Verwaiste Geschäfte und eine 34-Stunden-Streife
München - Liedermacher Konstantin Wecker bezeichnet ihn als "Unermüdlichen", andere nennen ihn "Berufsdemonstrant": Claus Schreer organisiert sei 56 Jahren in München den Protest auf der Straße – gegen Atomwaffen, Aufrüstung, Neonazis, gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr und für den Austritt aus der Nato.
Angefangen hatte alles 1961, mit dem ersten Ostermarsch. Gegen die Siko protestiert der gelernte Grafiker seit 1991. An diesem Samstag will Schreer 4000 Teilnehmer mobilisieren, die vom Stachus über Lenbach- und Odeonsplatz zum Marienplatz ziehen.
Sein schlimmstes Erlebnis? "Als ich 2002 zwei Tage in einer Zelle in der Ettstraße saß. Alle Protestveranstaltungen gegen die Siko waren verboten worden, es kamen trotzdem 10 000 Demonstranten. Ich galt als Rädelsführer, wurde verhaftet."
Denkt der 78-Jährige nie ans Aufhören? "Ich muss das machen, sonst würde ich mich nicht wohlfühlen. Ich mache weiter, so lange ich es gesundheitlich schaffe."
Verwaiste Geschäfte um den Bayerischen Hof
Statt Kundschaft kommen drei Sprengstoffhunde vorbei: Das Geschäft L’Occitane in der Maffeistraße liegt zwischen zwei Polizeischleusen am Bayerischen Hof. Eigentlich dürften Kunden bis hierher, doch keiner traut sich.
Store-Managerin Laura Kronenberger: "Es kommt fast niemand. Dafür war Polizei mit drei Sprengstoffhunden da." Der Laden ist am Samstag geöffnet. „Wenn keiner kommt, räumen wir das Lager auf.
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In Ursula (56) und Gunnar Schweizers (54) Zinngießerei in der Maxburgstraße 4 gibt es Zinnfiguren und -krüge aus eigener Werkstatt, Spielzeug sowie Weihnachts- und Christbaumschmuck.
Am Samstag bleibt der Laden zu: "Bevor wir uns ärgern, weil niemand kommt, schließen wir lieber. Nur da zu hocken und darauf zu warten, dass jemand kommt oder Frau Merkel winkt, bringt’s nicht!", sagt Gunnar Schweizer. Er klingt resigniert.
"Unser Umsatz am Siko-Samstag in vier Jahren war eine Postkarte für 90 Cent. Die hat ein schwer bewaffneter Polizist gekauft. Dass man auf uns Bürger Rücksicht nehmen würde, wäre mal was Neues. Wenigstens wird an dem Wochenende nicht bei uns eingebrochen bei so viel Polizei."
34 Stunden auf Streife
Am Freitag, um 4.30 Uhr, hat Alexander Desch von der Bereitschaftspolizei seinen Dienst begonnen. Bis Sonntag wird er 34 Stunden lang in der Sperrzone vor dem Bayerischen Hof auf Streife sein. "Wir sind in Zweier-Teams unterwegs. Wir kontrollieren, ob die Personen, die sich hier aufhalten, auch berechtigt sind. In der Früh haben wir überprüft, ob auch alle Gullydeckel verschweißt sind.“
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Der 23-Jährige ist gut ausgerüstet. Unter seinem Einsatzanzug trägt er Thermo-Unterwäsche und eine schusssichere Weste. Am Waffengürtel hängen außer der Dienstwaffe, Handschellen, Handschuhe, Pfefferspray und Schlagstock.
Außerdem hat Alexander Desch eine Taschenlampe, eine Erste-Hilfe-Ausrüstung und ein Augen-Spray zum Ausspülen dabei. Sein Kollege trägt einen Mini-Feuerlöscher an der Uniform. Die Ausrüstung der beiden wiegt jeweils rund acht Kilo.
Desch: "Ich wollte immer schon mal bei der Siko dabei sein."
Candlelight-Dinner während der Siko
Anders wird die Arbeit von Florian Weidenbach aussehen. Er arbeitet am sichersten Ort der Welt – zumindest während der Siko: Der 35-Jährige ist Vize-Chefconcierge vom Bayerischen Hof. Seit elf Jahren schon.
In diesen Tagen kommt er trotzdem nicht ohne Ausweis ins Hotel. Zwei Sicherheitsschleusen muss jeder Hotelangestellte passieren. Die 362 Tage im Jahr, an denen keine Siko ist, ist Weidenbach der Wunscherfüller.
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"Normal organisiere ich die Freizeit unserer Gäste. Aber die Siko ist das einzige Wochenende, an dem die Tage der Gäste minutiös durchgetaktet sind und keiner Freizeit hat." Deshalb kümmert sich der Münchner mit seinem 25-köpfigen Team um die Logistik: Er weiß, wer sich wo wann bewegt und welcher Aufzug wann für eine bestimmte Person geblockt werden muss.
Der Concierge paukt ständig Namen und Gesichter der Gäste. "Wir müssen jeden Gast kennen – nicht nur zur Siko." Bei so vielen älteren Männern in dunklen Anzügen nicht immer leicht.
"Manchmal gibt’s doch Sonderwünsche. Wie der von dem amerikanischen Gast, der mich gebeten hatte, ein Candlelight-Dinner mit seiner Frau außerhalb des Hotels zu organisieren, weil sie Jahrestag hatten." Wer das war? Concierge-Geheimnis.