München: Historiker verrät Haidhausens Geheimnisse

Bierkeller und verschwundene Kinos, Klassenkampf und Kinderarbeit – ein Experte zeigt, wie facettenreich Stadtviertelgeschichte von München-Haidhausen ist.
Myriam Siegert
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Blick von der Johanniskirche auf den Wiener Platz, 1894: Links der Hofbräukeller, mittig der Platz mit der Grütznerstraße.
Blick von der Johanniskirche auf den Wiener Platz, 1894: Links der Hofbräukeller, mittig der Platz mit der Grütznerstraße. © Stadtarchiv

Au-Haidhausen - In der Geschichte der Münchner Stadtviertel spiegeln sich die großen und die kleineren politischen und gesellschaftlichen Umbrüche, Entwicklungen und Ereignisse. Hermann Wilhelm, Stadthistoriker, Autor und Künstler, ist Gründer des Haidhausen-Museums und ein echter Experte für die Historie des Stadtbezirks.

Regelmäßig arbeitet er, nicht nur für sein Museum, Themen der Viertelgeschichte auf, forscht und recherchiert. Der AZ hat er ein paar besondere, unterhaltsame und vielleicht weniger bekannte Episoden aus der bewegten Geschichte des Viertels verraten.

In Haidhausen war die erste Münchner Fahrradfahrerin unterwegs

Dass die Einsteinstraße als alte Salzstraße nach Wien einst Äußere Wiener Straße hieß, wissen wohl einige. Weit weniger bekannt sein dürfte, dass hier in den Gewölben der ehemaligen Unionsbrauerei eine erste kleine Radlrevolution von Haidhausen ausging.

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In den Kellergängen, in denen heute das Kim-Kino, der Jazzclub Unterfahrt und die Einstein Kultur untergebracht sind, übte die erste Münchner Radfahrerin, die Schriftstellerin Dr. Anny Schäfer (1859-1952), das Radfahren. Brauereidirektor Joseph Schülein hatte ihr die unterirdischen Gänge zwischen Einstein- und Kirchenstraße zur Verfügung gestellt. 1892 hatte Schäfer als erste Münchnerin ein Damenrad erworben.

Haidhausen: Fahrradführerschein für Frauen

Von der Polizei bekam sie eine offizielle Velocipedkarte, eine Art Radlführerschein also, und durfte auf den Münchner Straßen fahren. Für viele empörend und unsittlich: "Es gab damals nicht wenige Leute, die es unmöglich fanden, dass eine Frau Fahrrad fährt", so Wilhelm. Haidhausen als Vorreiter der Radler – fast wie heute also.

Dultstände neben der Kirche St. Johann Baptist, ca. 1903: Bis 1903 findet die Jakobidult auf dem Johannisplatz statt. Erst danach zieht sie um auf den Mariahilfplatz in der Au.
Dultstände neben der Kirche St. Johann Baptist, ca. 1903: Bis 1903 findet die Jakobidult auf dem Johannisplatz statt. Erst danach zieht sie um auf den Mariahilfplatz in der Au. © Stadtarchiv

Ebenso revolutionär war das Konzept für den Johannisplatz im 19. Jahrhundert, das lautete: "spielen und erholen". "Ein ganz neues Konzept für ganz München", erklärt Hermann Wilhelm. "Das gab es vorher noch nie, dass für einen Kirchplatz oder Ähnliches eine Erholungsecke und ein Kinderspielplatz, eine damals ganz neue Sache, eingerichtet wurde." Bis 1903 fand auf dem Johannisplatz außerdem die Jakobidult statt.

Stadtplätze in Haidhausen als Erholung und Viertel-Poesie

Am Johannisplatz lebte auch die Schriftstellerin und Schauspielerin Carlamaria Heim, vielen mindestens als Frau Bernbacher aus dem Pumuckl bekannt. Als Sanierungsbeauftragte des BA Haidhausen dichtete sie schon Ende der 70er-Jahre über das begehrte Wohnen in Haidhausen – auch das passt heute noch.

2001: BA-Chefin Dietz-Will enthüllt eine Gedenktafel für Carlamaria Heim am Johannisplatz.
2001: BA-Chefin Dietz-Will enthüllt eine Gedenktafel für Carlamaria Heim am Johannisplatz. © imago images/STL

An politisch unruhige Zeiten erinnert die Kirchenschule am Eck Kirchenstraße/Johannisplatz. Hier waren 1919 in der Rätezeit Geiseln gefangen gehalten. Etwa Graf Arco-Valley, der den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner ermordet hatte und mit ihm der berühmte Chirurg Ferdinand Sauerbruch, sowie Franz von Stuck.

Münchens dunkle Vergangenheit: Kinderarbeit in den alten Ziegeleien

Ein Stück weiter an der Wörthschule gab es in den 1880er-Jahren eine "Italien-Klasse" für Kinder aus dem Friaul, die unter schwersten Bedingungen in den Ziegeleien des Münchner Osten arbeiteten.

Gegenüber, im heutigen Penny-Markt, ging es lustiger zu: Im legendären Kabarett "Bunter Würfel" hatte Karl Valentin seine letzten Auftritte vor seinem Tod 1948. Bis in die 60er-Jahre war hier dann das Kino Preysingpalast.

Die Gaststätte zum Huterer in der Grütznerstraße, früher Praterstraße, am Wiener Platz, ca. 1910.
Die Gaststätte zum Huterer in der Grütznerstraße, früher Praterstraße, am Wiener Platz, ca. 1910. © Stadtarchiv

Sprung zum Wiener Platz: Wo heute die Standl stehen, waren einst noch Herbergshäuser. An der Ecke zur Grütznerstraße lebte der in München wohlbekannte Chirurg Johann Nepomuk von Nussbaum (1829-1890), ein Pionier der antiseptischen Wundbehandlung. Der Huterer an dem Eck war ab 1870 Treffpunkt der verbotenen Sozialdemokratie.

Im Hofbräukeller spielten und feierten nach dem Krieg Kinder und Jugendliche bei den Angeboten der German Youth Activities der Amerikaner. Um ihren Biergarten wiederzubekommen, schrieben die Haidhauser 1949 an Präsident Truman, berichtet Hermann Wilhelm. 1950 wurde der Biergarten wieder für die Münchner freigegeben.

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