Gefängnis oder Psychiatrie - Was droht dem Messerstecher?

Ein offenbar verwirrter Drogenabhängiger tötet am Bahnhof in Grafing einen Mann mit einem Messer, drei weitere verletzt er schwer. Die Behörden zweifeln an seiner Schuldfähigkeit - welche Strafe droht dem Messerstecher?
Grafing – Nach der Messerattacke am Grafinger Bahnhof, bei der der 27-jährige Paul H. am frühen Dienstagmorgen einen Menschen tötete und drei weitere teils lebensgefährlich verletzte, sind noch viele Fragen offen. Zum Beispiel die nach dem Motiv. Entgegen des voreiligen (und zum gewissen Teil auch medial stimulierten) Verdachts, halten die Ermittler inzwischen eine religiös oder politisch motivierte Tat für unwahrscheinlich.
Was aber trieb Paul H. dann dazu, völlig wahllos vier unschuldigen Menschen ein zehn Zentimeter langes Messer in den Rücken zu rammen? Die wirren Aussagen des Täters bei der Vernehmung lassen Bayerns Innenminister Joachim Herrmann darauf schließen, dass er auch "zum Zeitpunkt der Tat im Zustand geistiger Verwirrung" gewesen sein muss.
Ist Paul H. schuldunfähig? Parallelen zum Amoklauf von Ansbach
Die Tatsache, dass Paul H. bei der Tat barfuß lief, begründete er den Beamten gegenüber mit "Wanzen", die Blasen und unerträgliche Hitze an seinen Füßen verursacht hatten. Am Fundort seiner Schuhe war von Wanzen keine Spur. Dafür ist inzwischen bekannt, dass der Mann schwer drogenabhängig war und kurz vor der Tat in einer offenen psychiatrischen Klinik behandelt wurde. Auch am Tatort in Grafing fand die Polizei Hinweise auf Drogenmissbrauch.
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Die wirren Aussagen des Grafinger Messerstechers und der Fall generell erinnert stark an den Amoklauf von Ansbach im Juli 2015. Dort hatte ein 48-Jähriger ebenfalls völlig willkürlich erst eine 82 Jahre alte Frau und danach einen 72 Jahre alten Radfahrer erschossen. Nach seiner Festnahme sagte er aus, er sei auf der Jagd gewesen - um im Auftrag von Bundeskanzlerin Angela Merkel Werwölfen und Vampiren den Garaus zu machen.
Sachverständige haben bei ihm eine schwere paranoide Schizophrenie festgestellt. Das Gericht ordnete eine Einweisung in die Psychiatrie an - auf unbestimmte Zeit.
Paul H. wirft die Staatsanwaltschaft Mord und dreifachen versuchten Mord vor. Aktuell wird geprüft, ob Paul H. durch eine, womöglich durch seinen exzessiven Drogenkonsum hervorgerufene, psychische Störung ebenfalls vermindert oder gar nicht schuldfähig ist.
Was ist Schuldunfähigkeit, was ist verminderte Schuldfähigkeit?
Schuldunfähig sind generell Kinder bis 14 Jahre. Erwachsene sind grundsätzlich schuldfähig, außer es liegt eine seelische Störung vor. Dieser Sachverhalt ist in §20 StGB fesgehalten:
"Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln."
Unter "krankhafte seelische Störung" laufen auch Folgen von exzessivem Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenmissbrauchs, wie zum Beispiel Psychosen, Neurosen, Schizophrenie oder manisch-depressive Störungen.
Die abgeschwächte Form der Schuldunfähigkeit ist die verminderte Schuldfähigkeit, sie ist gegeben, wenn die Person das Unrecht ihrer Tat aus oben genannten Gründen nur teilweise begreifen kann.
Wird ein Schuldunfähiger nicht bestraft?
Diese Frage kann man pauschal nicht beantworten. Es kommt auf den Einzelfall an.
Das Gericht hat die Möglichkeit, einen schuldfähigen oder vermindert schuldfähigen Täter in eine psychiatrische Einrichtung oder eine Entziehungsanstalt einzuweisen. Besteht auch in Zukunft eine Gefahr für die Gesellschaft durch den Täter, kann er nach § 63 und § 64 StGB auch im geschlossenen Maßregelvollzug untergebracht werden.
Eine Sonderregelung gilt, wenn sich der Täter vor der Tat bewusst und vorsätzlich in einen Rauschzustand versetzt hat. Dann wird er nicht wegen der im Rausch begangenen Tat bestraft, sondern eben dafür, sich berauscht zu haben. Das Strafmaß sieht hier bis zu fünf Jahre Gefängnis vor oder eine Geldstrafe.
Der Grafinger Messerstecher wird am Mittwoch dem Haftrichter vorgeführt. Dann entscheidet sich, ob er bis zum Gerichtsprozess in Untersuchungshaft oder in eine Psychiatrie gebracht wird. Sollte Paul H. wider Erwarten doch schuldfähig sein, droht ihm lebenslange Haft, bei nachgewiesener besonderer Gefährlichkeit sogar anschließende Sicherungsverwahrung.