Studie soll Aufarbeitung bringen: Gab es Missbrauchsnetzwerke im Münchner Jugendamt?
München - Gab es in der Vergangenheit pädophile Netzwerke im Münchner Jugendamt? Dieser Frage geht die Stadt mit einem wissenschaftlichen Forschungsprojekt nach, das Missbrauchsfälle in Heimen, Pflege- und Adoptivfamilien systematisch aufarbeiten soll.
Missbrauchsfälle in Heimen, Pflege- und Adoptivfamilien: 35 Millionen Euro vom Münchner Stadtrat
Es gebe "Hinweise auf die Arbeit von Netzwerken", sagt die Direktorin des projektleitenden Deutschen Jugendinstituts (DJI), Sabine Walper – und darauf, dass auch Mitarbeiter des Jugendamtes "untereinander kooperiert" hätten. Untersucht werden Fälle zwischen 1945 und 1990, in denen Minderjährige vom Münchner Jugendamt in Heimen oder Familien untergebracht wurden.
Matthias Katsch: "Vorgehen der Stadt München bei der Aufarbeitung der Heimerziehung ist beispielhaft"
Die bisherigen Informationen stützen sich auf die Aussagen von Betroffenen, die sich seit 2021 bei der eigens dafür eingerichteten Anlaufstelle beim Münchner Kinderschutz gemeldet haben. 210 Anträge auf Soforthilfen oder Anerkennungsleistungen sind dort bislang eingegangen.
Wie Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) mitteilte, wurden bislang 4,3 Millionen Euro an Soforthilfen ausgezahlt und 930.000 Euro an Anerkennungsleistungen. 35 Millionen Euro hat der Stadtrat für die Anerkennungsleistungen insgesamt bereitgestellt.
Hilfe kommt für viele Betroffene zu spät: Initiative fordert einen Staatsakt im Parlament
München ist die erste Kommune in Deutschland, die sich die systematische Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und die Unterstützung Betroffener auf die Fahnen geschrieben hat und Millionen dafür zur Verfügung stellt. "Das Vorgehen der Stadt München bei der Aufarbeitung der Heimerziehung ist beispielhaft", sagte der Sprecher der Betroffeneninitiative "Eckiger Tisch", Matthias Katsch.

"Auch wenn es spät kommt – für manche Betroffene sogar zu spät. Denn: Die meisten Opfer der Heimerziehung in Deutschland sind bereits im Rentenalter", so Katsch. Er bekräftigte seine Forderung nach mehr politischer Unterstützung für die Aufarbeitung – und forderte einen Staatsakt im Parlament für die Betroffenen.
Wissenschaftliche Aufarbeitung betrifft auch Organisationen, die Missstände erst ermöglicht haben
"Mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung nimmt die Stadt München eine deutschlandweite Vorreiterrolle ein, um das Unrecht, das die Menschen bei der Unterbringung in Heimen oder Adoptiv- und Pflegefamilien erfahren haben, systematisch aufzuarbeiten und öffentlich anzuerkennen", sagte Münchens Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl am Dienstag. Mit Anerkennungsleistungen in Höhe von 35 Millionen Euro setze die Stadt "ein deutliches Zeichen".
Wie die Stadt mitteilt, werden die DJI-Forscher der Frage nachgehen, welche Formen an physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt die Betroffenen erlebt haben. Dazu führen sie Interviews mit Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend in Heimen oder bei Pflege- oder Adoptivfamilien lebten, und sie analysieren Akten aus städtischen Heimen.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung betrifft auch die Organisationen, die solche Missstände erst ermöglicht haben und prüft, ob es womöglich Netzwerke unter den Tätern gab. Besondere Aufmerksamkeit richtet das Projekt dabei auf politische, legislative und gesellschaftliche Strukturen und Entwicklungen richten.