"Seit Sonntag ist Bayern nicht mehr, was es war": Wie Münchens jüdische Gemeinden die Debatten um Aiwanger sehen
München - "Damit ist die Sache abgeschlossen", hat Markus Söder am Sonntag kurz vor dem Ende seiner Erklärung zur NIcht-Entlassung Aiwangers besagt. Es sollte entschieden klingen, überzeugt. Doch zuvor hatte Söder auch auf die jüdischen Gemeinden verwiesen, darauf, dass Hubert Aiwanger nun das Gespräch mit ihnen suchen solle.
Und aus deren Sicht ist die Debatte nicht abgeschlossen. Sollte Söder geglaubt haben, mit seiner Erklärung die Unruhe in den Gemeinden zu beenden, hat er sich offenbar getäuscht. Unter Münchner Juden ist nach wie vor Entsetzen über die Vorgänge der letzten Tage herauszuhören. Und viele werden sehr deutlich in ihrer Bewertung.
Charlotte Knobloch zu Hubert Aiwanger: "Ich habe die Entschuldigung nicht angenommen"
Eine, die die Worte auch in diesen Tagen sehr genau wählt, ist Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Am Sonntag hatte eine schriftliche Erklärung Knoblochs mit den Worten begonnen, Söders Entscheidung sei "politisch zu akzeptieren". Dass das Thema nun öffentlich beendet ist, wie es sich Aiwanger und offenbar auch Söder erhoffen – so hat sie das ganz offensichtlich nicht gemeint.

Im Deutschlandfunk sagte sie am Montag nach einem Gespräch mit Hubert Aiwanger ganz ausdrücklich: "Ich habe die Entschuldigung nicht angenommen." Die Vorwürfe rund um das Flugblatt kämen "einer Katastrophe gleich für einen Menschen, der so viel Verantwortung hat wie ein Vizeministerpräsident eines Bundeslandes".
Jüdische Gemeinden in München kritisieren auch Markus Söder
Söder habe entschieden. "Und zwar mit Abscheu", insofern stehe sie hinter dem Ministerpräsidenten. Aiwanger hätte eine Entlassung im Wahlkampf ausgenutzt, sagte Knobloch. "Und damit wohl auch Erfolg gehabt, das wäre die noch größere Katastrophe gewesen". Während Knobloch spürbar bemüht ist, Markus Söder nicht offen zu kritisieren, werden andere jüdische Münchner sehr deutlich.
Die Liberale Jüdische Gemeinde Beth Shalom teilte mit, Aiwanger übernehme "keine Verantwortung für seine Taten". Seine Entschuldigung sei "nicht aufrichtig", man werde sie "natürlich nicht annehmen". Söders Beteuerung, ein Bollwerk gegen Antisemitismus zu sein, sei "unglaubwürdig", sagte Eva Ehrlich, die Vorsitzende von Beth Shalom. Sie bedauere die Entscheidung, Aiwanger im Amt zu lassen.
Jüdische Gemeinde Beth Shalom: "Hubert Aiwanger weicht durchgehend aus"
Söder schätzte Aiwangers Reue als aufrichtig ein, heißt es in der Mitteilung der liberalen Gemeinde. "Grundlegend können wir im Umgang von Hubert Aiwanger mit den Vorwüfen keine deutliche Haltung erkennen", schreibt Beth Shalom. "Er leugnet stets entweder die Beteiligung oder verweist auf Erinnerungslücken." Sowohl in seinen Aussagen der vergangenen Tage, als auch in der öffentlich gemachten Beantwortung der 25 Fragen verhalte er sich "durchgehend ausweichend".
Hitlergrüße und Auschwitz-Witze seinen keine verjährten Jugendsünden, so Beth Shalom. "Erst recht nicht, wenn deren Thematisierung von Aiwanger zum Anlass genommen wird, sich selbst als Opfer einer Verschwörtung zu stilisieren. Wir sehen hierin keine Läuterung seiner Haltung, sondern in dem Versuch der Schuldumkehr eine Bestätigung dieser."
Marian Offman über Hubert Aiwanger: "Bei Markus Söders Erklärung war er schon wieder im Bierzelt"
Marian Offman, der Beauftragte der Stadt München für interreligiösen Dialog, der selbst Jahrzehnte lang im Vorstand der IKG war, sagte im Gespräch mit der AZ, auch andere Glaubensgemeinschaften seien sehr besorgt über die Entwicklung .

Er persönlich fühle sich "fast schon bedroht", sagt er. "Bayern ist seit Sonntag nicht mehr das Land, das es davor war." Es drohe, immer weiter nach rechts zu rutschen. Offman klingt vollkommen entsetzt vom Vorgehen Aiwangers in den letzten Tagen. "Bei Söders Erklärung war er schon wieder im Bierzelt!", sagt er.
Offman übt auch leichte Kritik an Charlotte Knobloch und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster. "Der springende Punkt ist, dass die beiden wohl zugestimmt haben, dass Aiwanger im Amt bleibt", sagt Offman. "Ich verstehe aber auch, dass es eine sehr schwierige Lage ist, in die Söder sie mit dieser Frage gebracht hat."
Michael Movchin: Söder setzt das falsche Signal, Aiwanger bricht das Vertrauen
Michael Movchin ist Vorsitzender des Verbandes Jüdischer Studenten in Bayern. Er sagte am Montag der AZ: "Es ist das vollkommen falsche Signal, das Söder gesetzt hat. Es stimmt ja einfach nicht, dass Reue und Demut an den Tag gelegt werden." Aiwanger selbst bezeichne die Debatte ja immer wieder als "Schmutzkampagne". Das Vertrauen zum Vize-Ministerpräsidenten sei "gebrochen", sagte er. Den Schaden hätte nun vor allem der Freistaat selbst.
"Ein Land, das von sich behauptet, die nationalsozialistische Vergangenheit aufgearbeitet zu haben." Klingt alles nicht, als sei die Debatte für Münchner Juden abgeschlossen. Und auch nicht so, als gäbe es aus ihrer Sicht noch viel Gesprächsbedarf mit Hubert Aiwanger. Der aktuell aber ja eh viel zu tun hat. In den Bierzelten des Landes.