Spekulationen in München-Untergiesing: Kommt das Candidtor doch nicht?

Das Candidtor soll ein Wahrzeichen Untergiesings werden. Doch vor Ort gibt es immer noch sehr viele Kritiker. Sie glauben, dass der Turm dem Münchner Viertel nicht nutzt – sondern sogar schadet. Manche glauben sogar, dass das Bauprojekt noch scheitert.
Verena Lohr |
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Grün ist der Ring überm Candidplatz. Grün soll auch die Fassade des Candidtors werden. So wird das Projekt beworben.
Grün ist der Ring überm Candidplatz. Grün soll auch die Fassade des Candidtors werden. So wird das Projekt beworben. © Ehret+Klein

Untergiesing - Auf der Webseite des Projekts heißt es: "Unsere Immobilien machen allen Freude". Das Vorhaben, den "tristen Candidplatz zu einem lokalen Identifikationspunkt der Bürgerinnen und Bürger" zu verwandeln, scheint jedoch hauptsächlich den Planern selbst und dem Partner von Ehret+Klein eine Freude zu machen. Im Viertel zumindest gibt es immer noch viel Kritik – und es wachsen die Zweifel, ob der Turm jemals gebaut wird.

Rückblick: Auf München und besonders auch auf Giesing lastet ein extremer Gentrifizierungsdruck. Die geplanten Bauten auf den Flächen der ehemaligen GBW-Wohnungen an der Candidstraße, die edlen Bauprojekte in Untergiesing, bei welchen gegen den Denkmalschutz geklagt wird, der Abriss des Uhrmacherhäusels, der Neubau am Weißenseepark, das Schließen von Kneipen wie dem Trepperlwirt und dem Riff Raff und die Neueröffnung von Cafés, die aus Sicht vieler Giesinger nicht so recht zum Viertel passen, sind nur ein paar Beispiele für die aktuelle Situation im Stadtteil.

Candidtor in Untergiesing: Der Turm soll 64 Meter hoch werden

Schon jetzt ist die Miete wie in ganz München zu teuer für die Bewohnerinnen und Bewohner. Noch höhere Mieten kann sich das Viertel nicht leisten. Ehret+Klein und Values real Estate aber haben Großes vor mit dem ehemaligen Glasscherbenviertel: das Candidtor. Dabei handelt es sich um einen 64 Meter hohen Turm, der auf die Fläche des Ärztezentrums am Candidplatz gebaut werden soll. Zumindest, wenn es nach den Investoren geht.

Doch warum gibt es fortlaufend Protest? Die Initiative "Candidplatz für alle" erklärt: "Hinter dem Vorhaben stehen rein ökonomische Interessen: Es geht darum, aus dem Grundstück möglichst viel Profit zu schlagen." Denn in den Turm kommen nicht etwa Wohnräume, wie sie die Stadt dringend gebrauchen könnte. Ein sogenanntes "Versorgungszentrum" soll entstehen. Die Funktion als Ärzte- und Bürohaus soll erhalten bleiben, nur eben noch größer.

Untergiesing: Schon jetzt müssen im Viertel Tierärzte aufhören – wegen zu hoher Mietkosten

Sebastian Weisenburger (Grüne), Chef im Untergiesinger Bezirksausschuss sagt der AZ: "Es gibt Bedarf an bezahlbarem Raum für Einrichtungen, die dem Viertel nutzen. Die Betonung liegt dabei auf bezahlbar." Ein Beispiel, welches er in diesem Zusammenhang gerne nennt, ist die Schließung der Tierarztpraxis in der Hans-Mielich-Straße. Dessen Ärztin konnte die Mieterhöhung von 1.000 Euro nicht bezahlen. Die anderthalb Jahre bis zur Rente musste sie anderweitig überbrücken.

Auf der Candidtor-Webseite heißt es: "Zusätzlich sollen weitere Nutzungen, wie Nahversorgung, Gastronomie, ein Gesundheits- und Fitnessstudio – und eine öffentliche Dachterrasse mit Weitblick, angeboten werden."

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Ob das dem Viertel guttut – oder die Aufwertung eher das Sterben der letzten Alt-Giesinger Boazn beschleunigt? Auch der "Giesinger Frischemarkt" könnte unter einem neuen Supermarkt in direkter Umgebung stark leiden. Der große Schattenwurf und die nächtliche Lichtverschmutzung könnte Auswirkungen auf das Leben in Untergiesing haben. Es könnte mehr Pendelverkehr und ein erhöhtes Aufkommen an Individualverkehr drohen.

Gegner des Candidtors argumentieren: Am Ende steigen nur die Preise für Mieter

Die Initiative "Candidplatz für alle" erklärt, warum die Mieten in Giesing durch den Bau des Candidtors steigen würden: "Die Befürworter des Turms bezeichnen das Projekt als Aufwertung eines 'Giesinger Schandflecks'". Bisher habe aber noch jede sogenannte "Aufwertung" zu steigenden Mieten geführt. Die Bodenpreise explodieren, wird argumentiert. Das sei auch die Spekulation hinter solch einer riesigen Investition. Der Investor werde versuchen, die Fläche möglichst teuer zu vermieten. Durch die Angestellten im Bürogebäude erhöhe sich die Nachfrage nach Waren in der Umgebung.

Dadurch steigen dann die Mieten für Ladenflächen, was für die alteingesessenen Betriebe in Untergiesing eine Bedrohung ihrer Existenz darstellt, so die Argumentation. Die Büroangestellten werden auch in der näheren Umgebung wohnen wollen, was zu einer höheren Nachfrage nach Wohnräumen führen wird. "Das stellt wiederum einen Anreiz für Spekulanten auf dem Wohnungsmarkt dar, die Mieten zu erhöhen."

Auch beim TSV 1860 bemühen sich die Investoren wohl um Unterstützung

Zuletzt veröffentlichte die Initiative einen Beitrag darüber, dass Ehret+Klein nach neuen Verbündeten im Umfeld des TSV 1860 München suchen würden. Die "Projektentwickler" des Starnberger Unternehmens schienen sich gemeinsam mit Values Real Estate an Kleinunternehmer rund um die Löwen gewendet zu haben. "Sie wären nicht die Ersten in Deutschland, die bei der Realisierung ihrer Immobilienprojekte Investitionen in ein Fußballunternehmen dazu nutzen wollen, sich als soziales und nahbares Unternehmen zu präsentieren", so Candidplatz für alle.

Beispiele für derlei "Sportswashing" von Immobilienunternehmen im deutschen Profi-Fußball sind Viva West bei Schalke 04, Aroundtown bei Union Berlin, Vonovia beim VfL Bochum, die CG-Gruppe bei RB Leipzig und beim KSC, die Wohninvest Holding bei Werder Bremen sowie deren Tochtergesellschaft BrainHouse 247 bei Hannover 96. Zuletzt ist es ruhig geworden ums Projekt, mancher unkt schon, der Turm werde nie gebaut.

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9 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 17.06.2023 16:48 Uhr / Bewertung:

    Ich finde das Tor architektonisch noch immer super.
    Endlich mal etwas auch fürs Auge. Auch die Begrünung ist gut.

  • Axel Schweiß am 17.06.2023 07:31 Uhr / Bewertung:

    So oder so: Gentrifizierung lässt sich nicht aufhalten, solange soziale Erforderlichkeiten nicht wieder - wir hatten so was schon mal im "sozialdemokratischen Jahrhundert" - stärker berücksichtigt werden. München steht, was das anbelangt, als Millionenstadt noch recht gut da im Vergleich. Aber warum keine gemeinverträgliche "Sozialquote" für solche Neubauten einführen? Haben wir ja auch eigentlich, müsste nur stärker zurück erkämpft werden. Zum Neubau: Das ist hübsch, und würde sich gut einpassen ins Gesamtbild. Berührt auch optisch ja nur einen schmalen hässlichen Verkehrskanal. Und Untergiesing ist eh längst kaputt gentrifiziert. Da bin ich noch zufrieden in Obergiesing. Und auch wenn die Tela hässlich ist: Hier begegnet man noch Menschen aller Couleur. Bitte so bleiben...

  • Monaco_Flote am 18.06.2023 09:42 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Axel Schweiß

    Es gibt genügend Sozialwohnungen in München. Es braucht Wohnungen für die, die einzahlen und nicht für die, die nur herausnehmen. Die Leute, die das System mit am Laufen halten, dort fehlt der Wohnraum.

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