Wildbräu Grafing im Landkreis Ebersberg: Plötzlich Bier-Gestein

Grafing - Nichtsahnend hat Gregor Max Schlederer vor einiger Zeit die Idee, seine Familienbrauerei Wildbräu in Grafing (Kreis Ebersberg) umstrukturieren: "Zurück zu den bayerischen Wurzeln, zur Heimat, zu Lebensfreude und Biergenuss", sagt der Geschäftsführer (31) der AZ.
Er begibt sich im Zuge dessen auch auf eine historische Reise und nimmt seinen weitreichenden Familienstammbaum genauer unter die Lupe. "Ich bin mit dem Stammbuch der vier Brauereifamilien Grafings, die alle miteinander verstrickt sind, zum Stadtarchivar gegangen", sagt Schlederer.
Kreisarchivpfleger Bernhard Schäfer hilft ihm, stöbert im Münchner Stadtarchiv und findet eine auf Latein verfasste Urkunde, die belegt: Wildbräu ist fast 1.000 Jahre alt und damit die drittälteste Brauerei des Freistaats.


"Fund ist eine kleine historische Sensation"
"Der Fund ist eine kleine historische Sensation", so der 31-jährige Bierexperte zur AZ. Wildbräu braut demnach bereits seit 1060 und könnte somit auch die älteste heute privat geführte Brauerei Bayerns sein. Zeitlich früher angesiedelt sind nach aktuellem Wissensstand des Bayerischen Brauerbundes nur die bayerische Staatsbrauerei Weihenstephan (1040) und Weltenburg (1050).
Der Familienbetrieb macht somit – zeitlich gesehen – Weihenstephan Konkurrenz, das als älteste noch bestehende Brauerei der Welt bekannt ist. Aus der Zeit um die Jahrtausendwende seien nur wenige urkundliche Belege von Brautätigkeit vorhanden, sagte dazu der Geschäftsführer des Bayerischen Brauerbunds, Walter König, bei der Bekanntgabe am Mittwoch. Vor allem sei früher in Klöstern wie Weihenstephan von Benediktinern und vom bayerischen Adel gebraut worden. Erst 100 bis 200 Jahre später folgten weitere urkundliche Belege von Braustätten.
Das Bräustüberl gibt es noch heute
Die Braustätte des Wildbräu war nach Recherchen des Historikers Schäfer Teil eines um 973 von Herzog Heinrich II. für seine Frau Gisela errichteten Landguts "Gisling". Seit 1045 besaß das Benediktinerkloster Ebersberg das Landgut, das von Gisling in Grafing umbenannt wurde. Das Bräustüberl gebe es noch heute und sei so urig wie damals, sagt Schlederer der AZ.

Ein Priester, der dem Kloster ein Anwesen übereignet hatte, bekam dafür aus dem Landgut Grafing Zuwendungen in Naturalien, die in der Urkunde dokumentiert sind, darunter Bier. "Interessant ist, dass dabei neben gepökeltem Schweinefleisch sowie fünf Scheffel Roggen und einem Scheffel Weizen auch von 'cervesia plena', also von Vollbier, die Rede ist", sagt Schäfer. So leitete der Historiker die Existenz einer Braustätte ab.

Max Schlederer ist Geschäftsführer in siebter Generation
"Jetzt ist der Druck natürlich hoch, dass alles weiter so gut läuft", witzelt Schlederer, der in siebter Generation Geschäftsführer ist. "Dass wir eine lange Tradition haben, wusste ich. Aber dass sie so alt ist, war mir nicht klar – das macht einen stolz." Er wolle nun "ein Stück Heimat, das ursprüngliche bayerische Lebensgefühl mit seinen wilden Traditionen bewahren".
Gemeinsam mit Schwester, Onkel, Mutter und Braumeister Johannes Hartwig (26) sowie 13 weiteren Mitarbeitern werden 20.000 Hektoliter jährlich gebraut. "Wir sind eine eingefleischte Gemeinschaft, die Familie hoid zam", sagt er. Der Fund verdeutliche die tiefe Verwurzelung seiner Familie: "Pest, Krieg, Viren: Die Brauereien der Stadt haben das alles überdauert – sowas stimmt ehrfürchtig." Dennoch sei klar: Auf die Urkunde werde angestoßen, vermutlich bei einer Hoiben – und mit der ganzen Familie.