Tödliche Polizei-Schüsse in München: Was bisher bekannt ist

Am Montagabend kam eine 31-Jährige in Sendling bei einem Polizeieinsatz ums Leben. Wer war die Frau und wie konnte es zu den tödlichen Schüssen kommen? Das ist bisher darüber bekannt.
von  André Wagner, Nina Job
Polizeieinsatz an der Implerstraße: Hier griff eine Frau die Polizeibeamten an und verstarb kurz darauf.
Polizeieinsatz an der Implerstraße: Hier griff eine Frau die Polizeibeamten an und verstarb kurz darauf. © Nina Job

Sendling – Der Schock sitzt noch tief. Am Montagabend erschießen zwei Streifenpolizisten an der Penny-Filiale in der Implerstraße in München eine psychisch kranke Frau (31). Diese hatte die Beamten zuvor mit einem Messer bedroht. Trotz Erster Hilfe und Wiederbelebungsversuchen stirbt die 31-Jährige noch an Ort und Stelle. Nun werden immer mehr Details bekannt.

Wie kam es zu den tödlichen Schüssen in Sendling?

Eine Rückblende: Am frühen Montagabend (19.08) gegen 18.40 Uhr ging bei der Polizei der Notruf einer Frau ein, die von einer körperlichen Auseinandersetzung am Goetheplatz berichtete, in den die  31-Jährige involviert gewesen sein soll. Die 31-Jährige entfernte sich vom Goetheplatz, die Anruferin folgte ihr in die U-Bahn und hielt die Polizei auf dem Laufenden.

Zwei Stationen weiter stiegen die beiden Frauen an der Implerstraße aus. Oben angekommen, betrat die 31-Jährige die Penny-Filiale direkt am U-Bahnausgang, die Zeugin wartete vor dem Supermarkt, bis zwei Streifenwagen eintrafen. Danach sollten sich die Ereignisse überschlagen.

Die vier Streifenpolizisten betraten ebenfalls die Penny-Filiale und sprachen die 31-Jährige gegen 18.50 Uhr an – zehn Minuten, nachdem der Notruf bei der Polizei eingegangen war. Zu diesem Zeitpunkt waren außerdem noch drei Penny-Mitarbeiter (zwei Männer und eine Frau) sowie mehrere Kunden in dem Supermarkt.

"Nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen zog die Frau unvermittelt ein Messer, ging auf die Beamten zu und bedrohte diese aus naher Distanz", so Polizei-Pressesprecher Andreas Franken später.

Nach Wahrnehmung der Polizeibeamten sei die Frau in diesem Moment nur ein bis zwei Meter entfernt gewesen. Bei dem Messer habe es sich um ein Küchenmesser gehandelt – "nicht außergewöhnlich lang". Die 31-Jährige habe es bei sich getragen. 

Auf die deutliche "Messer weg, Messer weg!"-Ansprache der Polizisten habe die Frau nicht reagiert, weshalb von den Beamten zunächst Pfefferspray eingesetzt wurde. Als diese Maßnahme nicht zum Erfolg führte, machten zwei der Streifenpolizisten von ihrer Dienstwaffe gebraucht und gaben insgesamt vier Schüsse ab. Die 31-Jährige wurde dabei tödlich getroffen, Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos.

Supermarkt-Kunden habe die 31-Jährige nicht bedroht. Es gebe "keine Erkenntnisse, dass die Frau dort drinnen jemand anderen angegriffen haben könnte", sagte Polizeisprecher Franken. Sie habe das "Messer erst nach Ansprache durch die Beamten gezogen".

Tödlich getroffen: Wer war die 31-Jährige?

Bei der tödlich getroffenen 31-Jährigen handelt es sich um Christine H., die zunächst über ihre AOK-Versichertenkarte identifiziert werden konnte. Laut Polizei war Christine H., die mehrere Kilometer vom Tatort entfernt im Osten der Stadt wohnte, bereits wegen Drogen- und Aggressionsdelikten aktenkundig. Sie sei bereits drei Mal wegen Eigen- und Fremdgefährdung in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen worden, so der Sprecher des Polizeipräsidiums München, Andreas Franken. Ob sie am Montagabend unter Drogeneinfluss stand, ist noch nicht geklärt.

Der Supermarkt in der Implerstraße ist am Morgen nach dem Vorfall geschlossen.
Der Supermarkt in der Implerstraße ist am Morgen nach dem Vorfall geschlossen. © privat

Was geschah im Vorfeld?

Im Vorfeld der tödlichen Schüsse im Penny-Markt soll sich Christine H. mit ihren Eltern in einem Restaurant am Goetheplatz getroffen haben. Bei dem Treffen soll es zu einem heftigen Streit zwischen der 31-Jährigen und ihrem Vater gekommen sein, auch Handgreiflichkeiten soll es gegeben haben. Christine H. stürmte davon, die Zeugin, die offenbar Schlimmes befürchtete und den Notruf absetzte, nahm die Verfolgung auf. Polizeisprecher Franken sagte, der genaue Ablauf werde noch ermittelt. "Die Vernehmungen laufen."

Laut "Bild" soll Christine H. am Montagmittag einer Freundin eine verstörende WhatsApp-Nachricht geschickt haben. "Ich denke, heute wird's Tote geben", schrieb die 31-Jährige demnach um 12.48 Uhr, also sechs Stunden vor den tödlichen Schüssen in Sendling. Am Mittwoch bestätigte Polizeisprecher Franken, dass die Mordkommission Kenntnis von dieser Nachricht habe.

Die Spurensicherung ist noch bis tief in die Nacht im Einsatz.
Die Spurensicherung ist noch bis tief in die Nacht im Einsatz. © Nina Job

Was geschah nach den tödlichen Schüssen?

Die Mordkommission des Polizeipräsidiums München übernahm vor Ort die Ermittlungen, unterstützt durch die Spurensicherung und das Institut für Rechtsmedizin. Auch ein Staatsanwalt war am Montagabend vor Ort. Der Bereich vor der Penny-Filiale, ein Teil der Implerstraße und ein U-Bahn-Aufgang wurden von der Polizei für mehrere Stunden abgesperrt. Kripo-Beamte vernahmen Zeugen. Erst nach Mitternacht verließen die Beamten der Spurensicherung den Tatort, die Kripo klebte ein Polizeisiegel auf die gläserne Eingangstür. Von den Geschehnissen im Supermarkt gibt es Aufzeichnungen einer Überwachungskamera, die von der Polizei ausgewertet werden.

Erst gegen Mitternacht, mehr als fünf Stunden nach den Schüssen, fuhr ein Leichenwagen vor, der den Leichnam von Christine H. zur Rechtsmedizin brachte, dort sollte er am Dienstag obduziert werden. Am Dienstagvormittag blieb der Supermarkt zunächst noch geschlossen, Kripo und Spurensicherung rückten noch mal an. Gegen 13 Uhr öffnete der Penny wieder.  

Erst nach Mitternacht wird die Leiche der getöteten Frau abgeholt.
Erst nach Mitternacht wird die Leiche der getöteten Frau abgeholt. © Nina Job

Das Bayerische Landeskriminalamt hat unter der Leitung der Staatsanwaltschaft München I ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet, um die Rechtmäßigkeit des Schusswaffengebrauchs zu prüfen, wie es in solchen Fällen üblich ist.

Warum setzten die Polizisten keinen Taser ein?

Nach den tödlichen Schüssen in Sendling kam die Frage auf, warum Christine H. von den Streifenbeamten nicht mit einer Distanz-Elektroimpulswaffe, auch Taser genannt, gestoppt wurde. Taser gehören aber in Bayern nicht zur Standard-Ausrüstung von Streifenpolizisten. Insgesamt verfügt die Polizei in Bayern über rund 230 Taser, diese gehören jedoch nur zur Ausrüstung von Spezialeinsatz- und Unterstützungskommandos.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann hält von der Forderung nach einer Ausrüstung von Streifenwagenbesatzungen mit Tasern offenbar nichts.  "Die Ausrüstung des normalen Wach- und Streifendienstes der Bayerischen Polizei mit Tasern ist jedenfalls nicht geplant", so der CSU-Politiker über die Distanz-Elektroimpulswaffen.

"Der Taser ist kein 'Allheilmittel' für gefährliche Einsätze, vor allem wenn Täter mit Schusswaffen oder Messern ein sofortiges Handeln der Polizei erfordern", betonte Herrmann. "In hochbrenzligen und lebensgefährlichen Situationen könnte der Taser keine Wirkung haben, beispielsweise wenn die Elektroden die Kleidung des Angreifers nicht durchdringen können. Dazu kommt, dass der Täter das Messer beim Tasereinsatz durch die muskuläre Verkrampfung nicht zwingend fallen lässt."

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