Liptauer oder Obazda?
Endlich ist die Maikälte vorbei. Die Kastanien blühen, der Flieder duftet in den Gärten. Ich schwinge mich aufs Fahrrad und fahre zum Michaeligarten im Ostpark.
Unter einer Kastanie mit Blick auf den kleinen See mit seinen Wasserfontänen lasse ich mich nieder und geniesse den Ausblick und die Menschen um mich her.
So auch der Müller Andres, ein bayrisches Urgestein, der mitten in Berg am Laim seit fünfzig Jahren lebt und dessen Laune seit Tagen mit dem Barometer geklettert ist.
Hier hofft er wie in alten Tagen, den einen oder andern Spezl zu treffen. Er setzt sich auf seinen Stammplatz und schaut verstohlen um sich, ob einer da ist den er kennt mit dem er ein Schwätzchen halten könnte.
Doch da es noch früh am Tag ist, bestellt er erst mal ein Weißbier und eine frische Brezn mit einem Obazd'n, seiner Lieblingsbrotzeit hier.
Wie er noch sinniert, hört er plötzlich eine Stimme neben sich die in reinstem Hochdeutsch fragt: "Entschuldigen Sie bitte, ist bei Ihnen noch ein Platz frei?"
Aha, a Preiß denkt er, doch laut sagt er "Aber ja, setz'n s Eahna halt nieda, Platz is grad gnua". Der andere, der viel von den grantlerischen Bayern gehört hat, denkt bei sich, daß es hier wohl auch freundliche Leute gibt, bedankt sich höflich und setzt sich dem Andres gegenüber.
Nach einigen Minuten des Schweigens erscheint die Bedienung, eine junge Frau im Dirndl und stellt dem Andres mit einer Hand sein Weißbier hin, mit der andern Hand einen Teller mit Oabzd'n und eine resche Breze.
"Lassen's es Eahna schmeckn" sagt sie und ist schon wieder davon.
Diese Gelegenheit benutzt der Mann ihm gegenüber, um ein Gespräch zu beginnen, denn der Andres gehört eher dem wortkargen Teil der Menschheit an, wenn es sich nicht um seine Spezln handelt.
"Dieser Liptauer sieht ja mächtig schmackhaft aus", bemerkt er und schaut den Andres an. Der reagiert nicht gleich, dann meint er ruhig und voller Überzeugung: "I woas net wo Sie herkemma, aba bei uns in Bayern is des a Obazda".
Der andere stellt sich vor: "Reese mein Name, ich komme aus Hamburg und bin gerade auf Heimreise von einem Urlaub in Österreich, wollte es jedoch nicht versäumen, mich in der vielgerühmten Stadt München etwas umzusehen."
"So so, aus Hamburg kemma Sie, ja do is des ja klar, dass Sie net wissn kennan, wos a Obazda is", sagt ungerührt der Andres, bestreicht genußvoll ein Stück Breze mit der weißrosa Masse und nimmt einen Schluck Weißbier.
"Nun, ich denke schon dass ich weiß, was Sie essen, nämlich einen Liptauer. Ich habe ihn in Österreich zweimal gegessen, Farbe und Konsistenz waren exakt die selbe wie Ihre Speise hier", sagt etwas irritiert, aber mit Nachdruck der Hamburger.
Ob dieser Rede bleibt dem Andres erst Mal die Spucke weg. Er kaut mit der linken Backe, dann mit der rechten und nachdem er alles verschluckt hat, sagt er besonders bedächtig - und daran könnte jemand, der den Andres kennt, sehen, dass es ihn ärgert: "I woas ned, wos Sie bei de Esterreicha gseng ham, I woas bloß, dass des wos i iss a Obazda is und den issi scho seit dreißg Johr in deara Wirtschaft."
"Das mag ja sein" erwidert der Norddeutsche, der spürt, dass das Gespräch in eine Richtung läuft, die er so nicht geplant hat. "Vielleicht können wir herausfinden, ob wir das selbe meinen", schlägt er vor. "Was ist denn in Ihrem Obazeden alles drin?"
Daraufhin ist erstmal eine Pause. Denn jetzt erst wird dem Andres klar, dass er das so genau nicht weiß. Aber geschlagen geben will er sich auf keinen Fall und so versucht er, Land zu gewinnen indem er sagt: "Ja, des is amoi a dabazda Kas und Kümme mit Pabrika. Und so gwiß woas ma des net, wei jeda do sei bsundane Weis hot, den zum macha."
"Aha" sagt daraufhin der andere - und dann ist es erstmal still. Aber weil das Wetter gar so schön ist und die Vogerl im Kastanienbaum über ihnen singen und der Andres nach dem vielen Regen so ein schönes Gefühl im Leib hat, versucht er ganz gegen seine Gewohnheit etwas für ihn unerhört Neues, denn eigentlich hatte auch er Lust auf einen kleinen Diskurs.
Außerdem hatte er kürzlich erst gelesen, daß man von jedem Menschen etwas lernen kann und was wird denn der Hamburger daheim erzählen, wenn er seinen Freunden von München erzählt.
Daraufhin bricht er ein großes Stück von seiner Brezn ab, streicht mit dem Messer einen großen Klacks Obazdn drauf und reicht es seinem Gegenüber mit den Worten: "Probiern geht übers Studiern, do beißns runta und dann werns merka, dass des koa Liptauer is, sondern a Obazda."
Der Hamburger ist von der spontanen Geste überrascht, doch er ziert sich nicht und greift beherzt zu. Während er mit Genuss kaut, entfährt ihm ein "Oh, das schmeckt ja ganz wunderbar und ist tatsächlich anders als der Liptauer in Österreich."
"Sehgns", erwidert der Andres, "jetzt ham ma des Rätsl glöst un damit Sie nimma vagessn, wos a Obazda is, kriagns a Portion af meine Kostn."
Mit diesen Worten winkt er der Bedienung und bestellt einen Obazdn mit Breze. Diese Geste rührt den Hamburger und mit den Worten, daß es wohl ziemlich egal wäre, ob die Speise jetzt Liptauer oder Obazda heiße, Fakt wäre, dass sie einfach gut schmecke, sind sie beide sehr zufrieden.
Dann trinken Sie ihr Bier und es entspinnt sich eine gemütliche Unterhaltung über München, Hamburg, Österreich, den Urlaub und die Welt wie sie ist und wie sie sein sollte.
Eigentlich sind es doch ganz freundliche Menschen, diese Bayern, denkt der Norddeutsche, wenn man die richtigen Fragen stellt.
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