Täter nicht ermittelbar? Kriminalisten aus München machen Jagd auf Hass-Schreiber im Netz
München - Hass, ein kleines Wort, vier Buchstaben. Aber mit einer mächtigen Wirkung. Hasserfüllte Nachrichten im Internet – sie lassen sich nicht beziffern, so viele sind es. Einer neuen Studie zufolge sind 49 Prozent der Internet-Nutzer in Deutschland schon einmal im Netz beleidigt worden. Dieses Ergebnis einer Studie stellte Familienministerin Lisa Paus (Grüne) Mitte Februar vor und konstatierte: "Hass im Netz ist leider allgegenwärtig."
Hass und Hetze können auch in handfeste (Mord-)Drohungen kippen. Tatort: Text. Zwei, die analoge wie auch digitale Droh-Botschaften und Erpresserschreiben analysieren, sind Leo Martin und Patrick Rottler. Sie sind Sprachprofiler am Privat Institut für Forensische Textanalyse in München. Am 6. März werden sie im Schlachthof München einen True-Crime-Abend unter dem Titel: "Wenn Worte töten" abhalten.
"Mit tödlichen Grüßen": Sprachprofiler aus München wollen gegen solche Hass-Nachrichten vorgehen
Sie untersuchen unter anderem auch den Fall, der 2022 in Deutschland und Österreich schockierte: die Anfeindungen gegen die österreichische Ärztin Lisa-Maria Kellermayr. Sie wurde während der Pandemie heftig verbal angegriffen. Bis sie mit 36 keinen Ausweg mehr sah. Außer diesen: Selbstmord.
Ein Beispiel der Drohungen gegen sie im Original: "(...) ich werde als Patient kommen und wenn wir alleine im Besprechungszimmer sind werde ich dich niederschlagen und an deinen Arztstuhl fesseln (...) Dann darfst du zuerst zusehen wie ich einem deiner Mitarbeiter die Kehle durchschneide. (...) Mit tödlichen Grüßen, Claas". Der Name ist nicht seine wahre Identität.
Was können die Sprachprofiler daraus ableiten? Und lässt sich der Absender noch ermitteln? Martin und Rottler glauben: ja. Sie sagen sogar, sie konnten dem Absender weitere Hass-Nachrichten zuordnen. Indem sie die verwendeten Worte und Sätze analysierten.
Das Gutachten der Sprachprofiler aus München ist "ein Baustein einer größeren Beweiskette"
Rottler sagt der AZ: "Man hatte die Hypothese, dass derselbe Täter auch anderen Personen Nachrichten im selben Stil geschrieben hat. Unser Job war es, diese miteinander zu verbinden und so die Möglichkeit zu schaffen, das Verfahren wiederaufzunehmen." Kriminalist Martin zufolge hätten sie bei diesem Auftrag eines Journalisten, der das Opfer über längere Zeit begleitet hatte, mittlerweile ein Profil des Täters erarbeitet. Rottler sagt grundsätzlich: "Im Idealfall ist unser Gutachten ein Baustein einer größeren Beweiskette – wie zum Beispiel der Motivlage."
Er erklärt weiter auf den Fall Kellermayr bezogen, was sich über den Absender aussagen lässt: "Seine Mordphantasien an Frau Dr. Kellermayr beschreibt er wie Szenen in einem Horrorfilm, bildhaft und blutig. Er vertritt seine Haltung militant und ohne jeden Spielraum für andere Meinungen. Daraus können wir Hypothesen ableiten, in welcher Filterblase wir den Täter suchen."
Sein Kollege Martin, ein früherer Geheimagent, erklärt: "Alle sprachlichen Indikatoren deuten darauf hin, dass der Täter aus Deutschland stammt und nicht aus Österreich. Dass er dennoch ein Angriffsziel im entfernten Ausland wählt, zeigt, wie stark sein Hass in dieser Angelegenheit ist. Wir haben es mit einem Täter zu tun, der auf einer Mission ist." Dieser hat seinen Worten letztlich keine Taten folgen lassen, doch das Opfer hat sich unter dem massiven Druck der Drohungen, an denen auch "Claas" beteiligt war, umgebracht. Hat der Suizid ein Umdenken beim Schreibenden bewirkt?
Sprachprofiler Leo Martin und Patrick Rottler: Bei welchen Themen die Gefahr groß ist
Martin sagt tatsächlich: "Dieser Täter ist stiller geworden. Die Taten, die wir verknüpfen konnten, haben in etwa zur selben Zeit stattgefunden. Unsere momentane Hypothese: Der Täter ist durch die Öffentlichkeit des Falles eher auf dem Rückzug. Was auch schon ein präventiver Erfolg ist."
Wie enthemmt ist die Kommunikation im Netz heutzutage? Martin sagt: "Abhängig davon, in welcher Informations-Filterblase man unterwegs ist, kann man schon den Eindruck bekommen, dass es heftiger geworden ist." Er führt aus: "Das betrifft tatsächlich nur ausgewählte Bubbles." In denen strittige politische Themen diskutiert würden, zum Beispiel: AfD, Israel und Palästina oder auch das Dauerthema Gendern.
Er sagt über die Hass-Botschaften, die sie etwa für Sicherheitsbehörden, Privatpersonen oder auch Unternehmen auswerten: "Wir sehen Formulierungen auf jedem Niveau: ‚Ich steche dich ab', ‚ich haue dir eine Spritze ins Herz' oder auch die bildhaften Mordfantasien im Fall Kellermayr."
Rottler ergänzt: "Bei solchen Fantasien muss man immer unterscheiden: Was bleibt Fantasie und was wird wirklich in die Tat umgesetzt?" Martin zufolge ist es von der schriftlichen Drohung bis zu einer wirklichen Gewalttat ein weiter Weg. "Ein Täter, der immer nur mittelbar vorgeht, wird in den wenigsten Fällen am Ende physisch Gewalt anwenden." Meist bleibe es im digitalen Raum und schwappe nicht in die Realität über. Dennoch befürwortet er im ersten Moment Schutzmaßnahmen, bis abgeklärt ist, ob eine reale Gefahr besteht. Was der Täter aber sehr wohl ausübt: psychische Gewalt.
Es geht unter anderem um Satzbau, Wortwahl, Grammatik
Der Ex-Geheimagent bezieht sich noch mal auf den Fall Kellermayr: "Es ist ein extremer Fall, der aber auch gezeigt hat: Es ist nicht egal, mit welchen Worten, Behauptungen, Meinungen man im Netz unterwegs ist, und dass sie Folgen haben können." Man habe Gedanken-Aufzeichnungen und Nachrichten der Ärztin vorliegen, die sehr deutlich den Zusammenhang zwischen der Online-Hetze und ihrem Suizid belegten. Das Argument, die Frau sei einfach labil gewesen, lässt er deswegen nicht gelten.
So gehen sie bei ihren Analysen vor: Wenn der Täter anonym ist und man noch keine Verdächtigen habe, erstellten sie ein Autorenprofil, so Rottler. "Wir versuchen anhand von Sprachmustern, etwa Wortwahl, Grammatik und Satzbau, dem Täter ein Gesicht zu geben." Was zum Beispiel daraus abgelesen werden könne: Wie alt ist die Person? Aus welcher Region könnte sie stammen? Ist es ein Mann oder eine Frau? Wenn es einen konkreten Verdacht gibt, könne man die anonymen Texte mit Vergleichsnachrichten abgleichen. Deckten sich diese, könne man einen möglichen Täter mit einem linguistischen Gutachten überführen.
Das Problem der Anonymität ist groß. Rottler erklärt: "Im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit habe ich die Strafverfahren der Generalstaatsanwaltschaft München zum Thema Hasskriminalität aus den Jahren 2020 bis 2022 ausgewertet. Der Kern des Problems ist die Täterermittlung, sobald der Autor nicht unter Klarnamen agiert." Die Behörden seien in diesem Fall auf die Kooperation der Plattformbetreiber angewiesen. "Insbesondere wenn diese im Ausland sitzen und ein Inhalt noch irgendwie von der Meinungsfreiheit gedeckt sein könnte, erteilen diese keine Auskunft. Dann heißt es in der Praxis ganz schnell ‚Täter nicht ermittelbar'." Hier könne die Forensische Linguistik teilweise eine Lösung sein, so Martin.
Was Leo Martin und Patrick Rottler den Betroffenen raten
Leo Martin und Patrick Rottler raten Betroffenen, Beweise zu sichern. Seien es Hass-Nachrichten, Droh-E-Mails oder böse Kommentare. Sie empfehlen auch zur Polizei zu gehen, wenn Straftatbestände erfüllt sind. In den meisten Fällen sei es jedoch besser, auf Hass und Hetze nicht direkt zu reagieren. Wenn der Hetzer merkt, dass der andere sich rechtfertigt oder angegriffen fühlt, motiviere das weiterzumachen. Deshalb sei es wichtig, sich von den Hass-Nachrichten so wenig wie möglich beeindrucken zu lassen.
"Für die psychische Hygiene ist es besser, sich von dem Thema soweit wie möglich fernzuhalten. Es bringt nichts, sich ständig damit zu beschäftigen", sagt Rottler. Martin sagt: "Man sollte raus aus jedem Umfeld, in dem es nur um Hass und Hetze geht. Man muss nicht jeden Kommentar unter einem Beitrag oder jede Nachricht lesen, die einem zugeschickt wird, wenn man schon in der ersten Zeile merkt, dass da jemand nur auf Hetze aus ist." Wer aber Position beziehen will, weil es ihm wichtig ist, etwa bei politischen Themen, dem empfiehlt Martin: "Setzen Sie positiven Content dagegen. Bleiben Sie bei Ihrer Meinung, aber gehen Sie nicht auf negative Kommentare eines Hetzers ein."