"Die Verwandlung der villa pasingas"

Sehr geehrter Herr Ude,
als Pasing eines Morgens aus einem tiefen Schlaf erwachte, fand es sich in eine ungeheure Baugrube verwandelt. Zehn Straßen im gleichen Umgriff von Baumaßnahmen verschandelt. Wie ein Tornado war eine dunkle Walze von Baumaßnahmen über die Altstadt hinweggefegt, um eine Schneise der Verwüstung zu hinterlassen.
Ehrbare Kaufleute sieht man mit ihren Handykameras die überraschende Ankunft von Bauarbeitern in der Grube dokumentieren oder wie zu einem allen Sinnen gleichermaßen zugänglichen, ohrenbetäubenden Beifallklatschen von Presslufthämmern zum hundertsten Male die gerade verlegte Pasinger Platte birst und splittert, was ihnen wie eine üble Drohung vor ihrer Türe erscheinen muss.
Aber auch das war nur ein Augenblick. Schon eilt der Bezirksausschussvorsitzende (SPD) herbei und besänftigt die Kaufleute mit durchdringenden Worten: "Das geht vorbei!...Pasing ist kein Vergnügungspark…Ende des Jahres ist’s rum!" "Nein!", schreit der Kaufmann und läuft im richtigen Vorgefühl der Unabwendbarkeit seines Schicksals ins Haus.
Die CSU spricht im Wahljahr, in dem Sie, Herr Oberbürgermeister, Ministerpräsident Bayerns werden möchten, von einem durch permanente Baumaßnahmen verursachten "enteignungsgleichen Eingriff", der dem Mittelstand die Geschäftsgrundlage entzieht. Verwundert reibt sich das Pasinger Bürgertum die Augen, wer ihm just im 1.250 Jahr des Jubiläums die Verwandlung verordnet hat.
Was hatten Sie sich, Herr Oberbürgermeister, was hat sich ihr Rathaus dabei gedacht? Anfang der 80er-Jahre im vergangenen Jahrhundert gab es als "Angstmacher" verschriene Genossen im SPD-Ortsverein, die Pasings "schöne Infrastruktur umkippen" sahen, wenn noch mehr Großkaufhäuser im Zentrum hochgezogen würden, noch mehr Verkehr hineinflute und die Innenbezirke, wie in der Münchener Altstadt, "langsam ausgehöhlt werden".
Jeder, der es sich leisten kann, macht heute einen weiten Bogen um die Innenstadt. Ein Klima der Angst geht um, das viele vom Konkurs bedrohte Geschäftsleute nachts mit vor Beklemmung rasenden Herzen ins Bett fallen lässt. Es ist die shopping mall policy, die wie geahnt die "Innenstadt aushöhlt" und die Verantwortung trägt, dass das Pasinger Identitätsbewusstsein nachhaltig, wenn nicht endgültig zerstört ist.
Während die Infrastruktur der shopping mall policy dem Einkaufscenter Kunden zuführt, nimmt sie Unbequemlichkeiten für den Mittelstand billigend in Kauf. „Ihr seid‘s die Leidtragenden!“, ruft eine Aubingerin beim Geschäft Luca, während das Schuhgeschäft mit seinem Inhaber „Am Schützeneck“ wie ein Boot in sturmbewegter See mit gebrochenem Ruder auf das Schiff gebannt ums Überleben kämpft.
Mit welcher Verkaufskunst soll es dem Pasinger Einzelhandel wohl gelingen, die verlorene Kundschaft zurückzugewinnen?
Eine „fast ländlich zusammenhaltende Gemeinde“ ist dahin, „die Harmonie ist weg und mit ihr die Hilfsbereitschaft…Pasing hat seinen Intimbereich verloren“, konstatiert sein berühmtester lebender Bildhauer, James Reineking.
Was um alles in der Welt kann der ehrbare Kaufmann tun, um die Verwandlung Pasings in einen alles dominierenden Einkaufstempel bei durchschnittlichen Umsatzeinbrüchen von 40 Prozent zu überleben?
Der kleinste gemeinsame Nenner gemeinsamen Interesses wäre erreicht, wenn Sie, Herr Oberbürgermeister, dafür sorgen, dass die Geschäftsgrundlage für das Überleben des Mittelstandes unverzüglich wiederhergestellt wird.
Eine Bürger-Initiative Aufwertung Zentrum hatte sich 2012 vehement gegen die geplante Amerikanisierung des historischen Bürklein-Bahnhofs mit Symbolen der Wüstenstadt Las Vegas zur Wehr gesetzt. "Welcome to Paseo" hieß die von der Münchener Kulturkommisssion bereits zum Wettbewerbssieger ernannte Idee, die den Arcaden Besucher anlocken sollte. Am 10. Januar 2013 wurde sie vom Bezirksausschuss abgelehnt.
So markiert der Sieg der shopping mall Lobby den Anfang vom Ende für die Verwandlung des Pasinger Identitätsbewußtseins. Pasinger wussten, wer sie waren. "Eigentlich" und "trotz allem" waren sie Pasinger "bliebn", auch wenn sie ungewollt feststellen mussten: "Münchner san ma worn". Als Schirmherr des Jubiläums haben Sie in Ihrem Grußwort zu Beginn des Festjahres selbst auf den bekannten sprichwörtlichen Zusammenhang verwiesen.
Erstmals in ihrer Geschichte sieht sich die villa pasingas als Konsummaschine des Westens zur Schadensabwendung für die Innenstadt Münchens mißbraucht und sich somit nach keltischer, römischer, höfischer und kirchlicher Lehensherrschaft sowie dem Verlust seiner Eigenständigkeit 1938 neuerdings vor den Karren des herrschaftlichen Finanzkapitalismus gespannt.
Helfen Sie uns, dass den Pasingern der Marienplatz als Ort der Erholung wiedergeschenkt wird.
Wer, wenn nicht Sie, verehrter Herr Ude, könnten dafür sorgen, dass aus der Gleichmannstraße eine echte Fußgängerzone mit anheimelnder Festbeleuchtung einschließlich der Bäckerstraße jeweils zur Weihnachtszeit wird? Nichts würde dem Mittelstand mehr helfen als gerade dies. Bereits jetzt ist die schöne neue Welt des Konsums mit ihrer erdrückenden Vielheit von Verkehrsmitteln vom Bahnhofsganzen mit ihrem alles beherrschenden Busbahnhof körperlich zu spüren, die stockend wie Uhrzeiger durch verbindende Gassen und Straßen hindurch in das Innere von Alt-Pasing rückt, dabei die reizvolle Vielfalt nivelliert, die Pasing ausgemacht hat.
Jeder, der den Kaufleuten heute begegnet, spürt ihre latente Angst, nur ja keine negativen, wahren Gedanken aufkommen zu lassen.
In der Hoffnung, dass Ihre anlässlich des Auftakts der Pasinger Jubiläumsfeierlichkeiten geäußerte Überzeugung "Viel tun muss ich als Schirmherr ja nicht…", nicht Ihr letztes Wort als Schirmherr bedeutet.