„So viel Licht wie möglich – und vor die Tür gehen!“
Keine Lust aufzustehen, wenn es draußen düster und regnerisch ist? Missmutig werden beim Gedanken daran, dass der Sommer vorbei ist und der bevorstehende Herbst – plus Winter! – schier endlos ist? Knapp die Hälfte der Menschen in Deutschland, das haben Forscher untersucht, sind wetterfühlig.
Bei vielen wachsen sich Trübsinn und Melancholie zur Depression aus. Dabei lässt sich die Psyche gegen den Herbst-Blues schützen. Die AZ spricht mit einem Experten.
AZ: Grüß Gott, Herr Dr. Zulley, haben Sie gute Laune heute?
JÜRGEN ZULLEY: Wieso? In München rutschen wir aus einem Traum-Spätsommer in einen greisligen Früh-Winter – und das ganz plötzlich. Wir in Regensburg auch, scheußlich! Gerade saß ich noch in Elba in der Sonne. 29 Grad, herrlich. Und kein Wölkchen am Himmel, da ging’s mir blendend. Jetzt drohen viele, in Trübsinn zu versinken.
Warum ist das so?
Weil wir wissen: Es kann jetzt nur noch schlechter werden, und das für lange Zeit. Das ist der psychologische Effekt. Und zweitens: Wenn es draußen lange dunkel ist und wir wenig Tageslicht abbekommen, schüttet unser Körper mehr von dem Dunkel-Hormon Melatonin aus. Je weniger Licht auf die Netzhaut der Augen trifft, desto mehr Melatonin wird freigesetzt.
Was macht das mit uns?
Es macht uns müde, schlapp und unlustig. Ab sofort können wir eine Art Winterschlaf beginnen.
Welchen Sinn hat das?
Für unsere Vorfahren hatte das schon Sinn. Die Melatonin-Ausschüttung diente dazu, dass die Menschen sich, ähnlich wie die Tiere, an den Winter anpassen und die kalte Jahreszeit möglichst energiesparend überbrücken. Heute brauchen wir das nicht mehr, das stört uns jetzt.
Wie viel Licht brauchen wir zum Fröhlichsein?
An einem hellen, schönen Sommertag haben wir draußen einen Helligkeitswert von rund 100.000 Lux. Pro Tag brauchen wir mindestens eine Stunde lang 2.000 bis 10.000 Lux, um halbwegs positiv gestimmt zu bleiben. An kalten, sehr trüben Tagen bekommen wir das nicht. Schon deshalb, weil wir selten so lange im Freien sind.
Kann ein langer, dunkler Winter echte Depressionen auslösen?
Er kann schon vorhandene Depressionen verstärken. Aber auch stabilen Menschen geht es im Winter psychisch grundsätzlich schlechter als im Sommer. Das betrifft fast jeden.
Wie erkennt man, ob man richtig depressiv ist oder nur Schlechtwetter-trübsinnig?
Man muss sich fragen: Bin ich so beeinträchtigt, dass ich meine normale Arbeit über mehrere Wochen nicht mehr machen kann? Dann sollte ich mir Hilfe holen und mich behandeln lassen.
Kann man sich vorbeugend schützen gegen Trübsinn oder eine Depression?
Es gibt pflanzliche Mittel wie etwa Johanniskraut. Das wirkt stimmungsaufhellend, und das gibt es frei verkäuflich in der Apotheke. Aber besser wäre: Egal wie mies das Wetter ist, gehen Sie mindestens eine Stunde am Tag raus ins Tageslicht. Setzen Sie dabei keine Sonnenbrille auf, holen Sie sich so viel Licht wie möglich.
2.000 Lux und mehr – schafft das eine normale Lampe?
Nein. Eine normale Bürobeleuchtung hat etwa 500 Lux, eine Wohnzimmerbeleuchtung vielleicht 200 Lux. Aber es gibt spezielle Lichttherapie-Lampen, die mit Leuchtstoffröhren mit 2.500 bis 10.000 Lux ausgestattet sind. Damit kann man sich jeden Tag ein halbe bis zwei Stunden anstrahlen lassen – das tut der Psyche gut.
Was bringt der Besuch im Solarium?
Weil Sie da die Augen geschlossen haben, wirkt das Solarium nicht gegen die Melatonin-Ausschüttung. Aber jede Form von Wärmezufuhr – wie auch in der Sauna – ist natürlich gut für die Muskelentspannung und das entspannt auch die Seele.
Hilft Sport?
Jede Form von Aktivierung ist positiv für die Psyche. Sporteln befriedigt einen – da haben Sie was getan, da fühlen Sie sich körperlich fit.
Soll man sich zum Rausgehen zwingen?
Unbedingt. Je mehr Sie vor die Tür gehen und sozial aktiv werden, desto besser.
Haben Sie einen Tipp für den Start in einen grauen Tag?
Machen Sie sich’s gleich nach dem Aufstehen in der Wohnung richtig hell. Legen Sie Musik auf, die Ihnen Spaß macht, betätigen Sie sich möglichst schnell körperlich. Und planen Sie zwischendurch mal irgendwo Ferien, wo die Sonne scheint.
Haben Dunkelheit und Kälte auch etwas Gutes?
Ja. Sie bringen uns in einen entspannteren Modus und beruhigen den Organismus. Das braucht der auch mal. Wie nach dem Tag die Nacht kommt, kommt nach dem Sommer die dunkle Jahreszeit. Da kann man dann endlich mal viel lesen, sich zu Hause mit Leuten treffen, Dinge sortieren, ausmisten. Man kann froh sein, dass man endlich mal daheim alle Viere von sich strecken darf und sich nicht mehr amüsieren muss. Das hat doch was.
- Themen:
- Wetter