Trauer um Ponkie: AZ-Legende mit 95 Jahren gestorben

München - Mel Gibson wollte gerade seine "Passion Christi" ins Kino bringen. Dem war ein heftiges PR-Rauschen vorausgegangen, wobei eine vatikanische Bescheinigung der "Richtigkeit" nur eine der vielen absurden Randbemerkung war. Die damals noch briefliche Einladung zur Pressevorführung hatte die Redaktion erreicht. "Das muss die Ponkie machen!", war sofort klar. Ich, der viel jüngere, neue, auf den Film neugierige Kollege, bekam vom Chef gnädigerweise die Erlaubnis, auch noch mitzugehen.
AZ-Legende Ponkie: Größe, Wärme, Stil und Können
Bisher hatte ich die mythische Kollegin nur einmal, kurz vor Weihnachten erlebt. Da kam sie mit Kisten Sekt und Wein in die Redaktion: nette jährliche Bestechungsgeschenke – nicht für uns, sondern für die geschätzte, gefürchtete Ponkie, von diversen Filmverleihern und Sendern zu ihr nach Hause geschickt. Nur: Ponkie trank keinen Alkohol.
Sie gab also alles an die Redaktion weiter, wo es dankbare Abnehmer gab. Zierlich, im dezenten Kostüm, stand sie zwischen unseren Schreibtischen. Sofort bildete sich ein Gesprächskreis um sie. Und wirklich: Sie trug auch hier diese übergroße, leicht getönte Sonnenbrille, die auch das Porträt ihrer fast täglichen AZ-Kolumne prägte.
Und als sie in dieser fast privaten Situation etwas kommentierte – von der Beinarbeit des Tennisstars Roger Federer bis zum neoliberalen Wolf im Lodenjanker, Edmund Stoiber –, dann war das ebenfalls so, wie man es von ihr geschrieben kennt: menschlich, humorvoll, treffend. Nach einigen Minuten war sie wieder gegangen.
Höflichkeit und Bestimmtheit, ohne jegliche Überheblichkeit
"Die Passion Christi" wurde uns – meiner Erinnerung nach – im Mathäser gezeigt. Anfang der Nuller-Jahre, als die Zahl der Medien durch Online-Portale zu explodieren begann, wurden die Kinos auch bei Pressevorführungen voller, und Verleiher erblödeten sich nicht, Popcorn zu reichen – als eine Art atmosphärische Wohlfühl-Bestechung für Kritiker und welche, die es sein wollten. Ponkie wurde also im Foyer von allzu netten PR-Mädchen gefragt, ob sie Cola und eine Tüte Raschel-Snack wolle. Sie lächelte. "Danke, nein." Und allein in diesen zwei Wörtern klang ihr ganzes Wesen mit: Höflichkeit und Bestimmtheit, ohne jegliche Überheblichkeit. Es war einfach ihr asketischer Anstand gegenüber der Aufgabe, sich einen Film anzusehen und ihn dann zu beurteilen.

Der Text über Gibsons Aufregerfilm, der die Abendzeitung gewohnt nach ihrer Nachtarbeit vormittags per Mail erreichte, war dann auch ein klassischer Ponkietext: Kurzer film- und kunsthistorischer Rundumblick. Dann Skepsis: "Künstler, die ihren Obsessionen eine Mission zusprechen (das schlimmste Motiv, das es gibt), wecken tiefen Misstrauen." Eine kurz eingeschobene Stilkritik: "…doch diese im Historienfilm so beliebte Sorgfalt bei Hosenknöpfen und Togafaltenwurf kann es ja nicht sein…"
Dann, wenige Zeilen später, der Maßstab, den der Film selbst vorgibt: "Gibson will das Leiden Christi erlebbar machen, indem er es eins zu eins abbildet." Es folgt ein Absatz über die bekannte Banalität des Bösen, zu dem Menschen immer fähig waren, bei deren Darstellung, es aber immer "von der künstlerischen Kraft eines Künstlers (etwa eines Pasolini) abhing, ob man davon berührt wurde oder nicht."
Es folgt die analytische Ohrfeige: "Doch Gibson filmt mit dem Fanatismus eines katholischen Sektierers und den Schockmethoden der Splatter-Movies, sozusagen aus dem Gaffer-Auge: Zuschauen, wenn einer totgeschunden wird."
Kurz nimmt sie noch Gibson gegen den allzu politisch korrekten Vorwurf des Antisemitismus in Schutz. Geißelt dann aber seine abergläubische Bebilderung des "Bösen" in weiblicher Satansgestalt, um dann den Film als gescheitertes Machwerk zu beerdigen – alles in einer Konzentriertheit, für die andere Kollegen vielleicht die doppelte, selbstgefällige Länge verwendet hätten.
Ponkie strafte Privatsender meist durch Nichtbeachtung
Ponkies erste TV-Kritik ist am 12. März 1963 erschienen, weil der AZ-Feuilletonchef zu seiner Kinokritikerin (seit 1956) gesagt hatte: "Übers Fernsehen muss jetzt auch mal geschrieben werden." Zum beliebten Tierfilmer Heinz Sielmann standen dann Sätze in der AZ wie: "Im Abendprogramm allenfalls für Oberlehrer das Ziel aller Wünsche." 30 Jahre später, 1992, urteilte sie über Hape Kerkelings Sendung "Kein Pardon": "Der Medienfliegenpilz im eigenen Gameshow-Saft mit Musikduschhaube als gnadenloser Party-Service."
Jahrzehnte lang hat Ponkie "Unterhaltungsschrott" analytisch als solchen benannt, ohne Entertainment grundsätzlich als flach abzulehnen, aber die Privatsender strafte sie meistens durch Nichtbeachtung.
Bei alledem hatte sie sogar Vorlieben, die witzigerweise von Fassbinder bis Boris Becker reichten. Auch Thomas Gottschalk hat sie "als geborenes Showtalent" geschätzt, vielleicht sogar ein bisschen geliebt.
Der revanchierte sich zu ihrem 75. Geburtstag dann auch mit der Feststellung, Ponkie würde sich seinen Shows auf der einzig zulässigen Ebene nähern, statt wie die anderen Feuilletonisten wortreich daran zu leiden, wie wenig er ihren Ansprüchen genüge.
Und es gab ja immer auch noch "die andere Seite des Fernsehens", wie Ponkie immer fand: die aufklärerische, kluge, niveauvolle, die sie dann intelligent lobte. Und selbst "Schund" ist ja ein Spiegel der Gesellschaft und daher "gut zum Lernen".
Bernd Eichingers schlimmster Moment: "Als ich Ponkies Kritik zu meinem Film gelesen habe"
Ponkie ging es immer um das "Genaunehmen" und das sich nicht mit dem Medium "gemeinmachen", weshalb man sie auch fast nie auf Branchen-Partys sah oder in Jurys traf. Und von Bernd Eichinger gibt es die wahre Anekdote, dass er – gefragt nach dem schlimmsten Moment seiner Karriere, gesagt hat: "Als ich Ponkies Kritik zu meinem Film 'Last Exit to Brooklyn’ in der Abendzeitung gelesen habe."
Woher kam ihre klare Haltung? Jedenfalls nicht aus dem Fernseher selbst, denn anfangs hatte sie gar keinen. Die Familie mit ihren drei Kindern war – ironischerweise für die später bedeutendste deutsche TV-Kritikerin – eine Gemeinschaft bewusster TV-Verweigerung, bis der Großvater den Enkeln einfach mal einen mitbrachte. Was allerdings in diesem Haushalt aus dem diskussionsfreudigen Familienkreis keinen Halbkreis machte.

Ponkie war ein sechsjähriges Mädchen, als Hitler, der zu Hause riskanterweise "Malerwascherl" genannt wurde, an die Macht kam. Die Eltern setzten Musik, Literatur und Theater gegen die ideologische Infiltration ihrer Kinder ein.
In der Nachkriegszeit hat sie dann alles an amerikanischer, französischer und englischer Kultur- und Filmgeschichte nachholen wollen, von der Deutschland abgeschnitten worden war. Ponkie hat sich lebenslang nie gleichschalten lassen, sie hasste Adenauers Altnazi-Riege und später dann CSU-Amigos und heuchlerische Abtreibungsgegner, sie schrieb – selbst völlig unprüde – in den 60ern an gegen die Biederkeit an, die noch für alles Sexuelle Umschreibungen wählen musste, verteidigte ohne Anbiederung den Feminismus, auch wenn er provozierte, sympathisierte mit den Anliegen der Jugend, auch als sie selbst nicht mehr jung war.
München blieb dabei immer Ponkies Heimat, trotz aller "Schein-Heiligen in dieser heimlichen Hauptstadt, die oft drohte, aus Begeisterung über sich auszuflippen". Mit Helmut Fischer war sie befreundet, Helmut Dietl war – zusammen mit Franz Xaver Bogner – für sie der große soziokulturelle Chronist der Stadt in den 70ern und 80ern, Dominik Graf ein Genie des Tiefgangs.
Einen Einfluss wie Ponkie kann heute kein Kritiker mehr entfalten
Zu ihrem 90. Geburtstag hatte mich die Redaktion gefragt, ob ich Ponkie interviewen würde. Keiner hatte sich richtig getraut, unsere "Grande Dame" anzurufen, obwohl sie bekannt unkompliziert war. Es sollte auch gefilmt werden, da die AZ mittlerweile auch einen starken Online-Auftritt hatte.
Ich selbst kannte Ponkie über die Jahre auch etwas über die Zeitung hinaus – als Sollner Nachbar habe ich sie gelegentlich zufällig getroffen, beim Modehaus Schulz mit ihrer Tochter, beim Semmelkaufen oder spätvormittags an Wahlsonntagen in der Herterichgrundschule. Immer hatte sie diese einladende Weltoffenheit, die dazu führt, dass man schnell über Smalltalk hinaus kam, über Gott und die Welt sprach, Ponkie dabei immer sanft im Stil, unkorrumpierbar in ihrer linksliberalen Haltung, aber durchaus auch drastisch in ihrer Wortwahl.
Beim Interview mit kleiner Digitalkamera saß sie dann im Fernsehsessel des älteren Hauses, das völlig unprotzig in einem kleinen Garten steht. "Kümpfel-Schliekmann" steht als wahrer, damals bindestrich-emanzipierter Name am Klingelschild. Ihren Mann, den sie beim Tennis auf dem nahen Platz in Großhesselohe kennengelernt hatte, wurde nach einigen Falsch-Spielen an die Luft gesetzt, und sie zog ihre Kinder alleine groß.
Aber auch "Ponkie" steht an der Pforte, ein Spitzname ihrer Kommilitonen an der Uni – Herleitung ungeklärt. Ihre persönlichkeitsstarken Katzen umspielen sie, ein Sohn ist noch anwesend. Weiße Möbel, eine Tiffanylampe gibt charmantes Licht, alles ist etwas zu vollgestellt – mit Büchern natürlich, Zeitschriften und Zeitungen liegen auf Ablagen. Die Gesprächssessel stehen um ein Teetischchen mit weißem Porzellan.

Tee oder Kaffee? Beides ist da, Ponkie trinkt Tee, der Kuchen ist vom nahen Café Kustermann, im Arbeitszimmer nebenan stehen Ordner in Regalen mit ihren gesammelten Kritiken. Es wird ein gewohnt kluges, schon leicht erschöpftes Gespräch. Aber dass seit einigen Jahre Enkel bei Ponkie eingezogen waren, war ein weiterer Beweis ihrer Humanität und nie endenden Zeitgenossenschaft, ihrer immer wieder modernen Gegenwärtigkeit.
Einen derartigen Einfluss wie Ponkie kann heute kein Kritiker mehr entfalten. Nicht nur, weil es immer mehr Medien und Kanäle gibt und kaum noch klassische "Leitmedien" und online ohnehin jeder ein Kritiker sein kann oder auch, weil "Kritiken" immer mehr zu Nacherzählungen mit einigen subjektiv wertenden Aspekten heruntergekommen sind.
Aber vor allem kann es kaum mehr eine Person geben, die all das bündelt, was Ponkies Größe, Stil und Können ausgemacht hat: der diskrete Charme der Bourgeoisie ohne jeglichen Dünkel, eine allgemeine Verständlichkeit ohne Simplifizierung, elegante Wortgewalt ohne Selbstverliebtheit, großes Wissen ohne verschraubte Intellektualität, selbstverständlicher Anstand ohne Überheblichkeit sowie Warmherzigkeit – und manchmal auch wichtige Wut gegen Ungerechtigkeit, Kitsch und Lüge.