Stadlers Tagebuch aus Paris: Ab jetzt heiße ich "Mischell"

Michael Stadler war Kulturredakteur bei der AZ – bis er München verließ, um in Paris auf die Schauspielschule zu gehen. Hier schildert er, wie es ihm in der Stadt der Liebe ergeht. Teil 1 seines Tagebuchs: Das Abenteuer beginnt.
Einmal am Tag fährt der Zug mit dem als W gesprochenen V direkt von der Stadt des Biers zur Stadt der Liebe. Wobei es zwischen l’alcool und l’amour ja vielleicht sowieso schon direkte Verbindungen gibt; man denke an Liebesrausch, Schöntrinken und Oktoberfestkinder. In sechs Stunden nur fährt der TGV nach Paris, sehr komfortabel, denke ich – und steige todmüde letzten Samstag um 6.20 Uhr am Münchner Hauptbahnhof ein.
Bepackt mit einem sackschweren Rucksack und einem unhandlichen Handkoffer. Mehr mitnehmen ist pas possible. Leicht war auch die Entscheidung nicht, weg aus München, von Job, Kameraden und anderen Vertrautheiten, hin nach Paris, in die Ungewissheit einer französischen Schauspielschule, wo ich mich im Frühling beworben habe.
Als Kulturredakteur der Abendzeitung habe ich über Theater und andere schöne Dinge geschrieben – und bekam Lust, selbst zu spielen, ja, das Spielen zu erlernen. Vermutlich eine blöde Idee. Aber: Ich wurde angenommen, mit einer Probezeit von drei Monaten! Die Folge: Job in München gecancelt, Wohnung aufgelöst, Hab und Gut eingelagert; Freunden leise Servus, Feinden laut Adieu gesagt. Je suis dann mal weg. Rock’n’roll.
Das Abenteuer beginnt. Und du, lieber Leser, bist dabei, soweit es geht: Die erste Woche ist vorbei, das Tagebuch geht los, und ich weiß gar nicht, wo ich starten soll. Die Schule ist international, drei äußerst große Klassen gibt es pro Jahrgang, 90 Schüler aus 32 Nationen, aber hallo, und nur ein Deutscher ist dabei. Moi. Michael, ab jetzt gesprochen: Mischell. Und da ist schon eins, ein Problem, das mich, na, ich sage mal uns beschäftigen wird: die Sprache.
Dieses merkwürdige Kauderwelsch aus Worten, die aus (mitunter) haarigen Nasenlöchern und (manchmal) schönen Lippen sprudeln, auf dass das deutsche Ohr sich (oft) wundert und (immer öfter) nach zackigen Konsonanten sehnt. Da mein Französisch eher mal als bien ist, werde ich neben dem Schulgeld auch einiges Lehrgeld in Sachen Sprache zahlen müssen – unterrichtet wird auf Französisch. Immerhin: Auch andere Schüler, aus Mechiko, Bella Italia and the States, kämpfen mit dem Verständnis und dem erforderten zügigen Zungenschlag. Und immerhin: Beim Einstieg letzten Montag, als die Lehrer im Foyer der Schule das Programm präsentieren und jeder einzelne Schüler sich kurz vorstellen soll, schaffe ich es doch, einige nicht unfreiwillige Lacher auszulösen: „Salut. Je suis Mischell. Je viens de Munich.“ Kunstpause. „Bière, Oktoberfest, on connais ca, o là là.“ Gelächter, Freude, Wiedererkennen. Nachsicht mit den Nasalproblemen des Fremden.
Ich freue mich ebenfalls: Kommunikation klappt. Dann verhaspele ich mich: „Je suis heureux, je veux etre hereux d’etre là ici avec vous, n’est-ce pas“. Kurzes, betretenes Schweigen. Daraufhin erzählt der kräftig gebaute glatzköpfige Japaner neben mir, dass er ebenfalls schlecht Französisch spreche. Dafür aber gut Japanisch. Wieder Gelächter. Lauter als bei mir. Tja, damit hätten wir uns vorgestellt. Wo ich wohne, mit wem und warum dann nächstes Mal. Lieber Leser, bleib’ am Ball. Je compte à toi.