Schwierige Suche nach Wahrheit im Brunner-Prozess

Nach dem Tod Dominik Brunners bei einer Schlägerei mit angetrunkenen Jugendlichen schien alles klar: Brunner wollte die Schüler vor den beiden schützen und wurde deshalb Opfer zügelloser Wut. Doch der Fall ist vielschichtiger.
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München - Nach dem Tod Dominik Brunners bei einer Schlägerei mit angetrunkenen Jugendlichen schien alles klar: Brunner wollte die Schüler vor den beiden schützen und wurde deshalb Opfer zügelloser Wut. Doch der Fall ist vielschichtiger.

Die Wahrheit ist doch nicht so einfach. Um den gewaltsamen Tod des Managers Dominik Brunner zu klären, plant das Münchner Landgericht nun zusätzliche Verhandlungstage, gut einen Monat länger als geplant bis in den September soll das Verfahren dauern. Am Montag geht es in die dritte Woche. Die Staatsanwaltschaft wirft Sebastian L. (18) und Markus S. (19) vor, den 50-Jährigen am 12. September am S-Bahnhof Solln mit Tritten und Schlägen aus Rache ermordet zu haben, weil er Schüler vor ihnen in Schutz genommen hatte. Die Zeugenaussagen sind aber nicht so eindeutig.

Eine Verwaltungsjuristin, die aus der S-Bahn einen Teil der Tat beobachtete, berichtete, Brunner habe Boxhaltung eingenommen und sei auf die Angeklagten zugegangen. „Kick und Schlag“ will die Zeugin gesehen haben wie bei einem Kampfsportler – Brunner hatte zeitweise Kampfsport betrieben.

Ein Vertriebsleiter, der mit ihr in der S-Bahn saß, sah Brunner in Verteidigungshaltung, andere Zeugen sprachen von Kampfhaltung, einer sah Brunner sogar als Angreifer. Woran man erkennen könne, ob jemand sich verteidigen oder angreifen wolle, fragt der Vorsitzende Richter Reinhold Baier den Vertriebsleiter. Ein Zeichen für Angriff sei für ihn, wenn jemand auf einen anderen zugehe, antwortet der.

Doch wer am S-Bahnhof Solln auf wen zuging, bevor es zu der tödlichen Schlägerei kam, ist Wahrnehmungssache. Markus S. und Sebastian L. seien auf Brunner und die Schüler zugegangen, sagen manche Zeugen. Andere sagen, sie seien ihnen einfach gefolgt. Wieder andere berichten, Brunner habe von sich aus zwei Schritte auf die Angeklagten zu gemacht.

Auch die vier Schüler, die als Einzige den ganzen Ablauf erlebten, widersprechen sich – nicht nur untereinander, sondern teils in ihren eigenen Aussagen. „Es ist jemand in ihren Armen gestorben“, sagt Sebastian L.s Anwalt Roland Autenrieth. „Und sie wussten, dass Brunner zu ihren Gunsten eingegriffen hat.“ Das sei eine schwierige Situation für eine objektive Aussage. Die Kinder seien traumatisiert gewesen – ähnlich sahen das Vernehmungsbeamte.

Vom Hergang ist klar: Brunner schlug als erster Markus S. mit der Faust ins Gesicht, danach gingen die Angeklagten massiv auf ihn los. Doch war Brunners erster Schlag zur Verteidigung nötig, wie die Anklage sagt? Planten die Angeklagten tatsächlich aus Rache für seine Einmischung in ihren Streit mit den Schülern einen Angriff? Es wundert nicht, dass die Angeklagten selbst das abstreiten. Aber könnte Brunner ihr Verhalten fehlinterpretiert haben, wenn schon unbeteiligte Zeugen die Lage unterschiedlich einschätzen? Stachelte erst sein Schlag Markus S. zu dem brutalen Angriff an?

Klar ist auch: Niemand kam Brunner zu Hilfe, der S-Bahn-Zugführer alarmierte vorschriftsmäßig seinen Fahrdienstleiter – und fuhr weiter. Ein 59-Jähriger wollte vom anderen Bahnsteig über die Gleise laufen – doch da fuhr die S-Bahn ein. Der Vertriebsleiter macht sich nachträglich Vorwürfe, nicht aus der Bahn ausgestiegen zu sein und eingegriffen zu haben. Unter welchem Druck Brunner in dieser Lage stand, ist nachträglich kaum zu klären. Hatte er alles so im Griff, wie es auf die Beobachter wirkte? Wusste er von seinem Herzproblem? Laut Obduktion starb er nicht unmittelbar an den 22 schweren Verletzungen der Schläge und Tritte, sondern an Herzversagen.

Schon wurden Kommentare laut, Brunner, als Vorbild für Zivilcourage posthum mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, sei vielleicht kein so großer Held gewesen. Der Kuratoriumsvorsitzende der Dominik-Brunner-Stiftung und FC Bayern-Präsident Uli Hoeneß wies das in einem Interview strikt zurück. „Da fangen ein paar Leute an, Opfer mit Tätern zu verwechseln.“ Dass sie sich schuldig gemacht haben, wissen die Angeklagten, die aus schwierigen Verhältnissen stammend nun sauber gekämmt auf der Anklagebank sitzen. Ob es wirklich Mord war, scheint fraglich. Voraussichtlich bis 6. September will sich das Gericht Zeit nehmen, um sich ein Urteil zu bilden.

dpa

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