Dörflicher Charme und Großstadtflair: Münchner Viertel voller Leben

Ein bisschen stiller als sonst ist es schon, als die AZ ihre Runde durchs Franzosenviertel radelt, man merkt, dass die zweite Ferienhälfte angebrochen ist. "Betriebsurlaub“ – so steht es gerade an ziemlich vielen Türen zwischen Steinstraße und Pariser Platz, Rosenheimer- und Kirchenstraße.
Leer ist es in Haidhausen trotzdem nicht. Eine Jahreszeit, in der hier niemand draußen sitzt, vor einem Lokal oder auf einem der vielen Plätze, gibt es eigentlich gar nicht.
Die Plätze – einer ist schöner als der andere und meist hat man Probleme, ein freies Bankerl zu finden. An ihnen kann man sich entlanghangeln bei einem Spaziergang durchs Viertel.

Beliebt und belebt, das trifft auf Haidhausen ganz sicher zu. Der Stadtbezirk, einst Dorf vor der Stadt, dann Gebiet der gründerzeitlichen Stadtexpansion, dann Glasscherbenviertel hat seit den 70er Jahren mehrere Modernisierungswellen mitgemacht. Heute ist Haidhausen vielleicht eines der am stärksten durchgentrifizierten Viertel der Stadt – und hat trotzdem viel Charme und Lebenswertes. Viele wollen hier wohnen, leisten können es sich eher nicht so viele. Aber herumspazieren und schauen, einkehren oder in den vielen kleinen Läden stöbern – das geht ja auch als Besucher. Und wer doch hier wohnt, findet alles, was er braucht vor Ort.
Viel Englisch, Spanisch, Französisch hört man mittlerweile auf den Straßen – und trotzdem kennt man sich im Viertel. Hier existiert alles parallel – der hippe Edelfriseur neben dem "Friseurstübchen“ neben dem Barbershop.
Das großbürgerlich-repräsentative Gründerzeit-Mietshaus neben dem Herbergshäusl, neben dem Nachkriegsbau. Der Feinkostladen neben dem Gemüsestandl, der Biomarkt neben dem Discounter (auch wenn Letztere in den vergangenen Jahren deutlich weniger geworden sind), die Maßschneiderin, der Designer-Second-Hand und der Fair-Fashion-Store neben dem klassischen Kaufhaus. Dienstags ist Wochenmarkt auf dem Weißenburger Platz, die Kleinen toben im Hypo-Park oder auf der Postwiese und dazwischen kann man sitzen und schauen – Haidhausen hat einfach alles.

Essen & Trinken: Von der feinen Küche bis an den Tresen
Ähnlich hoch wie die Mieten ist auch die Gastro-Dichte in Haidhausen. Im Franzosenviertel reiht sich im Sommerhalbjahr in manchen Straßen Schanigarten an Schanigarten und zum Essen geht ohne Reservierung oftmals gar nix.
Ob im feinen Lokal oder in der Wirtschaft – die Auswahl ist riesig. In Haidhausen kann man sich um die Welt schlemmen – gleich mit mehreren französischen Restaurants wartet das Viertel auf, Italiener gibt es sowieso reichlich von der Espresso Bar über die Enoteca bis zum Ristorante, auch israelisch gibt’s im Restaurant oder auf die Hand, und wer indisch mag, hat ebenfalls die Qual der Wahl. Auch afghanisch, koreanisch, japanisch, vietnamesisch und thailändische Gastronomie findet man in Haidhausen, zuletzt haben gleich mehrere chinesische Lokale aufgemacht. Bayrische Küche, ob Bio, traditionell oder modern gibt’s freilich auch – im Klinglwirt, im Haidhauser Augustiner, im Simplicissimus oder im Kloster.

Und auch auf die Hand wird man im Viertel satt: eine Backfischsemmel am Markt am Wiener Platz, ein Sabich-Sandwich bei Nana am Rosenheimer Platz oder die beste Leberkassemmel beim Metzger Vogl am Genoveva-Schauer-Platz. Wer Kaffee und Kuchen sucht, wird beim Neulinger am Bordeauxplatz, im Eckcafé in der Metzstraße oder in der Fortuna Cafébar fündig. Und: Auch richtig gute Bars und nette Kneipen hat das Viertel: die Polka zum Beispiel mit hervorragendem Restaurant oben und Bar im schummrigen Kellergewölbe, den Roten Knopf, das Balan Stüberl, das Vivo und das legendäre Johannis Café mit seiner Fototapete und der Jukebox.

Von Wien über Bordeaux und Paris: Schlendern von Platz zu Platz
Haidhausen hat gleich mehrere schöne Plätze, am besten besucht man einfach alle - denn man muss nicht konsumieren, um sich in Haidhausen gut aufhalten zu können. Am Wiener Platz zum Beispiel kann man auch einfach so hervorragend sitzen und schauen – auf die Leut' und das Markttreiben und die imposante Kirche am Johannisplatz. Und so geht es im Viertel in einem fort, wer’s ganz ruhig sucht, spaziert zum alten Haidhauser Kircherl und Friedhof in der Kirchenstraße.

Ansonsten geht’s über den Johannisplatz durch Gässchen in die Preysingstraße, wo nicht nur mehrere wunderbare Herbergshäusl stehen, sondern auch der alte Kriechbaumhof. Dörflicher Charme, mitten in der Stadt. Rüber zum Bordeauxplatz wird’s dann eher großbürgerlich-mondän und auch hier kann man hervorragend sitzen, schauen, dem Brunnen beim Plätschern zuhören. Weiter drüben am Pariser Platz geht’s dann richtig geschäftig zu, eine bunte Mischung aus Gastro und Geschäften – und mittendrin Bankerl zum Ratschen. Das gilt auch für den Weißenburger Platz noch ein Stückerl weiter, auch hier werden die freien Bänke gerne knapp. Und abends trifft man sich mit einem Apéro am Brunnen.

Kultur im Viertel: Kino, Theater und moderne Kunst
Auch die Kultur kommt in Haidhausen nicht zu kurz. Früher gab es hier an fast jeder Ecke ein Kino – heute noch übrig ist der Rio-Palast direkt am Rosenheimer Platz. Ein feines Kino mit zwei Sälen und ausgesuchtem Programm über Hollywood-Knaller hinaus und einer sehr guten Bar nebenan.

Ein weiteres Haidhauser Urgestein ist das Theater Drehleier in der Rosenheimer Straße 123, das nächstes Jahr 50 Jahre alt wird und schon an verschiedenen Adressen im Viertel ansässig war. Hier traten schon Sigi Zimmerschied und Konstantin Wecker auf, Bruno Jonas und Jörg Hube, die Spider Murphy Gang und die Biermösl Blosn. Das kleine Theater bietet ein buntes Programm, von Konzerten, Impro-Theater, Comedy, Musicals bis hin zu Drag- und Burlesque-Shows. Um Haidhausen und seine Geschichte geht’s im Haidhausen-Museum (Kirchenstr. 24). Hier geht es um die Entwicklung vom Vorstadt-Herbergsviertel bis heute. Regelmäßige interessante Sonderausstellungen gibt’s außerdem.
Richtig modern wird’s in der Lothringer 13 (so lautet auch die Adresse). Seit 1980 ist dieser städtische Kunstraum für experimentelle Ansätze in der zeitgenössischen Kunst in einem alten Industriegebäude untergebracht. Aktuell leitet der bulgarische Künstler Kalas Liebfried die Halle und fokussiert sich mit seinem Programm "auf multisensorische Diskurse von gesellschaftlicher Relevanz“.