Sterbehilfe: „Ich habe nicht getötet“

Wo liegt die Grenze zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe? Darum wird es nun an höchstrichterlicher Stelle gehen. Münchner Anwalt geht von "sicherem Freispruch" aus.
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MÜNCHEN - Wo liegt die Grenze zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe? Darum wird es nun an höchstrichterlicher Stelle gehen. Münchner Anwalt geht von "sicherem Freispruch" aus.

Im Moment erlebt Elke G. die schlimme Zeit noch einmal. Wie ein Film laufen die Erinnerungen vor ihr ab. An damals, als sie ihre Mutter endlich gehen lassen wollte. Als sie in ihrer Not zur Schere griff und den Schlauch zerschnitt, über den die Koma-Patientin ernährt wurde (AZ berichtete).

Am Mittwoch wird der Fall vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zu einem juristischen Abschluss kommen. Wo liegt die Grenze zwischen passiver und aktiver Sterbehilfe? Darum wird es nun an höchstrichterlicher Stelle gehen.

Es war der Münchner Anwalt Wolfgang Putz, der Elke G. beraten hatte. Er legte der Frau aus Kassel nahe, die Sonde zu kappen. Vom Landgericht Fulda wurde der Jurist in Folge dessen zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt – wegen versuchten Totschlags. Er sieht der Revisionsverhandlung am Mittwoch gelassen entgegen: „Ich gehe von einem sicheren Freispruch aus.“

Elke G. selbst war straffrei geblieben – sie habe sich auf das Urteil des Anwalts verlassen dürfen. Trotzdem hofft auch sie auf eine „Rehabilitation“. „Solange der Vorwurf der verbotenen Sterbehilfe im Raum steht, ist nicht anerkannt, was ich getan habe.“

Rückblick: Der Schicksalsschlag geschah 2002. Erika K. fiel nach einem Hirnaneurysma ins Koma, 72 Jahre war sie damals alt. Nur vier Wochen zuvor hatte sie mit ihrer Tochter bei einem Spaziergang übers Sterben gesprochen. „Meine Mutter hat klar gesagt, dass sie keine lebensverlängernden Maßnahmen will“, erzählt Elke G. Sie kam nicht mehr dazu, den Willen schriftlich zu fixieren.

Nachdem die Frau mehrere Jahre im Wachkoma gelegen hatte, wollten ihre Kinder – Elke G. und ihr Bruder – sie in Würde sterben lassen. Sie beauftragten Anwalt Putz. Er verhandelte mit dem Heim, in dem die Mutter lag. Die Einrichtung erklärte sich nach anfänglichem Zögern bereit, die Kinder gewähren zu lassen. Allerdings nur, wenn sie das Ganze allein verantworten. Ende 2007 sollte es so weit sein. Elke G. hatte die letzte Flasche Flüssignahrung bereits entfernt. Da schwenkte das Heim um. „Keine Sterbehilfe“, hieß es plötzlich.

Die Situation eskalierte. Das Heim stellte ein Ultimatum: Entweder die künstliche Lebensverlängerung werde sofort wieder aufgenommen, oder die Kinder erhalten Hausverbot. Da kappte Elke G. den Ernährungsschlauch. Anwalt Putz hatte sie angewiesen, zur Schere zu greifen. Erika K. starb zwei Wochen später in einer Klinik. Ihre Tochter war nicht bei ihr: Sie hatte nach eigener Auskunft Besuchsverbot. Für Elke G. ist klar: „Ich habe nichts Unrechtes getan. Weder wollte ich meine Mutter töten, noch habe ich sie getötet.“

Julia Lenders

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