Ude im AZ-Interview: „Ein lukratives Kraftwerk“

OB Ude beteiligt sich am Samstag an der Menschenkette gegen Atomkraft. Dass München selbst ein AKW mitbetreibt? Darüber kann man mit ihm herrlich streiten. Hier tun wir es.
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Christian Ude (63), Münchner OB: Ich halte es spätestens seit Tschernobyl für das Gebot, auszusteigen. Der erste Schritt muss sein, alte Meiler stillzulegen, der nächste, dass man am Ausstieg festhält und den Druck erhöht, erneuerbare Energien auszubauen. München zeigt, dass es geht.
dpa Christian Ude (63), Münchner OB: Ich halte es spätestens seit Tschernobyl für das Gebot, auszusteigen. Der erste Schritt muss sein, alte Meiler stillzulegen, der nächste, dass man am Ausstieg festhält und den Druck erhöht, erneuerbare Energien auszubauen. München zeigt, dass es geht.

OB Ude beteiligt sich am Samstag an der Menschenkette gegen Atomkraft. Dass München selbst ein AKW mitbetreibt? Darüber kann man mit ihm herrlich streiten. Hier tun wir es.

AZ: Herr Ude, Sie schreiben in der gedruckten Ausgabe der AZ einen Kommentar auf Seite 2 zur Atomkraft. Ein paar Fragen dazu müssen Sie sich noch gefallen lassen.

CHRISTIAN UDE: Kein Problem. Legen Sie los.

Gehen Sie als Atomkraftgegner oder Befürworter zur Menschenkette?

Ich war seit den frühen 70er Jahren immer ein Kritiker der Kernkraft. Das hat sich sowohl durch die ungelöste Frage der Endlagerung als auch durch die Katastrophe von Tschernobyl noch verschärft.

Trotzdem haben Sie ein Kernkraftwerk – und sind wohl der einzige AKW-Besitzer, der am Samstag demonstriert.

Dass die Stadt 1982 aufgrund von Beschlüssen aus den 70ern einen Anteil an Ohu 2 erworben hat, stimmt. SPD und Grüne sind seit 1990 ein Regierungsbündnis in einer Kommune, die diesen Anteil besitzt. Ich weiß nicht, warum das eine persönliche Besonderheit von mir sein soll.

Wie viel verdient München eigentlich an Isar 2 ?

Eine gesonderte Kalkulation dazu kenne ich nicht. Aber Sie können davon ausgehen, dass es ein sehr lukratives Kernkraftwerk ist.

Wurde es deshalb nie verkauft?

Nein. Wir sind seit 1993, also im Jahr meines Amtsantritts, zu der Auffassung gelangt, dass man den Anteil verkaufen sollte. Nicht weil man dadurch irgendetwas zur Verringerung der Atomstromproduktion beiträgt oder zur Verkürzung von Laufzeiten. Damit haben die Besitzverhältnisse nichts zu tun. Sondern weil man bei einem Verkauf zu wirtschaftlichen Bedingungen den Ertrag in regenerative Energien investieren kann.

Und warum ist es dann nie gemacht worden?

Der Verkauf ist wiederholt betrieben worden. Aber es ist kaum möglich, sich auf einen Preis zu verständigen, der der gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, keinen Unter-Wert-Verkauf zu tätigen. Es ist durch Gemeindeordnung und Strafgesetz verboten, Vermögenswerte des Steuerzahlers zu verschleudern. Natürlich hängt der Kaufpreis ab von der Einschätzung der Restlaufzeiten. Und da gibt es seit den 90ern große Unsicherheit. Deshalb liegen die Preisvorstellungen weit auseinander.

Eon gehören die restlichen Anteile an Isar 2. Wenn es intensive Verkaufsbemühungen gab, warum war dann die Woche bei Eon zu hören, dass man dort nichts von Verkaufsabsichten weiß?

Ich gehe davon aus, dass auch Eon in der Lage ist, Zeitungsinserate zu lesen und Schlagzeilen.

Bemisst sich der Preis von Isar 2 nicht einfach am aktuellen Marktwert?

Es gibt zur Zeit keinen feststellbaren Marktwert. Weil er von der erwarteten Nutzungsdauer abhängt. Das führt zu krass unterschiedlichen Kaufpreisvorstellungen. Bei einem Verkauf unter falschen Annahmen würde München einen dreistelligen Millionenbetrag verschwenden.

Das heißt: Der AKW-Besitzer in Ihnen müsste sich eigentlich über die Laufzeitverlängerung freuen – weil der Wert des Anteils steigt.

Nicht ich bin Besitzer, sondern die Stadt. Die Bevölkerung ist Anteilseigner. Und diese Bevölkerung wünscht mit überwältigender Mehrheit, ebenso wie ich persönlich, einen Ausstieg aus der Atomenergie. Weil diese keinen energiepolitischen Fortschritt darstellt, sondern einen Rückschritt. Weil längere Laufzeiten noch mehr Atommüll anhäufen. Diese Überlegungen sind von grundsätzlicherer Bedeutung als Besitzverhältnisse an einem einzelnen AKW.

Sehen Sie denn kein Glaubwürdigkeitsproblem für Rot-Grün durch das AKW?

Jeder, der das Problem durchdacht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass wir die Laufzeit aller Atomkraftwerke begrenzen müssen. Und nicht wie Schwarz-Gelb eine Renaissance einleiten dürfen.

Ein Gschmäckle hat das alles trotzdem.

Die Fehlentscheidung von 1977 und 1982 ist aus heutiger Sicht klar zu beklagen. Auch wenn sie wirtschaftlich zeitweise vorteilhaft war. Mir hat noch kein Mensch sagen können, warum es unbedenklicher sein soll, den Steuerzahler um dreistellige Millionenbeträge zu schädigen. Und einen Atomkonzern zu begünstigen.

Moral hat nichts mit Pragmatismus und Geschäft zu tun.

Es ist nicht moralisch, den Steuerzahler zu schädigen. Es ist nicht moralisch, einen Atomenergiekonzern zu begünstigen. Mit der Forderung, dass wir Isar 2 unverzüglich verkaufen, verkürzen Sie die Laufzeit um keine Minute. Und Sie verringern den Atomstrom, der in Ohu produziert wird, um keine Kilowattstunde. Sie fordern nur, dass der Kaufpreis in den Keller fällt.

Glauben Sie, dass München Isar 2 je verkaufen wird?

Ich halte es für sehr schwierig, bei den unterschiedlichen Annahmen über die Laufzeiten zu einer Kaufpreisfindung zu kommen. Moralisch macht es keinen Unterschied, ob die Stadt vom Kaufpreis profitiert – oder von der alljährlichen Rendite.

Wie hoch war die Rendite im letzten Jahr?

Das kann ich nicht beziffern. Aber es ist kein Geheimnis, dass AKWs, wenn sie abgeschrieben sind, hoch lukrativ sind. Werden Sie eigentlich von Eon bezahlt für Ihre Forderung nach einem raschen Verkauf? Oder machen Sie das freiwillig?

Diese Frage fasse ich als Beleidigung auf. Man darf doch wohl kritische Fragen stellen, ohne sich als käuflich bezeichnen lassen zu müssen.

Sie werfen doch ständig mit moralischen Vorwürfen um sich. Und ich frage mich, welches Interesse Sie haben, den Kaufbetrag zugunsten eines denkbaren Interessenten in den Keller zu schicken. Eon reibt sich die Hände.

Ich frage nur, warum es in all der Zeit nicht möglich war, sich von Isar 2 zu trennen. Sie erklären doch: Der Anteil wird wohl nicht verkauft. Dann reibt sich bei Eon auch niemand die Hände. Geht das Atomgeld wenigstens direkt in erneuerbare Energien?

Ja. Mit neun Milliarden Euro bis 2025 fließt sogar wesentlich mehr, als das AKW abwirft. Das sollten Sie nicht unter den Teppich kehren.

Wir haben sehr oft über das Bemühen der SWM um regenerative Energien berichtet. Trotzdem muss es anlässlich der aktuellen Atomdebatte erlaubt sein, zu fragen, warum eine Stadt mit rot-grüner Regierung ein Akw betreibt. Wir wundern uns, dass Sie mit Ihrem geschulten journalistischen Gespür diese Frage offenbar nicht verstehen.

Die Frage verstehe ich sehr wohl. Aber wenn jetzt Deutschland vor der Alternative steht: Setzt dieses Land nochmal auf Atomkurs? Wird der Konflikt nochmal vom Zaun gebrochen? Warum wird dann statt dieser Fragen ein über 30 Jahre alter Sachverhalt skandalisiert?

Wir berichten intensiv über die Debatte zur Laufzeitverlängerung. Trotzdem ist es ein Aspekt, der in einer Stadt, die sich so als Vorreiter regenerativer Energien präsentiert, auch nicht unter den Teppich gekehrt werden darf. Übrigens: Im SWM-Geschäftsbericht findet man Ohu nur unter ferner liefen. Über alles andere wird viel geredet, darüber nicht. Darum tun wir das jetzt.

Es gibt aber eine gewisse Verwunderung darüber, dass ein altbekannter Sachverhalt jetzt plötzlich so instrumentalisiert wird, als könne sich München nicht beteiligen an Demos gegen die Laufzeitverlängerung.

Sie können gern hingehen, aber dass Sie eine schwierige Position haben, ist klar.

Für mich nicht. Ich bin seit Jahrzehnten gegen Atomkraft und vertrete den Ausbau erneuerbarer Energien.

Julia Lenders

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