Tausende tanzen auf dem Kocherlball in München: Ein Fest, das verbindet

Wenn andere noch schlafen, beginnt am Chinesischen Turm schon das Tanzen: Rund 14.000 Menschen besuchen an diesem Sonntag den Kocherlball – bei schönstem Wetter und bester Stimmung.
von  Niclas Vaccalluzzo
Viele Frühaufsteher in der Stadt: Schon in den frühsten Morgenstunden sitzen Besucher im Biergarten am Chinesischen Turm und bereiten sich auf den Kocherlball vor. Sie unterhalten sich, trinken Bier und essen ihre Brotzeiten.
Viele Frühaufsteher in der Stadt: Schon in den frühsten Morgenstunden sitzen Besucher im Biergarten am Chinesischen Turm und bereiten sich auf den Kocherlball vor. Sie unterhalten sich, trinken Bier und essen ihre Brotzeiten. © IMAGO/Wolfgang Maria Weber (www.imago-images.de)

Noch liegt nächtliche Dunkelheit über dem Englischen Garten, doch rund um den Chinesischen Turm flackern bereits erste Kerzenlichter. Denn ab drei Uhr früh trudeln die ersten Besucher ein – warm eingepackt, mit Picknickkorb, Tischdecke und Thermoskanne im Gepäck. Wer einen guten Platz beim Kocherlball will, muss früh dran sein. Sehr früh.

Gegen fünf Uhr ist der Biergarten voll – jeder Tisch belegt, jede Ecke genutzt. Die Stadt schläft noch, aber hier wird schon gelacht und angestoßen – voller Vorfreude auf das, was die nächsten Stunden passieren wird: ein Morgen voller Musik, Tanz und Münchner Lebensgefühl.

Rund 14.000 Besucher beim Kocherlball

Rund 14.000 Menschen feiern am Sonntag mit beim Kocherlball. Der Wettergott meint es heuer gut mit den Tänzerinnen und Tänzern. Ab sechs Uhr früh sorgen Tanzmeisterin Katharina Mayer und Vortänzer Magnus Kaindl auf der Bühne dafür, dass selbst blutige Anfänger bei Landler, Polka und Co. mithalten können.

Fleißig tanzen auch Rebecca und Sabine, die die AZ trifft. Die Kerzen auf ihrem Tisch sind gegen acht Uhr bereits abgebrannt. Es sei das fünfte bzw. zweite Mal auf dem Kocherlball für sie. Seit Viertel vor vier seien sie schon da, sagt die Münchnerin Rebecca. Sabine ist extra aus Altötting angereist. „Die Atmosphäre, wenn das Kerzenlicht in den frühen Morgenstunden leuchtet, gefällt mir besonders gut“, sagt Rebecca.

Tracht nur einmal im Jahr: "Viel zu schade!"

Heuer das erste Mal dabei sind Daniel (27) und Greta (25). Die jungen Münchner hätten den Kocherlball freilich schon lange auf dem Schirm gehabt, es bisher aber nicht geschafft, daran teilzunehmen, sagen sie der AZ. „Eigentlich ist es ein Pflichttermin für Münchner“, sagt Daniel.

Die Tracht nur einmal im Jahr zur Wiesn anzuziehen, sei ohnehin viel zu schade. Die teils anspruchsvollen Tänze seien den beiden trotzdem ein bisserl schwergefallen. „Es war ein wenig chaotisch, aber alle hatten Spaß“, sagt Greta.

Von Pickelhaube bis Kocherl-Gewand

Stefan Kühn und seine Künstlerkollegen sind hingegen bereits Kocherlball-geübt. Kühn trägt eine historische Polizeiuniform aus dem Jahr 1905 – samt Pickelhaube. Eine Dame am Tisch trägt das klassische Gewand eines Kocherls – eine weibliche Küchenangestellte. „Die traditionellen Kostüme gefallen mir besonders, aber auch die allgemeine Atmosphäre“, sagt Kühn der AZ.

Die Gruppe erinnert mit ihren Kostümen an den eigentlichen Ursprung des Kocherlballs. Was heute ein fröhliches Tanzfest im Englischen Garten ist, hatte einst ganz bescheidene Anfänge: Ende des 19. Jahrhunderts trafen sich Dienstboten frühmorgens am Chinesischen Turm zum Tanzen. Warum so früh? Weil sie nur in den allerersten Stunden des Sonntags frei hatten, bevor es zurück in die herrschaftlichen Häuser ging.

Tradition 1989 wieder zum Leben erweckt 

Mit Musik, guter Laune und ein bisserl Rebellion feierten sie ihren eigenen kleinen Ball – den Kocherlball. Der Spaß war der Obrigkeit allerdings bald ein Dorn im Auge: 1904 wurde das Fest verboten. Zum Glück wurde die schöne Tradition 1989 aber wieder zum Leben erweckt – und seitdem tanzen jeden Sommer Tausende in Tracht durch den Morgen.

Initiiert hat die Wiederauferstehung Pankraz Freiherr von Freyberg, den die AZ am Sonntag trifft. Damals habe er zum 200-jährigen Bestehen des Englischen Gartens ein gesellschaftliches Event schaffen wollen, sagt er. Und der Kocherlball hat sich dafür perfekt geeignet. „Ich wollte, dass an die Leute, die in den Haushalten gearbeitet haben, wieder erinnert wird“, sagt Freyberg. Was aus dem Fest inzwischen geworden ist, freut ihn sehr.

Auffallend viele junge Menschen beim Kocherlball

Veranstaltet wird der Kocherlball von der Wirte-Familie Haberl, die unter anderem den Biergarten am Chinesischen Turm, aber auch die Ochsenbraterei auf der Wiesn betreibt. Nach all den Jahren sei man gut geübt, sagt Luis Haberl der AZ, trotzdem sei es viel Arbeit, eine solche Großveranstaltung auf die Beine zu stellen. Er selbst werde, wenn dann, nur kurz auf der Tanzfläche vorbeischauen, sagt der junge Wirt. „Ich bin leider gar kein guter Tänzer.“

Unter den Gästen des Kocherlballs sind auffallend viele junge Menschen. „Ich denke nicht trotz, sondern gerade weil es so eine traditionsreiche Veranstaltung ist, ist sie auch bei jungen Leuten so beliebt“, sagt Haberl, der selbst 23 Jahre alt ist. „Tradition gewinnt in meiner Generation immer mehr an Stellenwert.“

Ein Fest, das Menschen verbindet

Als die Sonne schon längst durch das Blätterdach der Kastanienbäume scheint, tanzt München schließlich noch immer. Nach einem Besuch auf dem Kocherlball wird klar: Aus einem alten Brauch ist ein Fest geworden, das Menschen verbindet: Junge und Alte, Münchner und neugierige Gäste, Tanzprofis und Taktverweigerer.

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