neue Unterkunft ziehen, würden diese Großfamilien mit Unverständnis und "Unmutskundgaben" reagieren, so schildert es die Polizei.

Politologe Radoslav Ganev: "Auf engstem Raum zusammengepfercht, werden alle unzufrieden, egal aus welchem Land. Das ist ein unheimlich großes Eskalationspotenzial."
Politologe Radoslav Ganev: "Auf engstem Raum zusammengepfercht, werden alle unzufrieden, egal aus welchem Land. Das ist ein unheimlich großes Eskalationspotenzial." © privat

Radoslav Ganev von RomAnity befürchtet, dass die ukrainischen Roma ausgegrenzt und gesondert untergebracht werden. Er mahnt: "Die Probleme in den Messehallen darf man nicht darauf reduzieren, dass dort nun viele Roma sind."

Ganev fordert kleinere Unterkünfte, in denen Roma und Nicht-Roma zusammenwohnen. "Auf engstem Raum zusammengepfercht, werden alle unzufrieden, egal aus welchem Land. Das ist ein unheimlich großes Eskalationspotenzial." Je kleiner die Unterkunft sei, "umso weniger Polizeipräsenz ist notwendig", sagt der Politologe, der 2015/2016 auch als Asylsozialarbeiter im Einsatz war. "Es bedarf unheimlich viel Betreuung. In den Messehallen müssten bei 2.000 Leuten mindestens 20 Sozialarbeiter in Vollzeit tätig sein."

Das Sozialreferat will nun neue Beratungsstrukturen mit Dolmetschern aufbauen in Riem. Radoslav Ganev will einen Helferkreis bilden.


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