Lillemors Frauenbuchladen schließt: Das Ende einer Institution in München

Der Frauenbuchladen Lillemors macht nach fast 50 Jahren zu. Für viele Münchner Frauen war er mehr als ein Laden, nämlich ein Zufluchtsort.
Helena Ott |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
23  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Im Lillemors werden nicht nur Bücher verkauft, regelmäßig gab es auch Ausstellungen und Lesungen.
Im Lillemors werden nicht nur Bücher verkauft, regelmäßig gab es auch Ausstellungen und Lesungen. © Sigi Müller

Maxvorstadt - Auch wenn es noch vier Wochen dauert, bis der Räumungsverkauf beginnt, liegt Wehmut im Raum. Man merkt es an ersten weißen Lücken in den hohen Regalreihen. Und daran, wie Ursula Neubauer ihre Kundinnen begrüßt: "Du siehst ja, das Sortiment ist schon sehr ausgedünnt." Viele, die durch die Türe von Lillemors Frauenbuchhandlung kommen, kennt Neubauer mit Vornamen. Im Mai haben sie und ihre Geschäftspartnerin Andrea Gollbach aufgehört, neue Bücher zu bestellen.

Über 40 Jahre führen die beiden Frauen Lillemors Frauenbuchhandlung in der Maxvorstadt gemeinsam. Das kleine Fachgeschäft in der Barer Straße 30, zwei Schaufenster, eine dunkelblaue Markise darüber, hat ein breites Sortiment: Neue feministische Literatur von bekannten Autorinnen wie Eva Illouz, Reyhan Sahin, Chimamanda Ngozi Adichie und Emilia Roig. Aber die Buchhändlerinnen führen auch Krimis und Romane von Frauen geschrieben und ein fast zwei Meter breites Regalabteil zur Frauenbewegung.

Lillemors in der der Barer Straße: Frauenbildung und Krisenhilfe

Schon als der Laden 1975 von sechs Frauen gegründet wurde, war er mehr als nur ein Ort zum Bücher kaufen. Lillemors wurde zur Anlaufstelle für Frauen in Not- und Krisensituationen. Ein Ort, an dem diskutiert wurde, Forderungen für mehr Frauenrechte formuliert und Straßenproteste geplant wurden. Ende Juli kommt der Abschied. Andrea Gollbach und Ursula Neubauer beenden die fast fünfzigjährige Geschichte und machen den Laden dicht.

Als junge Frauen in den Zwanzigern war der feministische Buchladen für sie selbst ein wichtiger Ort. Die hochgewachsene Frau mit der hellblauen Bluse ist Andrea Gollbach, sie setzt sich auf einen der Korbstühle in der kleinen Sitzecke im hinteren Teil des Ladens. "Lillemors war für mich eine Erhellung, ein Ort, wo man endlich Gleichgesinnte traf", sagt sie. Andrea Gollbach kam aus der hessischen Kleinstadt zum Studieren nach München.

Ein Ort in München von Frauen für Frauen: austauschen, vernetzen, zuhören

Themen, die heute in Online-Artikeln zu finden sind und in sozialen Netzwerken diskutiert werden, brauchten damals einen physischen Ort. Es sei die einzige Möglichkeit gewesen, sich zu vernetzen und etwas über Feminismus zu erfahren, sagt Andrea Gollbach. "Sonst gab es nur die Emma", sagt sie und meint das Frauenmagazin, das Alice Schwarzer Ende der 70er Jahre gegründet hat.

Eine Kundin betritt den hellen Laden. Andrea Gollbach geht kurz nach vorne. Für sie nimmt Ursula Neubauer auf dem Korbstuhl Platz. Bis heute, sagt sie, kommen nicht nur Menschen zum Bücher kaufen. Sie kommen auch, wenn sie Hilfe brauchen. "Etwa, wenn der Alte durchbrennt und das gemeinsame Konto gesperrt hat", sagt Ursula Neubauer.

Sie sind nicht nur Buchhändlerinnen, sondern haben viele Frauen auch in schwierigen Situationen beraten: Nun werden Ursula Neubauer (v.l.) und Andrea Gollbach die Lillemors Frauenbuchhandlung in der Barer Straße in München schließen.
Sie sind nicht nur Buchhändlerinnen, sondern haben viele Frauen auch in schwierigen Situationen beraten: Nun werden Ursula Neubauer (v.l.) und Andrea Gollbach die Lillemors Frauenbuchhandlung in der Barer Straße in München schließen. © Sigi Müller

Heute sind die Nöte und auch der Ansturm etwas kleiner. Aber in den 70er und 80er Jahren waren solche Zufluchtsorte essenziell. Am Abend öffnete das Münchner Frauenzentrum. "Aber tagsüber waren wir die einzige Anlaufstelle", sagt Neubauer. Andrea Gollbach steht jetzt wieder neben ihr. "Sie müssen sich ja vorstellen, als wir hier angefangen haben, gab es diese ganzen Strukturen, wie Frauenhäuser, Sozialarbeiter und Beratungsstellen noch nicht."

Lillemors Frauenbuchhandlung: Ein Stück Feminismus-Geschichte in München

Also hörten die Buchhändlerinnen zu, recherchierten Anwälte, Ärztinnen, halfen bei der Suche von Therapieplätzen und berieten ungewollt Schwangere. Die beiden haben "heftige Geschichten" gehört: Häusliche Gewalt von Vätern und Ehemännern, sexueller Missbrauch am Arbeitsplatz oder Alleinerziehende, die in finanzieller Not steckten. "Teilweise waren wir damit selbst überfordert", sagt Ursula Neubauer.

Sie hatten weder eine therapeutische noch eine juristische Ausbildung. "Ja, aber wir haben es gemacht", sagt Andrea Gollbach entschieden, als würde sie es sofort wieder so machen. "Es war schließlich unsere politische Überzeugung."

Feminismus bedeutet auch Aktivismus

Auch diese privaten Einblicke waren es, die die beiden immer wieder auf die Straße getrieben haben. Dort demonstrierten sie regelmäßig für Frauenrechte gegen männliche Dominanz und ganz konkret gegen die Kriminalisierung von Abtreibungen. Damals schon. 40 Jahre später steht der Paragraf 218 zu Schwangerschaftsabbruch immer noch im Strafgesetzbuch. "Daran sehen sie, wie rückschrittlich unsere Gesellschaft noch ist", sagt Ursula Neubauer.

Dass viele Feministinnen heute Bücher schreiben und im Internet aktiv sind, sei wichtig. Aber in ihren Augen müssten Frauen wieder lauter und in größerer Zahl auf die Straße gehen. "Das sich wirklich etwas ändert, bräuchte es Aktionen wie den Generalstreik der Frauen in Spanien", sagt Andrea Gollbach. 2018 hatten Feministinnen damit am Weltfrauentag weite Teile der öffentlichen Infrastruktur lahmgelegt.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Frauenbuchhandlung in München: Denkwürdige Lesungen und bewegende Momente

An den vergangenen Tagen hat Andrea Gollbach zusammengeschrieben, wie viele Lesungen und Ausstellungen von Künstlerinnen sie in der Buchhandlung veranstaltet haben. Darunter berühmte Namen wie Audre Lorde, mehrfach Alice Schwarzer und das Autorinnen-Duo Cheryl Benard und Edit Schlaffer. Häufig mussten sie größere Räume anmieten, um alle Gäste unterzukriegen.

Die Buchhändlerin erinnert sich an eine Lesung mit Barbara Kavemann "Väter als Täter" zu sexuellem Missbrauch, bei der 150 bis 200 im Publikum saßen. "Das war einer der bewegendsten Abende für mich", sagt sie. Nach der Lesung hätten nacheinander immer mehr einzelne Frauen das Wort ergriffen und von ihren Erlebnissen in der eigenen Familie erzählt. "Das war so ergreifend, dass sie sich da anvertraut haben, aber auch so erschreckend, wie viele es waren", sagt Gollbach.

Junge Kundschaft seit #metoo in Lillemors Frauenbuchhandlung

Die beiden schließen ihren Buchladen in einer Zeit, in der sich wieder viele Zwanzigjährige selbstverständlich als Feministinnen identifizieren. Zu einer Zeit, in der ständig neue Fälle von Machtmissbrauch und sexueller Gewalt aufgedeckt werden und immer noch um eine gleichberechtigte Aufteilung von Sorgearbeit gerungen wird.

Seit den Aufdeckungen zu Metoo-Fällen seien wieder mehr junge Frauen unter den Lillemors Kundinnen gewesen. Warum also ausgerechnet jetzt? Ursula Neubauer schaut ungläubig, ob die Frage ernst gemeint ist, fragt sie: "Ich bin jetzt 77, da ist es ja auch irgendwann mal gut", sagt sie. Es mache jeden Tag noch Spaß und leicht wird es nicht. In der letzten Juniwoche wollen die beiden sich persönlich bei allen Kundinnen, die Lust haben nochmal vorbeizuschauen, verabschieden. Aber irgendwann sei nunmal Schluss. "Ich will hier nicht auch noch im Rollstuhl reinrollen," sagt Ursula Neubauer.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
23 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Haan am 15.06.2023 18:31 Uhr / Bewertung:

    FRauenbuchladen? Oke, zum Ausgleich dürfen Frauen nicht in den Leierkasten.

  • Witwe Bolte am 15.06.2023 19:42 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Haan

    Halb-Irrtum. Frauen nach einer Geschlechtsumwandlung, also dann ein Mann, dürften dort reinkommen.
    Wo Frauen keinesfalls reindürfen, ist das Badehaus in der Deutschen Eiche und evtl. in den Ochsengarten.
    Wahrscheinlich gibts noch ein paar Etablisements mehr mit Frauenverbot.
    Männerverbot in allen Frauensaunen, obwohl da der Streit tobt, ob biolog. Männer nach Geschlechtsumwandlung doch reindürfen.

  • Gelegenheitsleserin am 16.06.2023 10:35 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Witwe Bolte

    @Witwe Bolte
    "Wo Frauen keinesfalls reindürfen, ist das Badehaus in der Deutschen Eiche"

    Das stimmt nicht ganz. Das dürfen Sie zumindest (außerhalb der Betriebszeiten) besichtigen.
    https://www.deutsche-eiche.de/service/besucherfuehrungen/
    (kann aber auch über DGB-Bildungsprogramm, Volkshochschulen etc. gebucht werden)

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.