Ohne Schmerzgrenze: Nach Sanierung kosten diese Wohnungen dreimal so viel

Ein markantes Haus in Obergiesing wird saniert. Die alten Mieter sind raus. Wer neu einzieht, wird dreimal so viel zahlen wie sie. Im einstigen Arbeiterviertel kostet der Quadratmeter nun 28 Euro.
Helena Ott |
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Das Haus in der St.-Bonifatius-Straße 1 im Jahr 2018.
Das Haus in der St.-Bonifatius-Straße 1 im Jahr 2018. © AZ-Archiv

Obergiesing - Von Mietern sind sie gefürchtet: Immobilienunternehmer kaufen ältere Häuser, sanieren sie, um die Wohnungen deutlich teurer zu vermieten. Ob Investoren, die Spitzenpreise verlangen, nachts schlecht schlafen, ist nicht überliefert. Wahrscheinlich nicht. Bei Luxussanierungen dachte man vor zehn Jahren noch an das Glockenbachviertel, Haidhausen und die Maxvorstadt. Aber längst sind auch Mieter in Giesing und dem Westend betroffen.

2015 hat es die St.-Bonifatius-Straße 1 erwischt, das Tor zu Obergiesing. Ein Altbau, an der höchsten Stelle des Nockherbergs, mit Türmchen, Giebeln und Erkern. Von oben sieht das Haus von zirka 1900 aus wie ein spitzes Dreieck mit kleinem Innenhof. Die Südseite hat eine konkave Rundung im Gemäuer, und auch zum Innenhof wölbt sich eine lange Wand nach außen. Der Architekt hat sich richtig etwas getraut.

Die Sankt-Bonifatius-Straße 1 nach dem Krieg.
Die Sankt-Bonifatius-Straße 1 nach dem Krieg. © Stadtarchiv

Nach Sanierung verdreifacht sich die Miete

Dann erreichte die Mieter die unangenehme Nachricht: Ihr Haus wurde verkauft. Familien, Handwerker und ein Paar, beide über 83 Jahre, bewohnten zu dieser Zeit das Haus. "Diese Aussicht über die Stadt und den Nockherberg, das war schon schön", sagt der 83-jährige Mann, der mit seiner Frau 20 Jahre lang im zweiten Stock eine Drei-Zimmer-Wohnung bewohnte. Seinen Namen will der ehemalige KFZ-Händler nicht in der Zeitung stehen haben.

Der neue Eigentümer präsentierte seine Pläne und rechnete den einzelnen Parteien vor, wie hoch ihre Mieten nach den Bauarbeiten sein würden. Das waren für alle schlechte Nachrichten. "Bei uns hätte sich die Kaltmiete nach der Sanierung von 655 auf 1.476 Euro erhöht", sagt der ehemalige KFZ-Händler. 821 Euro mehr pro Monat, das konnte sich das Paar nicht leisten. Die Frau betrieb viele Jahre das kleine Kioskhäuschen neben der Eisenbahnbrücke - keine 30 Meter Arbeitsweg.

Sie lehnten also ab. Auch das folgende Abfindungsangebot. Das Paar schaltete einen Anwalt ein, "der war fast unser Nachbar", sagt der 83-Jährige. Und es hat sich gelohnt. Nachdem viele der anderen Mieter ihre Wohnungen schon aufgegeben hatten, zog das Paar vor Gericht. Mit Erfolg, der Anwalt erstritt eine Abfindung von 100.000 Euro.

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Das hört sich nach viel an, ist es aber nicht, sagt Max Heisler, man müsse die zehn, zwanzig Jahre höhere Mietpreise in der neuen Wohnung abfedern. Vor fast zehn Jahren hat Heisler die Bürgerinitiative "Bündnis bezahlbares Wohnen" gegründet. Die Initiative unterstützte schon viele Mieter im Streit mit Investoren. Wenn sich ein Besitzerwechsel ankündigt, rät Heisler den Mietern, zusammenzuhalten. "Es gibt nichts Besseres, als eine funktionierende Hausgemeinschaft", sagt der 33-Jährige.

Max Heisler bevorzugt solidarische Lösungen

Falls wirklich eine Luxussanierung dahinter steckt, brauchen die Mieter einen guten Anwalt - falls möglich, sollten sich alle von dem gleichen vertreten lassen, sagt Heisler. "Und man muss offen miteinander reden." Die Interessen seien oft unterschiedlich, sagt der Aktivist. Einer wolle vielleicht sowieso ausziehen und ist froh, noch eine Abfindung mitzunehmen. Der andere ist auf die Wohnung angewiesen und findet sonst nichts Günstiges in der Nähe seiner Arbeit. Max Heisler bevorzugt solidarische Lösungen. Die orientierten sich an den Bedürfnissen des jeweils schwächsten Glieds in der Gruppe.

In der St.-Bonifatius-Straße leisteten nur einzelne Mieter Widerstand. Nachdem auch das ältere Ehepaar und noch ein renitenter Familienvater das Haus verließen, war die Zukunft des Altbaus besiegelt: kernsanieren und dann hochwertig ausstaffieren.

Aber erstmal stand es sechs Jahre leer. Zusammen mit Haus Nummer 3, das gleichzeitig mit verkauft wurde, 55 Wohnungen. Wertvoller Wohnraum in einer Zeit, in der sich der Wohnraummangel deutlich verschärfte.

Bauarbeiten sind in vollem Gange

Das Haus erlebte eine triste Zeit. Eine Nachbarin, Helga Mayereder, von dem kleinen Handarbeitsgeschäft gegenüber, wollte mal nach dem Rechten sehen. Die Tür stand an diesem Vormittag offen. "Innen war es total vergammelt und im Gang hatte sich schon Schimmel gebildet", sagt die Giesingerin.

Vor drei Jahren wechselte das Haus zu seinem endgültigen Besitzer: das Immobilienunternehmen Gerl aus Straubing. Und die Bauarbeiten fingen an. Kommt man heute vom Nockherberg hochgelaufen, leuchten einem die neuen hellroten Ziegel entgegen. Bauarbeiter stehen hochoben auf dem Gerüst und montieren messingfarbene Regenrinnen. Offenbar wurde der ungewöhnliche Grundriss beibehalten. Aber die Nummer 1 ist auch denkmalgeschützt.

Gerade ist der vordere Teil noch in ein Gerüst gehüllt. Aber in der Mitte blitzt schon die sandfarbene Fassade mit den dezenten Holzfensterrahmen hervor. "Als die das da enthüllt haben, war ich schon fasziniert", sagt die Nachbarin Helga Mayereder. Von ihrer Ladentheke hat sie das Haus gut im Blick.

Das Eckhaus ist gerade noch eingerüstet. Es wird saniert. Die alten Mieter sind alle nicht mehr dort.
Das Eckhaus ist gerade noch eingerüstet. Es wird saniert. Die alten Mieter sind alle nicht mehr dort. © Bernd Wackerbauer

Aber es ist noch viel zu tun. Die alten Türen, der Innenhof ist voll mit Bauschutt, und lugt man durch die Fenster, scheint der Innenausbau auch noch in Arbeit. Doch noch Ende dieses Jahres sollen hier neue Mieter einziehen. Auf Anfrage verschickt der Bauherr bereits Exposés. Es seien "einzigartige Wohnungen mit Charakter" und "bester Ausstattung" entstanden, schreibt die Firma Gerl. Die "mit viel Liebe zum Detail kernsaniert" wurden.

Doch dick aufgetragen wurde auch beim Preis: Eine Wohnung, drei Zimmer, 100 Quadratmeter, kostet künftig 2.745 Euro monatlich warm. Das macht einen Quadratmeterpreis von 28 Euro. Zehn Euro mehr, als Giesinger Mietwohnungen im Durchschnitt kosten. Zur Erinnerung, das ältere Ehepaar hat damals jeden Monat 655 Euro für seine Wohnung gezahlt, zehn Euro pro Quadratmeter.

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Für die Mieter, die im Dezember kommen, ist es fast dreimal so viel. Bei Mieten von 3.000 Euro pro Wohnung ändert sich auch das Klientel. Die St.-Bonifatius-Straße ist längst kein Einzelfall in Giesing, auch in der Werinher-, Untersberg- und Welfenstraße stehen luxussanierte Häuser.

"Das ist eine ganz stumpfe Kalkulation", sagt Max Heisler vom Bündnis für bezahlbares Wohnen. Es ginge einzig darum, welche Preise man in welchen Lagen mit welchen Umbauten abrufen könne. "So wird peu à peu die gesamte Bevölkerung in der Stadt ausgetauscht", sagt der 33-Jährige. Die Mittelschicht, Geringverdiener und Familien müssten Besserverdienern Platz machen.

2020 musste die Stadt 21 Häuser retten - so viele wie nie zuvor

Für Heisler ist das Grund genug, sich neben seiner Arbeit als Gastwirt für bezahlbare Mieten in München zu engagieren. Eine Stadt müsse nicht alles dem Markt überlassen.

Der Stadtrat kann beschließen, dass Straßen in die Erhaltungssatzung aufgenommen werden. Das bedeutet auch, dass Notare Hausverkäufe bei der Stadt melden müssen. Die hat dann ein Vorkaufsrecht.

Im vergangenen Jahr musste die Stadt 21 Häuser und damit über 400 Wohnungen vor dem Verkauf an Investoren retten - so viele wie nie zuvor. Das ist teuer, zumal die Stadt den unter den Vertragspartnern verhandelten Preis zahlen muss.

Für die Nummer 1 in der St.-Bonifatius-Straße war das noch nicht relevant. Damals war sie noch nicht in der Erhaltungssatzung.

Max Heisler ermutigt Mieter dazu, sich nicht einschüchtern zu lassen und gemeinsam mit dem neuen Vermieter zu verhandeln. Und die Mieter hätten noch ein Ass im Ärmel. Das ist die Öffentlichkeit. Aber erst braucht man politisches Gespür, ob sich der Vermieter im Gespräch bewegt. Wenn nicht, dann seien Zeitungen ein wichtiges Mittel, sagt Heisler.

Im Dezember 2021 werden die ersten neuen Mieter ihre Kisten über die Türschwellen schleppen, oder schleppen lassen. Sie können nichts dafür, dass hier Menschen ihre Wohnung verloren haben. Aber wo bleiben langfristig die Normalverdiener in der Stadt? Die Gärtner, Grundschullehrerinnen und Postboten? Von alleine ändert sich jedenfalls nichts, sagt Max Heisler. "München hat noch genug weltweiten Zuzug von Menschen, die sich das leisten können."

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25 Kommentare
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  • UHKHK am 11.09.2021 01:49 Uhr / Bewertung:

    "2020 musste die Stadt 21 Wohnungen retten - so viele wie nie zuvor"
    Das ist wohl leider ein Druckfehler, denn die Landeshauptstadt München hat in 2020 bestimmt nicht nur 21 WOHNUNGEN gerettet, sondern 21 IMMOBILIENOBJEKTE mit mehreren 100 Wohnungen. Ich habe bis vor einem Jahr im Kommunalreferat gearbeitet, wo auch die Abteilung ist, die den Verkauf aller Immobilien in München prüft und auch über das Vorkaufsrecht entscheidet. Das sieht ganz anders aus!

  • AZ Onlineredaktion am 11.09.2021 10:54 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von UHKHK

    Hallo "UHKHK", vielen Dank für Ihren Kommentar und den - berechtigten - Einwand! Uns ist in dem Artikel tatsächlich ein Fehler unterlaufen, für den wir uns hiermit entschuldigen. Korrekt muss es an der von Ihnen monierten Stelle im Text heißen: "Im vergangenen Jahr musste die Stadt 21 Häuser und damit über 400 Wohnungen vor dem Verkauf an Investoren retten - so viele wie nie zuvor. Das ist teuer, zumal die Stadt den unter den Vertragspartnern verhandelten Preis zahlen muss." Mit freundlichen Grüßen, Ihre AZ-Onlineredaktion

  • Ludwig aus Bayern am 10.09.2021 21:25 Uhr / Bewertung:

    Ich würde auch lieber meine Sachen in Ordnung bringen und sie so einsetzen, wie sie mir am meisten nützen. Ein völlig normales Interesse.
    Von den einen verlangt man, dass sie billig vermieten sollen. Andere bauen teuere Hotels. Wer ist wer? Wessen Freund muss man sein, um zu dürfen?

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